OGH 10ObS184/06s

OGH10ObS184/06s5.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Ploteny (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Veselko N*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifterstraße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Höhe der Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juli 2006, GZ 7 Rs 92/06k-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. März 2006, GZ 25 Cgs 102/05f-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes zu lauten hat:

„Das Begehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine höhere Versehrtenrente als die mit rechtskräftigen Bescheid vom 9. 3. 2004 im Ausmaß von 20 vH der Vollrente in Höhe von EUR 49,51 monatlich ab 1. 4. 2004 zuerkannte Versehrtenrente zu gewähren, wird abgewiesen.

Der Kläger hat seine Verfahrenskosten selbst zu tragen."

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. 1. 1982 geborene Kläger besuchte im Jahr 2002 an einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt die Fachschule für Elektronik, die er am 20. 6. 2002 mit einer Prüfung erfolgreich abschloss. Zur gleichen Zeit arbeitete er als geringfügig beschäftigter Verkäufer. Im Zuge dieser beruflichen Tätigkeit kam er am 8. 6. 2002 zu Sturz und erlitt dabei einen Bruch des rechten Außen- und Innenknöchels sowie einen Abrissbruch des hinteren Randes der peripheren Schienbeingelenkfläche. Es erfolgte eine operative Einrichtung des Bruches sowie eine Stabilisierung mittels Verplattung und Verschraubung am Innenknöchel. Nach knöcherner Heilung wurden im März 2004 die Metalle entfernt.

Die beklagte Partei anerkannte mit Bescheid vom 25. 3. 2003 den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall. Sie gewährte dem Kläger für den Zeitraum vom 9. 6. 2002 bis 11. 9. 2002 auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH eine vorläufige Versehrtenrente samt Zusatzrente in Höhe von EUR 365,84 monatlich, vom 12. 9. 2002 bis 31. 12. 2002 auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH eine vorläufige Versehrtenrente von EUR 48,78 monatlich sowie ab 1. 1. 2003 von EUR 49,02 monatlich. Die Bemessungsgrundlage gemäß § 179 Abs 1 ASVG wurde dabei mit EUR 5.121,72 festgestellt. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen. Mit Bescheid vom 9. 3. 2004 gewährte die beklagte Partei dem Kläger anstelle der vorläufigen Versehrtenrente ab 1. 4. 2004 eine Dauerrente von 20 vH der Vollrente in Höhe von monatlich EUR 49,51. Auch dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 9. 2. 2005 beantragte der Kläger eine Erhöhung der Versehrtenrente mit der Begründung, dass sich sein (unfallskausaler) Gesundheitszustand verschlechtert habe. Die beklagte Partei lehnte diesen Antrag des Klägers mit Bescheid vom 22. 3. 2005 gemäß § 183 ASVG ab, weil im Zustand der Unfallfolgen keine wesentliche Änderung eingetreten sei.

Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem sinngemäßen Begehren auf Gewährung einer höheren Versehrtenrente als Dauerrente. Er macht im Wesentlichen eine Verschlimmerung der Unfallsfolgen sowie eine höhere Bemessungsgrundlage für seinen Anspruch auf Versehrtenrente geltend. Da er sich zum Zeitpunkt seines Arbeitsunfalles noch in der Schulausbildung befunden habe, sei gemäß § 180 ASVG ab dem Zeitpunkt des voraussichtlichen Abschlusses der begonnenen Schulausbildung die Bemessungsgrundlage nach der Beitragsgrundlage zu errechnen, die für Personen gleicher Ausbildung durch Kollektivvertrag festgesetzt sei. Die Versehrtenrente sei daher auf der Grundlage des kollektivvertraglichen Mindestgehaltes, welches der Kläger in der Elektro- und Elektronikindustrie erzielt hätte, zu berechnen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 183 Abs 1 ASVG eingetreten sei. Im Übrigen sei eine Heranziehung des Kollektivvertrages für Angestellte in der Elektronikindustrie nach § 180 ASVG nicht gerechtfertigt, weil der Kläger auch seit dem Unfall nie in dieser Branche tätig gewesen sei. Es wäre daher entsprechend der tatsächlichen Beschäftigung des Klägers als Handelsangestellter im Rahmen der Bemessungsgrundlage nach § 180 ASVG nur die Heranziehung des Kollektivvertrages für Handelsangestellte gerechtfertigt.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 9. 2. 2005 für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 8. 6. 2002 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als Dauerrente auf der Basis einer für Angestellte in der Elektronikindustrie maßgebenden Bemessungsgrundlage von EUR 22.915,52 zu gewähren, und wies das darüber hinausgehende auf Gewährung einer höheren als einer 20 %igen Versehrtenrente gerichtete Mehrbegehren ab. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist hervorzuheben, dass sich eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallsfolgen beim Kläger gegenüber dem Vergleichsgutachten vom 25. 2. 2004 nicht objektivieren lässt und die unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit daher auch seit 9. 2. 2005 weiterhin 20 vH beträgt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass § 180 ASVG eine besondere Bemessungsgrundlage für Personen unter 30 Jahren vorsehe. § 180 Abs 1 ASVG sei auf Versicherte anzuwenden, die sich zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles - wie der Kläger - noch in einer Berufs- oder Schulausbildung befunden hätten. Die in dieser Bestimmung vorgesehene besondere Bemessungsgrundlage sei nach § 180 Abs 2 ASVG entsprechend auch für Versicherte anzuwenden, die zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles noch nicht 30 Jahre alt gewesen seien, sofern die Errechnung der Bemessungsgrundlage auf diese Art für den Versicherten günstiger sei. Auf Grund dieser den Versicherten begünstigenden Regelung des § 180 Abs 2 ASVG stehe die rechtskräftige Feststellung einer Bemessungsgrundlage im Bescheid der beklagten Partei vom 25. 3. 2003 dem Zuspruch einer Versehrtenrente auf der Basis einer höheren Bemessungsgrundlage vor Erreichung des 30. Lebensjahres nicht entgegen. Im vorliegenden Fall sei daher gemäß § 180 ASVG der Kollektivvertrag für Angestellte der Elektronikindustrie für die Berechnung der Bemessungsgrundlage maßgebend. Die dem Kläger zustehende Versehrtenrente sei daher auf der Basis dieser Bemessungsgrundlage von EUR 22.915,52 zu berechnen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob die besondere Bemessungsrundlage nach § 180 ASVG auch dann heranzuziehen sei, wenn der Versicherungsfall nicht im Rahmen der Berufs- oder Schulausbildung, sondern während einer anderen, davon unabhängigen beruflichen Tätigkeit eingetreten sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben. Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen die Bindungswirkung rechtskräftiger Bescheide des Trägers der Unfallversicherung nicht beachtet haben, und auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihren Revisionsausführungen zunächst geltend, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine Neubemessung der Versehrtenrente nur dann in Betracht komme, wenn eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten sei. Bei gleichbleibenden Verhältnissen hindere die Rechtskraft der Zuerkennungsentscheidung eine neue Bemessung der Versehrtenrente selbst dann, wenn sich im Nachhinein die materielle Unrichtigkeit der Vorentscheidung herausstelle. Keinesfalls könne das bloße Vertreten einer anderen Rechtsansicht durch den Versicherten einen Eingriff in die Rechtskraft einer Vorentscheidung rechtfertigen.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 183 Abs 1 erster Satz ASVG hat der Träger der Unfallversicherung auf Antrag oder von Amts wegen bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgeblich waren, die Rente neu festzustellen. Diese Bestimmung hängt unmittelbar mit der Rechtskraft von Bescheiden im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen. Es werden in dieser Norm bestimmte Voraussetzungen statuiert, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert, wobei sich § 183 Abs 1 ASVG nicht nur auf durch Bescheide der Unfallversicherung festgestellte Renten bezieht, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn ein Urteil oder Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 183 Abs 1 ASVG steht somit die Rechtskraft der Vorentscheidung (Bescheid, Urteil, Vergleich) einer Neubemessung im Wege. Es kann daher in diesem Fall auch eine ursprünglich unrichtige Entscheidung (zB über das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit) nicht im Wege des § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden (SSV-NF 15/47, 2/96 ua; RIS-Justiz RS0110119). Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung des Tatsachenkomplexes vorliegt, der für die (letzte) Feststellung der Rente maßgebend war, sind die Verhältnisse, die der früheren Entscheidung zugrundelagen, also bei einer bescheidmäßigen Feststellung die dem Bescheid zugrundegelegten Tatsachen, mit denen zu vergleichen, die zum nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt gegeben sind (SSV-NF 3/54 uva; RIS-Justiz RS0084151, RS0084226 ua). Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (§ 183 Abs 1 ASVG) im Sinne der vom Kläger noch in seiner Klage behaupteten Verschlimmerung der Unfallsfolgen tatsächlich nicht eingetreten ist. Hinsichtlich der für die Höhe der Versehrtenrente ebenfalls maßgebenden Bemessungsgrundlage ist davon auszugehen, dass die Versehrtenrente des Klägers (vorläufige Versehrtenrente) mit Bescheid vom 25. 3. 2003 in der Höhe von EUR 48,78 bzw ab 1. 1. 2003 von EUR 49,02 monatlich festgesetzt wurde, wobei in diesem Bescheid als Bemessungsgrundlage der Betrag von EUR 5.121,72 festgestellt wurde. Dieser Bescheid blieb unangefochten. Mit Bescheid vom 9. 3. 2004 gewährte die beklagte Partei dem Kläger diese vorläufige Versehrtenrente ab 1. 4. 2004 - ausgehend von einer unveränderten Bemessungsgrundlage - in der ebenfalls unveränderten Höhe von EUR 49,51 monatlich als Dauerrente. Auch dieser Bescheid blieb unangefochten. Seine Rechtskraft steht daher einer neuerlichen Überprüfung auch der Höhe der gewährten Rente entgegen.

Der Kläger hat im Bezug auf die Höhe der Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Versehrtenrente auch keinen Sachverhalt behauptet, aus dem sich im Sinne der vorstehenden Ausführungen die Voraussetzungen für die Durchbrechung der Rechtskraft dieser Entscheidung ergäben. Er beruft sich nur darauf, dass für die Berechnung der Höhe der Versehrtenrente nicht die den beiden rechtskräftigen Bescheiden zugrundeliegende (allgemeine) Bemessungsgrundlage nach § 179 Abs 1 ASVG, sondern die besondere Bemessungsgrundlage für Personen unter 30 Jahren nach § 180 ASVG heranzuziehen gewesen wäre. Selbst wenn es richtig sein sollte, dass die Festsetzung der Bemessungsgrundlage durch die beklagte Partei nach § 180 ASVG hätte erfolgen müssen und daher von einer höheren Bemessungsgrundlage auszugehen gewesen wäre, würde dies einen Eingriff in die Rechtskraft des Bescheides nicht rechtfertigen. Auch wenn die Höhe der Bemessungsgrundlage nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates nur eine Vorfrage für die Rentenhöhe bildet und somit allein nicht spruchmäßig feststellungsfähig ist (SSV-NF 18/16 mwN ua; RIS-Justiz RS0116477) wäre es am Kläger gelegen, die gegen die Höhe der Rente gerichteten Einwendungen bereits mit einer Klage gegen den Gewährungsbescheid vom 9. 3. 2004 (bzw den Bescheid über die Gewährung der vorläufigen Rente vom 25. 3. 2003) geltend zu machen; der objektive Sachverhalt hat sich nach den Klagebehauptungen seither nicht geändert. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes vermag auch die Bestimmung des § 180 Abs 2 ASVG, wonach § 180 Abs 1 ASVG entsprechend für Versicherte anzuwenden ist, die zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles noch nicht 30 Jahre alt waren, sofern die Errechnung der Bemessungsgrundlage auf diese Art für den Versicherten günstiger ist, eine Durchbrechung der Rechtskraft des Gewährungsbescheides vom 9. 3. 2004 nicht zu rechtfertigen, weil diese Bestimmung bereits im Zeitpunkt der damaligen Bescheiderlassung in Geltung gestanden ist und daher insoweit auch keine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Ein Fall des § 183 Abs 1 ASVG liegt somit auch in Bezug auf die Grundlagen der dem Bescheid vom 9. 3. 2004 zugrundeliegenden Berechnung der Höhe der Rentenleistungen nicht vor. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 183 Abs 1 ASVG steht aber die Rechtskraft dieser Vorentscheidung der vom Kläger angestrebten Neubemessung seiner Rentenleistungen entgegen (SSV-NF 17/78, 12/69 mwN). Da somit auf Grund der dargelegten Ausführungen auch die vom Kläger angestrebte Neufeststellung der bescheidmäßig gewährten Rente wegen einer behaupteten bereits ursprünglichen Unrichtigkeit der Ermittlung der Höhe der Leistung (bzw der dieser zugrundegelegten Bemessungsgrundlage) nicht in Betracht kommt, konnte seinem Klagebegehren auch in diesem Umfang schon deshalb kein Erfolg beschieden sein. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den weiteren Ausführungen in den Rechtsmittelschriften zur Frage der Anwendbarkeit bzw konkreten Anwendung der besonderen Bemessungsgrundlage nach § 180 ASVG im vorliegenden Fall konnte somit unterbleiben. Es war daher in Stattgebung der Revision der beklagten Partei spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Umstände, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit an den unterlegenen Kläger im Sinne dieser Gesetzesstelle rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

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