OGH 14Os29/03

OGH14Os29/0319.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer und Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richters Mag. Ottitsch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mag. Arthur L***** wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 241 Ur 291/02s des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 16. Jänner 2003, AZ 19 Bs 3, 15/03, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Mag. Arthur L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Die als "Ergänzung zur Grundrechtsbeschwerde" bezeichnete Eingabe vom 9. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2002 verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über Mag. Arthur L***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO (ON 16), welche am 2. Jänner 2003 aus den angeführten Haftgründen fortgesetzt wurde (ON 26).

Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 16. Jänner 2003 nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bezeichneten Haftgründen gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO mit Wirksamkeit bis 16. März 2003 an (ON 49).

Danach ist Mag. Arthur L***** dringend verdächtig, im November 2002 in Wien die in den Verfahren 16 P 99/00g und 16 C 52/02a des Bezirksgerichtes Josefstadt mit der Entscheidung über eine einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 2 EO befasst gewesenen Richterinnen Mag. A***** und Mag. C*****, ferner die im erstangeführten Verfahren tätig gewesenen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. F***** und Dr. G***** sowie (die außereheliche Kindesmutter) Doris N***** und deren Rechtsvertreterin Dr. Brigitte B***** mit dem Tode gefährlich bedroht zu haben, indem er

1. in einem am 5. November 2002 an das Bezirksgericht Josefstadt gerichteten, als "Protest und Warnung" überschriebenen Schriftsatz geäußert habe

"... Wer immer sich an meiner Tochter, Alina Marie Esther N*****, geboren 20. 7. 1998 vergeht oder vergangen hat, also in ihre psychische oder physische Integrität rechtswidrig und beachtlich eingegriffen hat oder dies tun wird, insbesondere auch sie im Hinblick auf die Begutachtung im Pflegschaftsverfahren zu manipulieren sucht, riskiert dabei sein jämmerliches erbärmliches Leben, das, oder was davon noch übrig ist, ich in Verfolgung meines obersten Lebenszieles fortan mit völlig legalen Mitteln und auf ganz legale Weise zu zerstören suchen werde. Das schwöre ich beim Leben meiner Tochter!"

2. in einem weiteren, mit 5. November 2002 datierten und als "Protest" sowie "Rekurs" titulierten Schriftsatz angeblich niederschrieb:

"... Jeder der mir in die Quere kommt, um mich daran zu hindern, das

aufzudecken und abzustellen, riskiert sein Leben. Denn es geht um

mein und das Leben meiner Tochter (§ 3 StGB)!"

"... Ich halte außerdem fest, dass meine Warnung im Schriftsatz vom

5. 11. 2002 sehr ernst gemeint war und dass ich sie im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, in dem ich auch jetzt bin, ausgesprochen habe und hiemit bekräftige."

3. in einem am 13. November 2002 über Mobiltelefon an Doris N***** übersendeten Short-Mail (SMS) dieser angekündigt habe:

"... Ich werde dich eines Tages töten. Das schwöre ich beim Leben Alinas.".

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen (in einer handgeschriebenen, 37 Seiten umfassenden Eingabe) erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Die wider den dringenden Tatverdacht gerichteten Einwände wiederholen zunächst lediglich den (auch vom Oberlandesgericht ausführlich erörterten) Standpunkt des Beschuldigten, er habe die ihm vorgeworfenen Äußerungen in Ausübung von Notwehr gemacht. Mit dessen Sachargumenten setzen sie sich aber überhaupt nicht auseinander. Im Weiteren bezeichnet der Beschwerdeführer das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Max F*****, welches die Befürchtungen, die unmündige Tochter werde seit Weihnachten 1999 wiederholt sexuell missbraucht, widerlegt, unsubstantiiert als unbegründet und widersprüchlich.

Ein solches Vorbringen entspricht jedoch nicht den Anforderungen des § 3 Abs 1 GRBG, wonach in der Beschwerde anzugeben und zu begründen ist, in welchen Punkten der angefochtenen Entscheidung der Beschuldigte eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit erblickt. Gleiches gilt für die wiederholte Bestreitung, das SMS vom 13. November 2002 an Doris N***** übersendet zu haben (S 71/II). Bloße spekulative Überlegungen über eine Urheberschaft dieses (die vorgeworfene Drohung enthaltenden) SMS von dritter Seite vermögen weder für sich allein noch im Zusammenhang mit dem sonstigen Vorbringen den vom Oberlandesgericht Wien begründet angenommenen dringenden Tatverdacht in Frage zu stellen. Auf die in der Beschwerde zitierten Eingaben und dort angesprochenen Vorgänge im Verfahren 16 P 99/00g des Bezirksgerichtes Josefstadt ist mangels Grundrechtsrelevanz hier nicht einzugehen.

Soweit der Beschuldigte die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über seinen Geisteszustand kritisiert, legt er nicht dar, inwieweit dadurch der dringende Tatverdacht, der auch im Fall eines allenfalls fortzuführenden vorläufigen Anhalteverfahrens gemäß § 429 StPO zu prüfen wäre, in Frage gestellt wird.

Das Vorbringen zu fehlenden Voraussetzungen für ein vorläufiges Anhalteverfahren nach § 429 StPO geht nicht vom Inhalt des (über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft absprechenden) angefochtenen Beschluss aus.

Die Vorwürfe unzureichender Begründung der angenommenen Haftgründe schlagen ebenso fehl. Sie lassen zum einen den nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO zu berücksichtigenden Verdacht mehrfacher Delinquenz außer Acht, zum anderen übergehen sie die vom Gerichtshof zweiter Instanz zur Begründung der Absicht des Beschuldigten, die Adressaten durch die angelasteten Drohungen in Furcht und Unruhe zu versetzen, hervorgehobenen bestimmten Tatsachen (S 41/II). Daran ändert auch der - in der Beschwerdeentscheidung keineswegs übergangene (S 45/II) - Umstand nichts, der Beschuldigte habe sich an die vom Bezirksgericht Josefstadt erlassene einstweilige Verfügung und an das für dieses Gerichtsgebäude ausgesprochene Hausverbot gehalten, weil Mag. L***** die ihm angelasteten gefährlichen Drohungen - ungeachtet aller gerichtlichen Anordnungen - auf schriftlichem und telefonischem Weg begangen haben soll. Der spezifische Drohinhalt, welcher aus der Sicht des Beschuldigten lediglich dazu dienen sollte, seine unmündige Tochter vor "neuerlichen sexuellen Missbräuchen" zu schützen, sowie die in mehrfachen, an das Gericht gesendeten Schriftsätzen zum Ausdruck gebrachten gefährlichen Drohungen und die nach der Aktenlage mutmaßlich vorliegende Persönlichkeitsstörung lassen mit Grund befürchten, Mag. L***** werde auf freiem Fuße ungeachtet des gegen ihn geführten Verfahrens weiterhin danach trachten, seinen Standpunkt neuerlich durch strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen durchzusetzen (vgl S 325/I), die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihm angelasteten wiederholten strafbaren Handlungen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeeinwände gegen den vom Oberlandesgericht gleichfalls begründet angenommenen Haftgrund der Tatausführungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit d StPO. Der in der angefochtenen Beschlussbegründung zutreffend dargestellten fehlenden Substituierbarkeit der Haftgründe durch gelindere Mittel (S 45/II) hält der Beschuldigte lediglich unsubstantiiert seinen gegenteiligen Standpunkt entgegen und verfehlt damit abermals eine gesetzesgemäße Ausführung der Grundrechtsbeschwerde. Die als Einschränkung seiner Verteidigungsrechte gerügte Vorgangsweise des Erstgerichts, nur dem Verteidiger, nicht aber dem Beschuldigten persönlich eine vollständige Aktenkopie zur Verfügung zu stellen, entspricht dem Gesetz (§ 45a StPO). Eine in diesem Zusammenhang erhobene Forderung auf Ermöglichung der umfassenden Selbstverteidigung ist im Grundrechtsbeschwerdeverfahren ohne Bedeutung und findet auch in Art 6 Abs 3 lit c MRK keine Stütze. Verteidiger ist - ungeachtet der Eintragung des Beschuldigten in die Liste der Wiener Rechtsanwälte (12 Os 5/02) - nur eine vom Beschuldigten verschiedene Person, die nicht bloß als dessen Vertreter schlechthin, sondern von ihm unabhängig als Organ der Strafrechtspflege einschreitet und die prozessualen Rechte nicht im Namen, sondern im Interesse des Beschuldigten ausübt (vgl Lohsing/Serini, Strafprozessrecht4 189; Roeder Strafverfahrensrecht2 119 f; 12 Os 5/02). Im Übrigen verpflichtet weder Art 6 Abs 1 MRK noch Art 90 Abs 1 B-VG zur Durchführung einer (volks-)öffentlichen Haftprüfungsverhandlung; dieses Publizitätserfordernis gilt lediglich für das Erkenntnisverfahren, sodass auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 182 Abs 1 StPO bestehen.

Soweit gegen die verspätete Ausfolgung einer Beschlussausfertigung über die Bestellung des Univ. Doz. Dr. Kurt M***** zum psychiatrischen Gutachter und gegen den Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 27. Jänner 2003 (ON 50) remonstriert wird, bedarf es teils mangels Grundrechtsrelevanz, teils wegen des Neuerungsverbots nach § 3 Abs 1 GRBG (Mayrhofer/E.Steininger GRGB § 3 Rz 10) keiner sachlichen Antwort. Im Hinblick darauf, dass die Grundrechtsbeschwerde nachträglich fristgerecht vom Verteidiger unterfertigt wurde, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den darin gegen diese (zwingende) formelle Voraussetzung des § 3 Abs 2 GRBG gerichteten Ausführungen.

Die unter Zugrundelegung einer vorweggenommenen Zurechnungsunfähigkeit des Beschuldigten vorgebrachte fehlende Verfassungskonformität des § 180 Abs 1 StPO geht nicht von den im angefochtenen Beschluss getroffenen Annahmen aus, wonach die bisherigen Verfahrensergebnisse (noch) kein ausreichendes Substrat für ein Vorliegen des Schuldausschließungsgrundes nach § 11 StGB bieten (S 43/II). Entgegen den Beschwerdeausführungen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die im § 180 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO dargestellten Haftgründe, welche lediglich die im Art 5 Abs 1 lit c MRK vorgegebenen Mindestvoraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft determinieren.

Die unbegründete Beschwerde war somit ohne Kostenausspruch (§ 8 GRGB) abzuweisen.

Eine ausgeführte Grundrechtsbeschwerde ist keiner Ergänzung zugänglich (vgl Mayrhofer/E.Steininger aaO Rz 26 und 28); die nachgereichte Eingabe des Beschuldigten vom 9. Februar 2003 war daher (ungeachtet des Formgebrechens einer fehlenden Unterfertigung durch den Verteidiger) als unzulässig zurückzuweisen.

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