OGH 10ObS179/06f

OGH10ObS179/06f5.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Ploteny (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Günter P*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2006, GZ 8 Rs 74/06y-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. März 2006, GZ 21 Cgs 243/05s-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Beide Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger besuchte von September 1965 bis 13. April 1966 - also insgesamt 7 1/2 Monate - den ersten Lehrgang der Höheren Technischen Bildungsanstalt in Kapfenberg.

Mit Bescheid vom 17. 10. 2005 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt fest, dass der Kläger bis zum Stichtag 1. 2. 2005 465 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung erworben habe. Die vom Kläger an der Höheren Technischen Bildungsanstalt im Zeitraum September 1965 bis April 1966 zurückgelegten Schulzeiten erkannte die Beklagte nicht als Ersatzzeiten iSd § 227 Abs 1 Z 1 ASVG an, weil kein volles Schuljahr vorliege.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage des Klägers mit dem Begehren auf Feststellung der Zeiten seines Schulbesuches von September 1965 bis April 1966 als Ersatzzeiten, für welche Beiträge anspruchs- und leistungsbegründend entrichtet werden können. Das Erstgericht stellte - in Wiederholung des bekämpften Bescheides - die vom Kläger bis zum 1. 2. 2005 nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten im Ausmaß von 465 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung fest. Das Mehrbegehren, die Zeiten des Schulbesuches in den Monaten September 1965 bis April 1966 als Ersatzzeiten, für welche anspruchs- und leistungsbegründend Beiträge entrichtet werden können, zu berücksichtigen, wies es ab. Das Erstgericht vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass § 227 Abs 1 Z 1 ASVG die Absolvierung eines vollen Schuljahres voraussetze. Eine Ausbildung, die - abgesehen von den normalen Ferien - nicht das ganze Jahre dauere, komme für eine Anrechnung als Ersatzzeit nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es vertrat mit ausführlicher Begründung zusammengefasst die Auffassung, dass die Entscheidung des Erstgerichtes dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 227 Abs 1 Z 1 ASVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspreche. Auch das Budgetbegleitgesetz 2003 habe keine Änderung dieser Rechtslage bewirkt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob seit der Erweiterung der Berücksichtigung von Schul- und Studienzeiten durch das Budgetbegleitgesetz 2003 auch einzelne Monate einer Schulausbildung als Ersatzzeiten angerechnet werden können, noch nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG in der vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2003 (BGBl I 2003/71) geltenden Fassung gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 „in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, die Zeiten, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine inländische öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete mittlere Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang, eine höhere Schule (das Lycee Francais in Wien), Akademie oder Kunsthochschule in dem für die betreffende Schul(Studien)art vorgeschriebenen normalen Ausbildungs(Studien)gang besucht wurde ...; hiebei werden höchstens ein Jahr des Besuches des Lehrlingsinstitutes für Dentisten in Wien, höchstens zwei Jahre des Besuches einer mittleren Schule, höchstens drei Jahre des Besuches einer höheren Schule (des Lycee Francais in Wien), Akademie oder verwandten Lehranstalt ... berücksichtigt, und zwar jedes volle Schuljahr, angefangen von demjenigen, das im Kalenderjahr der Vollendung des 15. Lebensjahren begonnen hat, mit acht Monaten, gerechnet ab dem in das betreffende Schuljahr fallenden 1. November,

...".

Es ist daher nach dieser Gesetzesstelle nicht der Schulbesuch schlechthin als Ersatzzeit zu berücksichtigen, sondern nur der, der die besondere Qualifikation dieser Gesetzesstelle aufweist. Zu dieser Qualifikation gehört aber, dass ein volles Schuljahr vorliegt, das nach der Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres begonnen hat. So zeigt insbesondere die im zweiten Halbsatz des § 227 Abs 1 Z 1 ASVG enthaltene Regelung über die Anrechnung und Lagerung von Zeiten des Schulbesuches (acht Monate ab 1. November), dass eine Teilberücksichtigung eines Schuljahres ausgeschlossen sein soll. Um einen Schulbesuch als einen solchen iSd § 227 Abs 1 Z 1 ASVG zu werten, muss daher zumindest ein volles Schuljahr vorliegen, das nach der Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres begonnen hat. Es entspricht somit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und auch des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Ausbildung, die - abgesehen von den üblichen Ferien - nicht das ganze Jahr dauert, weil der Versicherte kein volles Schuljahr absolviert hat, für eine Anrechnung als Ersatzzeit grundsätzlich nicht in Betracht kommt (SSV-NF 12/28; 5/60 mwN; vgl auch die Erkenntnisse des VwGH vom 26. 1. 2005, Zl. 2004/08/0229, vom 20. 12. 1994, Zl. 94/08/0115 und vom 12. 4. 1994, Zl. 93/08/0145 jeweils mwN; VwSlg 10.210 [A], 9.385 [A] mwN ua). Demgegenüber sieht beispielsweise die Sonderregelung des § 502 Abs 7 ASVG für den begünstigten Personenkreis der aus politischen oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung Geschädigten (§ 500 ASVG) ausdrücklich vor, dass bei der Anwendung der Vorschriften der Absätze 1 bis 5 § 228 Abs 1 Z 3 ASVG mit der Maßgabe gilt, dass Schuljahre, die aus einem der in § 500 ASVG genannten Gründe abgebrochen werden mussten, als vollendet gelten. Abgesehen von diesem ausdrücklich normierten Ausnahmefall kann nach der bereits dargestellten übereinstimmenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes nur der Besuch eines vollen Schuljahres eine Ersatzzeit begründen. Dabei ist weiters zu berücksichtigen, dass Schul- und Studienzeiten nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG jeweils nur in einem bestimmten (Höchst-)Ausmaß als Ersatzzeiten berücksichtigt werden (höchstens ein Jahr des Besuches des Lehrinstitutes für Dentisten in Wien, höchstens zwei Jahre des Besuches einer mittleren Schule, höchstens drei Jahre des Besuches einer höheren Schule usw). Diese Regelung betrifft das bei den Schul- und Studienzeiten zu berücksichtigende (Höchst-)Ausmaß an Versicherungszeiten, lässt aber die weitere Voraussetzung dass nur der Besuch eines vollen Schuljahres eine Ersatzzeit begründen kann, unberührt. Durch das Budgetbegleitgesetz 2003 (BGBl I 2003/71) wurde die Möglichkeit des „Nachkaufes" von Schul- und Studienzeiten (§ 227 Abs 1 Z 1 ASVG) erweitert. So wurde die bisher mit acht Monaten pro Schuljahr limitierte Ersatzzeitenanrechnung von Schul- und Studienzeiten im Hinblick auf den erhöhten Bedarf des „Nachkaufes" solcher Zeiten, um etwa in den Genuss der Schutzbestimmungen für Langzeitversicherte zu kommen, auf zwölf Monate pro Schuljahr erweitert. Im Hinblick auf diese erweiterte Berücksichtigung von Schul- und Studienzeiten als Versicherungszeiten wurden auch die Bestimmungen über die Lagerung dieser Zeiten („ab 1. November ...") durch das Budgetbegleitgesetz 2003 aufgehoben, da, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dadurch die Bestimmungen über die Lagerung dieser Zeiten überflüssig geworden waren. Bei Besuch von inländischen mittleren oder höheren Schulen im Sinne des Schulorganisationsgesetzes ist in Anlehnung an § 2 Schulzeitgesetz 1985 der Beginn der Ersatzzeit nunmehr grundsätzlich mit 1. September eines Jahres anzunehmen. Das Schuljahr endet daher jeweils mit 31. August des folgenden Jahres (vgl Teschner/Widlar/Pöltner, MGA, ASVG

95. Erg-Lfg Anm 8 zu § 227 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).

Voraussetzung für die Anrechnung von Schul- und Studienzeiten nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung („... und zwar jedes volle Schuljahr, angefangen von demjenigen, das im Kalenderjahr der Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres begonnen hat, mit zwölf Monaten ...") aber weiterhin, dass ein volles Schuljahr vorliegt, das nach der Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres begonnen hat. Insoweit hat die Regelung des § 227 Abs 1 Z 1 ASVG auch durch das Budgetbegleitgesetz 2003 keine Änderung erfahren. Da der Kläger die Höhere Technische Bildungsanstalt lediglich im Zeitraum September 1965 bis 13. April 1966 und somit unbestritten nicht durch mindestens ein volles Schuljahr besucht hat, kommt nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen eine Anrechnung von Ersatzzeiten dieser Schulzeiten nach § 227 Abs 1 Z 1 ASVG nicht in Betracht. Gegen diese Regelung über die Anrechnung von Ersatzzeiten bestehen auch im vorliegenden Fall keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl auch SSV-NF 9/49). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 1 und 2 lit b ASGG. Das Kostenersatzbegehren der beklagten Partei ist unberechtigt, weil der Versicherungsträger - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall der Verursachung von Verfahrenskosten durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung (§ 77 Abs 3 ASGG) - die ihm durch das Verfahren erwachsenen Kosten ohne Rücksicht auf dessen Ausgang selbst zu tragen hat. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dem unterlegenen Kläger nach Billigkeit einen Kostenersatz zu gewähren.

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