OGH 2Ob199/06p

OGH2Ob199/06p21.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Elena S*****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Sanatorium D*****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin, Rechtsanwälte KEG in Wien, und 2.) Dr. Rudolf H*****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen (ausgedehnt) EUR 201.873,76 sA, Rente und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 2006, GZ 1 R 53/06f-205, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Soweit in der Revision (der zweitbeklagten Partei) die bereits vom Berufungsgericht verworfenen Mangelhaftigkeiten erneut releviert werden, können diese im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg aufgegriffen werden (RIS-Justiz RS0106371; § 510 Abs 3 dritter Satz

ZPO).

Die in der Entscheidung 1 Ob 267/99t (SZ 72/164; RIS-Justiz RS0112629) herausgearbeiteten Haftungskriterien beim Belegarztsystem, welche vorrangig in der außerordentlichen Revision der erstbeklagten Partei als erhebliche Rechtsfrage releviert werden, spielen im vorliegenden Fall - wie von den Vorinstanzen bereits zutreffend erkannt wurde - schon deshalb keine Rolle, weil die Klägerin ja ohne Einschaltung (Einweisung) des Zweitbeklagten in die von der Erstbeklagten betriebene Privatklinik gekommen und dort wegen ihrer behaupteten Herzbeschwerden schließlich zur weiteren Abklärung stationär aufgenommen und damit ein zivilrechtlicher Behandlungsvertrag mit dem Krankenhausträger geschlossen worden war, sodass dieser für seine eingesetzten Ärzte und das sonstige medizinische Personal als Erfüllungsgehilfen zu haften hat (Reischauer, Die Arzthaftung in der Rechtsprechung, VR 1997, 141; Engljähringer, Ärztlicher Behandlungsvertrag, ÖJZ 1993, 488 ff; vgl RIS-Justiz RS0022961). Darüber hinaus kommt auch eine Haftung des Arztes, der als Erfüllungsgehilfe handelt, ex delicto in Betracht. Ein Spitalsärzten anzulastendes Fehlverhalten liegt dann vor, wenn diese nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen sind oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt haben (RIS-Justiz RS0038202).

Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes, welche das Berufungsgericht als unbedenklich übernommen hat, war das vom Zweitbeklagten, der von den die Klägerin im Nachtdienst aufnehmenden Hausärztinnen der Privatklinik nach hausinterner Üblichkeit als internistischer Facharztkollege kontaktiert worden war und die Klägerin hierauf auch persönlich untersucht bzw mit ihr gesprochen hatte, zur Verabreichung ausgewählte (antriebssteigernde) Antidepressivum Anafranil in der gegebenen Situation kontraindiziert; es hätte risikoärmere Medikamente gegeben und hätte „mit ein wenig Geduld" herausgefunden werden können, dass ein Sedativum, die Zuziehung eines Psychiaters oder aber ständige Überwachung der Klägerin ab 22.00 Uhr erforderlich gewesen wären. So aber wurde all dies unterlassen und war der spätere Sturz der Klägerin aus einem Fenster ihres Krankenzimmers im dritten Stock „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verkettung von Kausalitäten, deren Ausgangspunkt die Verabreichung von Anafranil war". Die bei der Klägerin durchlaufenen Nebenwirkungen (wechselnde Stadien eines Durchgangssyndroms, Verwirrtheitszustände und Realitätsstörungen, abwechselnd mit Zuständen einer zumindest scheinbaren Ruhe) scheinen auch sowohl im Beipackzettel des verabreichten Medikamentes als auch in dem allen Ärzten zur Verfügung stehenden Austria-Kodex auf. Unter diesen Gegebenheiten ist die Bejahung der Haftung beider beklagten Parteien - auch wenn der Sachverhalt in der Ausgangslage, nicht aber im Ablauf und den Schadensfolgen wesentlich von jenem der Entscheidung 7 Ob 245/05p (RdM 2006/51: Sturz eines schädelverletzten Patienten aus einem Toilettenfenster der Krankenhausstation) abweicht - keine nach § 502 Abs 1 ZPO vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichtes. Dass der Vertrag eines Patienten mit einer Krankenanstalt auf stationäre Behandlung neben der primär geschuldeten Heilbehandlung auch dessen sichere Beherbergung umfasst, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (RIS-Justiz RS0021902).

Angesichts der getroffenen Feststellungen zu den bereits jedem sorgfältigen Durchschnittsarzt bekannt sein müssenden Nebenwirkungen kann auch weder von einem „atypischen" Erfolgseintritt gesprochen werden noch ergeben sich Hinweise auf eine (speziell in der Revision des Zweitbeklagten monierte) zur Schadensteilung führende Mithaftung der Klägerin für ihren Fenstersturz. Für den (der Klägerin obliegenden) Beweis des Kausalzusammenhanges genügt es, wenn ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht wird (RIS-Justiz RS0026209), woran angesichts der wiedergegebenen vorinstanzlichen Feststellungen nicht gezweifelt werden kann.

Es handelt sich im Übrigen um eine typische Einzelfallbeurteilung, worauf das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend in seinem Nichtzulassungsausspruch hingewiesen hat.

Beide Revisionen sind daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO bedarf dies keiner noch weitergehenden Begründung.

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