OGH 6Ob290/06z

OGH6Ob290/06z18.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. (zu 5 Cg 206/03v des Landesgerichts Linz) Dkfm. Dr. Helmut M*****, 2. (zu 5 Cg 205/03x des Landesgerichts Linz) Dr. Thomas M*****, beide *****, beide vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 21,057.298,52 und EUR 914.784,28, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 8. November 2006, GZ 5 Nc 74/06f-2, womit der Ablehnungsantrag der klagenden Parteien gegen den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Linz Dr. Wilhelm J***** zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. 3. 2006, GZ 5 Cg 206/03v-76, wurde die Klage abgewiesen. Nach Zustellung der Entscheidung stellten die Kläger gleichzeitig mit der Berufung einen Ablehnungsantrag gegen den Verhandlungsrichter.

Das Ablehnungsverfahren gegen den in erster Instanz erkennenden Richter Mag. Gerald R***** blieb ohne Erfolg (35 Nc 6/06y des Landesgerichts Linz). Demnach waren die vorgebrachten Ablehnungsgründe verfristet. Aber auch meritorisch liege kein tauglicher Ablehnungsgrund vor. Einem gegen diese Entscheidung erhobenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Linz nicht Folge. Weil der in erster Instanz erkennende Richter Mag. Gerald R***** durch den Vorwurf, er habe eine „vorgefasste Rechtsmeinung" und ein „vorgefertigtes Konzept für die Urteilsfindung" gehabt, ohne Deckung durch Verfahrensergebnisse fälschlich des Verbrechens des Amtsmissbrauches nach § 302 Abs 1 StGB bezichtigt worden sei, leitete der Vorsitzende des Senates 4 des Oberlandesgerichts Linz, Senatspräsident Dr. Wilhelm J*****, den Sachverhalt unter (bloßer) Anführung wörtlicher Zitate des Klagevertreters sowohl zu disziplinarrechtlichen Beurteilungen dem Disziplinarrat der Wiener Rechtsanwaltskammer als auch der Staatsanwaltschaft Linz gemäß § 84 StPO im Wege des Landesgerichts Linz weiter. Der Schriftenverfasser Rechtsanwalt Univ.-Doz. Dr. Johannes R***** stehe nämlich im Verdacht des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, weil er mit den im Ablehnungsantrag und Rekurs enthaltenen Textstellen den Richter des Landesgerichts Linz Mag. R***** massiv und beharrlich ohne sachlichen Anhaltspunkt des Verbrechens des Amtsmissbrauchs bezichtigt habe.

Über die gegen das abweisende Urteil des Erstgerichts erhobene Berufung hat nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Linz der Senat 4 unter dem Vorsitz von Senatspräsident Dr. Wilhelm J***** zu entscheiden.

Die Kläger lehnten mit Schriftsatz vom 21. 9. 2006 Senatspräsident Dr. Wilhelm J***** ab und begehren, das Rechtsmittelverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung dieses Ablehnungsantrages zu unterbrechen. Senatspräsident Dr. Wilhem J***** erklärte, nicht befangen zu sein. Die in der Disziplinaranzeige aufgelisteten Textstellen enthielten (zumindest) den impliziten Vorwurf des Amtsmissbrauches, weshalb er es für angezeigt gehalten habe, den Sachverhalt im Hinblick auf § 84 StPO den zuständigen Behörden mitzuteilen. Die Behauptung, er habe sich mit Mag. Gerald R***** solidarisiert, entbehre jeder Grundlage. Er kenne Mag. R***** nur dienstlich, habe nur wenige Male mit ihm gesprochen und sei mit ihm „per Sie". Die Vorgänge in der Verhandlung vor dem Erstgericht seien in der Rekursentscheidung eher kurz abgehandelt worden, weil sie auch nach Ansicht des Rekurssenates verspätet geltend gemacht worden seien; wegen der Schwere der Vorwürfe gegen Mag. Gerald R***** habe sich der Senat aber nicht bloß auf einen formalen Standpunkt zurückziehen wollen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Oberlandesgericht Linz den Ablehnungsantrag zurück.

Die Erstattung einer Disziplinaranzeige bilde keinen Befangenheitsgrund. Eine den Einrichtungen rechtsanwaltlicher Standesvertretung vorbehaltene abschließende Beurteilung der Formulierungen im Hinblick auf § 9 RAO habe sich Senatspräsident Dr. Wilhelm J***** nicht angemaßt.

Der von Senatspräsident Dr. Wilhelm J***** beanstandete Schriftsatz (Rekurs gegen den Beschluss 35 Nc 6/06y des Landesgerichts Linz) enthalte nicht nur den impliziten, sondern den ausdrücklichen Vorwurf, der Verhandlungsrichter Mag. Gerald R***** habe trotz Befangenheit ein Urteil gefällt, mit welchem er seinen Landsleuten nicht schaden habe wollen. Damit werde dem Verhandlungsrichter Missbrauch seiner Rechtsprechungsbefugnis vorgeworfen. Um diesen Vorwurf zu prüfen, habe Dr. Wilhelm J***** § 84 StPO angewendet. Solcherart pflichtgemäßes Verhalten ziehe keinen Befangenheitsgrund nach sich.

Die Beurteilung des Rekurssenats unter dem Vorsitz von Senatspräsident Dr. Wilhelm J*****, wonach die vom Klagevertreter beanstandeten Formulierungen und Verhaltensweisen keine Befangenheit des Mag. Gerald R***** begründen, seien als sachliche Unstimmigkeit (Ballon in Fasching² § 19 JN Rz 9) bzw Frage der Rechtsprechung (LGZ Wien EFSlg 111.722) hier im Verfahren über die Ablehnung des Dr. Wilhelm J***** nicht mehr überprüfbar.

Auch könne in der Formulierung, wonach die Beifügung „auf gut oberösterreichisch gesagt" den offenkundigen Zweck gehabt habe, die etwas direkte Formulierung der vorangegangenen Zurechtweisung durch den Erstrichter („das geht mir ganz schön am Wecker") zu entschärfen und eine (weitere) Verschlechterung des Verhandlungsklimas zu vermeiden, keine Verweigerung inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Argumenten der Ablehnungswerber erblickt werden.

Nicht zu folgen sei auch der Darstellung, Dr. Wilhelm J***** habe Mag. Gerald R***** schützen oder „reinwaschen" wollen. Vielmehr sei auch der Rekurssenat im Ablehnungsverfahren gegen Mag. Gerald R***** von einer gewissen Emotionalität des Verhandlungsrichters ausgegangen, habe aber nicht angenommen, dass dieser Umstand die Objektivität des Verhandlungsrichters beeinträchtigt und daher zu einer völlig unhaltbaren Entscheidung geführt habe. Unbegründet sei auch die Befürchtung, Senatspräsident Dr. Wilhelm J***** sei befangen, weil er aufgezeigte Ablehnungsgründe übergangen habe. Gerade mit dem Argument der „überschießenden Sprache" habe sich der Senat 4 des Oberlandesgerichts Linz in seiner schriftlichen Beschlussausfertigung (4 R 128/06f S 8) hinreichend auseinandergesetzt. Der Klagevertreter habe allerdings kein Recht, dass auf seinerseits breit dargestellte Vorwürfe von den Gerichten in derselben Breite reagiert werde. Das Gericht treffe vielmehr die Pflicht, Entscheidungsgründe in gedrängter Darstellung abzufassen. Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Kläger.

Der Rekurs ist aus dem Grunde des § 24 Abs 2 JN zulässig (RIS-Justiz RS0043830); er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Oberlandesgerichts Linz sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass vollinhaltlich darauf verwiesen werden kann (§ 500a ZPO).

Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung ist ein Richter dann befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiven Merkmalen rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (Ballon in Fasching² § 19 JN Rz 5; RIS-Justiz RS0046052). Dabei genügt die Besorgnis, dass bei der Entscheidungsfindung andere als rein sachliche Überlegungen eine Rolle spielen könnten (Ballon aaO mwN); es reicht bereits aus, dass die Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss (Ballon aaO) oder dass der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (Ballon aaO; 7 Ob 529/94 ua). Im Interesse des Ansehens der Justiz ist bei der Prüfung der Befangenheit ein strenger Maßstab anzulegen (Mayr in Rechberger, ZPO³ § 19 JN Rz 4; Ballon in Fasching² § 19 JN Rz 5; RIS-Justiz RS0045949). Andererseits soll die Ablehnung nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines nicht genehmen Richters entledigen können; der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung in Ergänzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gebietet eine ausgewogene Vorgangsweise bei der Ablehnung (Ballon aaO; ÖJZ-LSK 1998/151). Die Erstattung - wenn auch allenfalls unbegründeter - Straf- und Disziplinaranzeigen gegen einen Parteienvertreter begründet keine Befangenheit (LGZ Wien EFSlg 82.040; LGZ Wien EFSlg 60.681 und EFSlg 85.123; OLG Wien EFSlg 85.122). Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass der abgelehnte Vorsitzende des Rechtsmittelsenats sich im Wesentlichen auf die wörtliche Wiedergabe der Ausführungen des Klagevertreters beschränkte. In Anbetracht der Intensität und Massivität der gegen den Verhandlungsrichter im Ablehnungsantrag erhobenen Vorwürfe ist die Vorgangsweise des Vorsitzenden des Rekurssenats, diese Äußerungen einer disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Überprüfung zuzuführen, nicht geeignet, Bedenken gegen dessen Unbefangenheit iSd § 19 JN zu wecken.

Die weiteren weitwendigen Rekursausführungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, die inhaltliche Unrichtigkeit der im Rekursverfahren gegen die Ablehnung des Erstrichters gefällten Entscheidung darzutun. Eine unrichtige Sachentscheidung kann aber grundsätzlich nicht zur Begründung der Befangenheit herangezogen werden (4 Ob 107/02t = EFSlg 101.513; 2 Ob 46/03h = EFSlg 105.429 ua). Erst eine besondere Intensität oder Häufung von Fehlern in der Verfahrensführung oder Rechtsanwendung könnten Rückschlüsse auf eine allfällige mangelnde Objektivität des Richters zulassen (2 Ob 46/03h; OLG Linz EFSlg 105.425 ua). Derartige Entscheidungsfehler werden von den Rekurswerbern aber nicht aufgezeigt. Insbesondere kann aus der nur eingeschränkten Zulassung von Fragen zur Aufklärung „der für die Beweiskraft der Aussagen wesentlichen Verhältnisse" (§ 341 Abs 1 iVm § 289 Abs 1 ZPO) in Anbetracht des dem Gericht bei der Aufnahme von Hilfs- und Kontrollbeweisen zukommenden Ermessens (dazu Rechberger in Fasching/Konecny² Vor § 266 ZPO Rz 35 aE; LGZ Graz MietSlg 48.655; LGZ Wien WR 834) weder einen Rückschluss auf die Voreingenommenheit des Erstrichters noch des Vorsitzenden des die Befangenheit des Erstrichters verneinenden Rekursgerichts abgeleitet werden. Der angefochtene Beschluss erweist sich sohin als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Stichworte