Spruch:
Für die durch die strafgerichtliche Anhaltung des Mag. Arthur L***** vom 19. Dezember 2002 bis zum 4. März 2003 entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile liegen die im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG 1969 bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen nicht vor.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2002 verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über den am Vortag verhafteten Mag. Arthur L***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b und lit d StPO (ON 16), welche am 2. Jänner 2003 (ON 26) und am 27. Jänner 2003 (ON 50) aus den angeführten Haftgründen fortgesetzt wurde.
Den gegen die Beschlüsse vom 20. Dezember 2002 (ON 16) und vom 2. Jänner 2003 (ON 26) erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 16. Jänner 2003, AZ 19 Bs 3, 15/03, keine Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem bezeichneten Haftgründen an (ON 49). Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde gab der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom 19. März 2003, AZ 14 Os 29/03, keine Folge (ON 78). Am 4. März 2003 wurde der Beschuldigte enthaftet, weil im Hinblick auf das vom psychiatrischen Gutachter Univ. Doz. Dr. M***** erstattete Gutachten bei ihm die Voraussetzungen der Zurechnungsunfähigkeit iSd § 11 StGB vorlagen (S 3 l/I, S 171/II). In mehreren Eingaben begehrt der Angehaltene ua die Feststellung, dass seine Verhaftung gesetzwidrig erfolgt sei und im Übrigen für die gesamte Haftdauer die Voraussetzungen für eine Haftentschädigung vorliegen (ON 155, 160 und 166 iVm ON 79 und 92; insbesondere S 187/III).
Mit Beschluss vom 13. Februar 2006 (ON 181) verneinte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit b StEG 1969; der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 22. Juni 2006 keine Folge (AZ 21 Bs 207/06d).
Die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes für die begehrte Entscheidung nach § 2 Abs 1 lit a StEG 1969 ergibt sich gemäß § 6 Abs 1 StEG 1969 iVm § 14 StEG 2005 daraus, dass das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. Jänner 2003, AZ 19 Bs 3, 15/03 (ON 49) die Untersuchungshaft verlängert hatte (vgl 15 Os 62/05i). Dem Anspruchswerber wurde iSd § 6 Abs 3 StEG 1969 Gelegenheit zur Anhörung gegeben. Die Stellungnahme der Generalprokuratur wurde ihm zur Äußerung zugemittelt.
Über die vom Antragsteller vorgebrachten Anzeigen einer Ausgeschlossenheit bzw Befangenheit von Mitgliedern des Senats 14 entschied der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Oktober 2006, AZ 13 Ns 71/06d.
Die reklamierten Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG 1969 liegen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Der Antragsteller bringt vor, dass die ihm zur Last gelegten, gegen zwei Richterinnen, zwei Gerichtssachverständige und die Mutter seiner außerehelichen Tochter sowie deren Rechtsvertreterin gerichteten gefährlichen Drohungen - die er in seiner Stellungnahme zur Äußerung der Generalprokuratur freimütig zugibt (S 13 und 18 f der Eingabe:
„Ausrufung des Kriegszustandes mit jenen, die dahinter steckten"; vgl auch S 24 dieser Ausführungen) und damit die Tatbestandsmäßigkeit des inkriminierten Verhaltens nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB einräumt - durch Notwehr (§ 3 StGB) gerechtfertigt gewesen seien, weil wiederholte Hinweise, seine Tochter werde sexuell missbraucht, von den Gerichten nicht ernst genommen wurden. Daher habe weder ein dringender Tatverdacht noch ein Haftgrund vorgelegen. Solcherart wiederholt er nur die bereits in der Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Jänner 2003 dargelegten und in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 19. März 2003, AZ 14 Os 29/03, erwogenen (vgl ON 78) Argumente. Diesem Vorbringen trat schon der Gerichtshof zweiter Instanz in der Entscheidung vom 16. Jänner 2003, AZ 19 Bs 3, 15/03, mit dem Hinweis entgegen, dass der damalige Beschuldigte geradezu psychopathologisch auf eine Gefährdung seiner Tochter fixiert war, wobei die von Mag. Arthur L***** behaupteten Angriffe auf die sexuelle Integrität seiner Tochter nicht stattgefunden haben (vgl S 39 ff/II). Damit fehlte es objektiv an einer Nothilfesituation.
Eine Putativnothilfe iS eines den Tatverdacht ausschließenden Irrtums über einen rechtfertigenden Sachverhalt nach § 8 StGB - wie sie in der Stellungnahme zur Äußerung der Generalprokuratur eingewendet wurde - hätte vorausgesetzt, dass aus der Sicht des Antragstellers von den bedrohten Personen ein unmittelbar drohender Angriff gegen ein Rechtsgut seiner Tochter ausgegangen wäre. Mit Ausnahme der vom damaligen Beschuldigten des sexuellen Missbrauchs verdächtigten Mutter seiner Tochter fehlt aber ein derartiger Sachverhaltsbezug in den im Verfahren deponierten Darstellungen des nunmehrigen Feststellungswerbers. Selbst eine Sichtweise, wonach Mag. Arthur L***** den bedrohten Richterinnen eine Unterlassung gebotener Abwehrmaßnahmen zur Last gelegt habe (vgl Kienapfel/Höpfel AT11 Z 11 Rz 5) und diese Personen mit den inkriminierten Todesdrohungen zu einer aktiven Hilfeleistung bewegen wollte, vermag den für einen strafbefreienden Irrtum nach § 8 StGB notwendigen, auch aus der Sicht des Abwehrenden notwendigen Unmittelbarkeitsaspekt einer der Tochter durch das Verhalten der Richterinnen akut drohenden Übelszufügung nicht zum Ausdruck zu bringen. Um so weniger besteht daher ein aktenmäßiger Bezugspunkt für eine irrtumsbedingte Annahme einer Nothilfesituation iS einer unmittelbar bevorstehenden Rechtsgutbeeinträchtigung durch die gleichfalls in Furcht und Unruhe versetzten gerichtlichen Sachverständigen und durch die Rechtsvertreterin der Mutter des angeblichen Tatopfers. Davon abgesehen kommen die Rechtsfolgen des § 8 StGB nur insoweit zur Anwendung, als die vermeintlich in Nothilfe agierende Person im Rahmen jener Abwehr bleibt, die ihr die vermeintlich bestehende Nothilfesituation eröffnet (vgl Kienapfel/Höpfel AT11 Z 19 Rz 7; Fuchs AT I6 20/8; Lewisch in WK2 § 3 Rz 191). Selbst bei irriger Annahme eines unmittelbar drohenden Angriffs durch Unterlassen von Hilfsmaßnahmen der Pflegschaftsrichterinnen überschreiten die vorgeworfenen gefährlichen Drohungen indes das Maß notwendiger Verteidigung. Diese ist begrenzt mit jenem Eingriff, der den unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf die sexuelle Eigenbestimmung des Tatopfers verlässlich iS von sofort und endgültig abwehrt (vgl Kienapfel/Höpfel AT11 Z 11 Rz 13; Fuchs AT I6 17/31; Lewisch in WK2 § 3 Rz 85 ff). Eine solche - aus der Sicht des damaligen Beschuldigten gebotene - Abwehrhandlung hätte angesichts der bei dieser Sichtweise fehlenden direkten Einwirkung auf das Kind nur in der Ergreifung von Rechtsmitteln, in der Stellung neuer Anträge oder in der Einschaltung der Exekutive zur Abwendung unmittelbar drohender Beeinträchtigungen des Kindes bestehen können. Für einen (analog § 3 Abs 2 StGB zu prüfenden; vgl Lewisch in WK2 § 3 Rz 189; Fuchs AT I6 24/34; EvBl 1994/64) Putativnothilfeexzess hingegen fehlt es schon an einem hinreichenden Sachverhaltssubstrat in Richtung einer lediglich affektbedingten Überziehung des vermeintlichen Nothilferechts. Vielmehr spricht der in den Haftentscheidungen zum Ausdruck gebrachte gezielte Einsatz dieser Drohungen gegen eine Affektlage, vor allem aber gegen eine solche, die nur aufgrund von Bestürzung, Furcht oder Schrecken hervorgerufen worden wäre.
Soweit der Antragsteller eine zu oberflächliche Prüfung (iS einer fehlerhaften Begründung) des Tatverdachts vorbringt, zeigt er damit keinen Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 bzw 5a StPO auf. Nur solcherart könnte aber auf der Begründungsebene eine Gesetzwidrigkeit der Verhängung und Fortsetzung der Haft bewirkt worden sein. Gleiches gilt für die jeweils eigenständige Bewertung von im Akt befindlichen Beweisergebnissen, denen der Antragsteller eine aus seiner Sicht den Tatverdacht und die Haftgründe in Frage stellende Bedeutung zuerkennen will und auf deren Basis er die gesetzwidrige Unterlassung der (vom Erst- wie auch vom Beschwerdegericht mit anderen, weder Denkgesetzen noch Lebenserfahrung widersprechend begründeten Beweisergebnissen ausgeschlossenen; vgl S 8 in ON 49) Anwendung gelinderer Mittel reklamiert.
Der Auffassung des einen entsprechenden Verstoß monierenden Antragstellers zuwider lässt sich aus Art 5 MRK nicht ableiten, dass ein Verdächtiger vor der Verhaftung zu vernehmen sei; dass er unmittelbar nach seiner Verhaftung und auch vor der Verhängung der Untersuchungshaft (eingehend) vernommen wurde, bestreitet der Antragsteller gar nicht.
Die Kritik betreffend die Führung der Haftverhandlung vom 2. Jänner 2003 und das Vorbringen einer unzureichenden Vertretung durch den damals einschreitenden Pflichtverteidiger vermögen gleichfalls keine Gesetzwidrigkeit der Haft aufzuzeigen, legt doch der Antragsteller nicht dar, inwieweit er solcherart an der Geltendmachung von berechtigten Einwänden gegen die Fortsetzung der Haft auch im anschließenden, unter anderem von ihm selbst betriebenen Rechtsmittelverfahren gehindert gewesen wäre.
Eine nachfolgende Änderung der bis dahin als dringend eingestuften Verdachtslage und der Tatsachengrundlagen für die angenommenen Haftgründe bis zu der - unverzüglich nach Einlangen des eine Zurechnungsfähigkeit verneinenden psychiatrischen Gutachtens erfolgten (vgl dazu die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 2. Juli 2003, AZ 14 Os 90/03 - ON 90) - Enthaftung von Mag. Arthur L***** ist nach der Aktenlage nicht eingetreten; eine derartige geänderte Sachlage wurde seitens des Antragstellers auch nicht vorgebracht.
Angesichts der im Fall einer verdachtskonformen Verurteilung wegen der mehrfachen Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB aktuell gewesenen Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe und des Gewichts der wiederholten Drohungen war die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch keineswegs unverhältnismäßig.
Soweit sich der Angehaltene auch gegen den Verdacht eines ihm angelasteten Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB wendet, ist ihm zu entgegnen, dass dieser (erst nach seiner Freilassung in einem nachfolgend eingebrachten Strafantrag erhobene - vgl ON 131) Vorwurf den Haftentscheidungen nicht zugrunde lag. Da die strafgerichtliche Anhaltung des Mag. Arthur L***** weder gesetzwidrig angeordnet, noch verlängert wurde, war festzustellen, dass die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG 1969 betreffend den gesamten Haftzeitraum nicht vorliegen.
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