OGH 6Ob197/05x

OGH6Ob197/05x30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. O***** GmbH, *****, 2. S***** GmbH, *****, und der klagenden und gefährdeten Parteien 3. Mag. Johannes R*****, und 4. Dr. Thomas S*****, alle vertreten durch Dr. Hans Oberndorfer und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Parteien 1. Hochschülerschaft *****, und 2. Marco G*****, beide vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 4. August 2005, GZ 2 R 138/05k-9, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 20. Juni 2005, GZ 5 Cg 126/05g-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die dritt- und die viertklagende Partei sind schuldig, den Beklagten die mit 1.223,38 EUR (darin 203,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Im Juni 2002 schrieb die erstbeklagte Hochschülerschaft in einem nicht offenen Verfahren unter Zugrundelegung der ÖNORM A 2050 die Vergabe eines Auftrags zur Neuherstellung eines Internet-Portals aus. Mit der Durchführung der Ausschreibung hatte sie die A***** GmbH beauftragt. Zur Anbotslegung wurden sieben Unternehmen eingeladen, darunter die Rechtsvorgängerin der Erstklägerin (künftig nur: Erstklägerin).

Der Drittkläger ist der Geschäftsführer der Erstklägerin und mit Peter M*****, einem früheren Vorsitzenden der Erstbeklagten, persönlich bekannt. Diesem sandte er am 5. 6. 2002 folgendes E-Mail:

„Wir haben die Ausschreibungsunterlagen zur Einreichung für die Neuerstellung des ÖH-Portals erhalten. Kannst du mir einen kleinen Tipp geben, in welcher Budgethöhe das Ganze sich bewegt, würde uns beim Anbieten sehr weiterhelfen. Danke und liebe Grüße ...". Peter M***** antwortete am 10. 6. 2002: „Bin im Projekt leider nicht mehr involviert, das macht bereits das neue Team, kann dir daher inhaltlich kaum weiterhelfen, von dem abgesehen ist es meines Wissens eine gesetzlich normierte Ausschreibung, bei der es auch nicht ratsam wäre. Sorry ...". Peter M***** setzte am 24. 6. 2002 die Vorsitzende der Erstbeklagten von dieser Kontaktaufnahme in Kenntnis. Der Einladung zur Legung von Angeboten kamen drei Unternehmen nach. Als Bestbieter ging Mag. Hermann J***** als Inhaber des Unternehmens D***** hervor. Zweitbestbieter war die von der Erst- und von der Zweitklägerin gebildete Bietergemeinschaft, gefolgt von der Firma E*****. Der Viertkläger ist Geschäftsführer der Zweitklägerin. Er und der Drittkläger hegten damals Bedenken hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit des von Mag. Hermann J***** abgegebenen Angebots, weil dieser 50 %-iger Gesellschafter und Prokurist der die Ausschreibung durchführenden A***** GmbH ist. Letztere ist wiederum 27 %-ige Gesellschafterin der Firma E*****, bei der Mag. Hermann J***** Geschäftsführer und zu 5,4% Gesellschafter ist. Nachdem der Dritt- und der Viertkläger diese Verflechtungen aufgezeigt hatten, widerrief die Erstbeklagte die Ausschreibung mit der Begründung, dass nach Ausscheiden zweier Bieter nur noch die Bietergemeinschaft der Erst- und der Zweitklägerin als Bieter vorhanden sei, gegen die außerdem Bedenken bestünden, weil sich der Drittkläger um Informationen aus dem Bereich der Hochschülerschaft bemüht und die Zweitklägerin versucht habe, sich bei der ausschreibenden Firma A***** Informationen zu beschaffen. Mit Schreiben des Beklagtenvertreters vom 26. 6. 2002 wurde der Erstklägerin mitgeteilt, dass die Ausschreibung widerrufen wird. Darin wird unter anderem ausgeführt, „dass gegen ihre Bewerbung Bedenken bestehen, weil Ihr Herr R***** sich um Informationen aus dem Bereich der Hochschülerschaft bemühte, die Sie bei der Bewerbung bevorzugen sollten. Die Firma S***** GmbH (Anm: Zweitklägerin) versuchte sich bei der ausschreibenden Firma A***** Informationen zu beschaffen". Die Erst- und die Zweitklägerin hatten sich darauf verlassen, dass die Erstbeklagte die Ausschreibung korrekt gemäß ÖNORM durchführt. Sie brachten gegen die Erstbeklagte zu 2 Cg 29/03t des Landesgerichts Linz eine Schadenersatzklage über 17.962,05 EUR ein. In diesem Prozess brachte der Beklagtenvertreter am 17. 2. 2004 vor, „die Kläger wären verpflichtet gewesen, schon ihre Bedenken aus der Ausschreibung, welche sie dargelegt haben, der beklagten Partei unverzüglich mitzuteilen und dort authentisch der Aufklärung nachzukommen. Ein solches Verhalten hätte den Eintritt des Vertrauensschadens verhindert. ... dass sich die rechtliche Verpflichtung zur Aufklärung und zur Mitteilung der Bedenken aus den Grundsätzen des Schadenersatzrechtes ergibt. Insbesondere auch aus den Bestimmungen über Verschulden und Mitverschulden". Mit Zwischenurteil vom 22. 7. 2004 stellte das Landesgericht Linz fest, dass der Schadenersatzanspruch der dortigen Klägerinnen dem Grunde nach zu Recht besteht. Ausdrückliche Ausführungen zu einem Mitverschulden der Erst- und der Zweitklägerin finden sich in diesem Zwischenurteil nicht. Es enthält - im Zusammenhang mit dem Kontakt zwischen dem Drittkläger und Peter M***** - folgenden Satz: „Als bekannt darf vorausgesetzt werden, dass natürlich die Kenntnis der Budgethöhe einer Ausschreibung ein Hilfsmittel bei der Preisfindung für den Anbieter sein kann". Das Zwischenurteil erwuchs nach Bestätigung mit Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 2. 3. 2005 in Rechtskraft.

Die Erstbeklagte ist Herausgeberin, Verlegerin und Medieninhaberin

der Wochenschrift „ÖH-*****", ihrem offiziellen Organ. In der Ausgabe

Nr 12 vom 23. 5. 2005 und in der Ausgabe Nr 13 vom 30. 5. 2005 dieser

Zeitschrift erschien eine vom Zweitbeklagten - dem Vorsitzenden der

Erstbeklagten - verfasste „Stellungnahme zur ÖH Homepage". Darin

heißt es unter anderem: „ ... Im Juni 2002 schrieb die

Hochschülerschaft Linz durch die damalige Vorsitzende

EDV-Dienstleistungen zur Einrichtung eines Internet-Portals ÖH-

Linz-Web aus ... Da die ÖH und deren ehrenamtliche Mitarbeiterinnen

nicht über ein hinreichendes Know-how für eine solche Ausschreibung verfügen, wurde die Firma A***** in Linz damit beauftragt. Diese führte die Ausschreibung durch, verschwieg der ÖH aber, dass sie an zwei Unternehmen beteiligt ist, die sich im Ausschreibungsverfahren bewarben. Als die damalige ÖH-Vorsitzende dies erfuhr, hat sie richtig gehandelt und diese Anbieter aus dem Verfahren ausgeschlossen. R*****/S***** blieben somit als einzige Anbieter über. Diese hatten allerdings versucht, sich durch persönliche Bekanntschaft mit einem ehemaligen Hochschülerschaftsvorsitzenden wettbewerbswidrige Vorteile zu beschaffen, weshalb dann auch diese ausgeschlossen wurden und das Ausschreibungsverfahren abgebrochen wurde. ... Von der Firma A*****, die die Ausschreibung nicht ordnungsgemäß durchgeführt hatte, wurde das Honorar zurückgefordert, welches die ÖH auch zurückerhielt. R*****/S***** verlangten von der ÖH in der Folge einen weit überhöhten Schadenersatz, was wir grundsätzlich und in der Höhe ablehnten. R*****/S***** klagten den angeblich entstandenen Schaden ein. Die selektive Veröffentlichung von unvollständigen Verfahrensunterlagen soll die ÖH offensichtlich unter Druck setzen, überhöhte Forderungen anzuerkennen. Dass die Ausschreibung von A***** nicht korrekt durchgeführt wurde, ist offensichtlich. Das Gericht stellte daher fest, dass R*****/S***** grundsätzlich einen Schadenersatzanspruch haben. Ein Sachverständiger muss jetzt noch prüfen, wie hoch der Schaden tatsächlich sein kann. Das Gericht wird zu beurteilen haben, welchen Prozentsatz des vom Sachverständigen festzustellenden Schadens R*****/S*****, die offensichtlich wenigstens ein Mitverschulden trifft, ersetzt erhalten. Geklärt sind damit weder die Verschuldensfrage noch die tatsächliche Höhe des Anspruches, dh das Verfahren wird weiterhin noch einige Zeit dauern ....".

Zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruches beantragten der Dritt- und der Viertkläger, den Beklagten Behauptungen zu verbieten, wonach

Rechtliche Beurteilung

Wahre Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen fallen nicht unter § 1330 Abs 2 ABGB und können daher nach dieser Gesetzesstelle auch nicht untersagt werden. Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung und damit auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (6 Ob 93/98i = SZ 71/96; RIS-Justiz RS0031883).

Nach Auffassung des Rekursgerichts versteht ein unbefangener Durchschnittsleser die erste der beanstandeten Behauptungen dahin, die Kläger hätten durch eine unzulässige und verpönte Handlung - nämlich den Versuch, „sich durch persönliche Bekanntschaft mit einem ehemaligen Hochschülerschaftsvorsitzenden wettbewerbswidrige Vorteile zu beschaffen" - selber (berechtigten) Anlass für ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren und Widerruf der Ausschreibung gegeben. Es folgte damit dem Standpunkt der Kläger, die unter anderem damit argumentierten, die Ausdrücke „wettbewerbswidrig" und „offensichtliches Mitverschulden" ließen einen „Durchschnittsstudenten" die Äußerung als Vorwurf rechtswidrigen, illegalen, verpönten Verhaltens verstehen.

Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB und Werturteilen kann im Einzelfall schwierig sein. Entscheidend für die Qualifikation einer Äußerung als Tatsachenbehauptung ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist (RIS-Justiz RS0031815; RS0031883 [T30]).

Die Auffassung des Rekursgerichts wird den genannten Grundsätzen nicht gerecht.

Der beanstandete Artikel des Zweitbeklagten wendet sich an Studenten und ist ersichtlich von der Stellungnahme des Zweitbeklagten zu dem Schadenersatzprozess der Erst- und Zweitbeklagten gegen die Erstbeklagte gekennzeichnet, deren offizielles Organ die Zeitschrift ist, in der der Artikel erschien. Da der Zweitbeklagte schrieb, das Gericht habe festgestellt, dass „R*****/S*****" grundsätzlich einen Schadenersatzanspruch haben, ist vom Verständnishorizont eines Studenten durchaus klar, dass die beschriebene Kontaktaufnahme keinen berechtigten Anlass für den Ausschluss und den Abbruch des Vergabeverfahrens gegeben hat. Dass sie Anlass war, trifft nach den Feststellungen zu. Selbst wenn die geschilderte Kontaktaufnahme zur Erlangung „wettbewerbswidriger Vorteile" die Bedeutung haben sollte, dass damit der Vorwurf eines rechtswidrigen, illegalen, verpönten Verhaltens erhoben wird, so ist die Äußerung doch nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als wertende Meinungsäußerung anzusehen. Im Gesamtzusammenhang des Artikels ist in dem Vorwurf nur eine Äußerung einer bloßen subjektiven (kritisierenden) Wertung der Kontaktaufnahme und ihres Inhalts zu erblicken. Ob ein Verhalten in einem Vergabeverfahren wettbewerbswidrig ist oder eine Kontaktaufnahme auf Erlangung wettbewerbswidriger Vorteile gerichtet ist, kann nämlich nicht einfach aus dem Gesetz abgeleitet werden; eine Aussage darüber beruht daher auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung und gibt eine subjektive Überzeugung wieder, die nicht wahr oder unwahr sein kann (vgl SZ 72/118; RIS-Justiz RS0112211; RS0031675). Ehrenbeleidigend ist die Äußerung nicht, stellt sie doch einen angemessenen Kommentar eines tatsächlichen Vorfalles dar.

Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerber erkannte das Rekursgericht zutreffend - auf die zitierte oberstgerichtliche Rechtsprechung kann verwiesen werden -, dass im Schadenersatzprozess, den die Erst- und die Zweitklägerin gegen die Erstbeklagte führen, die Frage des behaupteten Mitverschulden nicht weiter zu prüfen war (und ist), nachdem das Zwischenurteil, das in seinem Spruch kein Mitverschulden feststellte, rechtskräftig geworden war. Wird nämlich Mitverschulden eingewendet, so kann ein Zwischenurteil nur dann gefällt werden, wenn gleichzeitig über die Mitverschuldensquote entschieden wird (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny2 § 393 ZPO Rz 8 mwN). Weil der Mitverschuldenseinwand nicht zu einem Ausspruch einer Mitverschuldensquote im Zwischenurteil führte, steht fest, dass der geltend gemachte Schadenersatzanspruch der Erst- und der Zweitklägerin dem Grunde nach zur Gänze zu Recht besteht.

Das Rekursgericht hat aber auch die weiter beanstandeten Äußerungen

zu Unrecht als Tatsachenbehauptungen eingestuft. Zur Abgrenzung

zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen im Sinn des § 1330

Abs 2 ABGB im Zusammenhang mit Rechtsfolgenbehauptungen vertritt der

Oberste Gerichtshof den Standpunkt, dass je nach der Lage des

Einzelfalls Äußerungen über die Rechtsfolgen einer bestimmten

Gesetzeslage einmal Tatsachenbehauptungen, ein anderes Mal aber auch

reine Werturteile sein können. Je weniger die zu beurteilende

Rechtsfolgenbehauptung nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen ist,

sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird ein reines Werturteil vorliegen (SZ 72/118; 6 Ob 266/00m; 4 Ob 105/06d; RIS-Justiz RS0112211).

Vom Verständnishorizont der angesprochenen Leser her gesehen gibt der Zweitbeklagte seine Rechtsauffassung wieder, dass das „R*****/S*****" im Artikel angelastete Verhalten ein Mitverschulden begründe und dieses im Schadenersatzprozess noch zu prüfen sei. Ob ein Verhalten eines Geschädigten dessen Mitverschulden begründet und ob die Rechtskraft eines Zwischenurteiles, das über einen Mitverschuldenseinwand nicht ausdrücklich abspricht, die Prüfung dieses Einwands ausschließt, kann nicht einfach aus dem Gesetz abgelesen werden; eine Aussage darüber beruht daher auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung und gibt eine subjektive Überzeugung wieder, auch wenn diese mangels Kenntnis irrig ist. Ob anders zu urteilen wäre, wenn dem Zweitbeklagten die Rechtslage bekannt gewesen wäre und er die Gegebenheiten bewusst falsch darstellen wollte, ist im vorliegenden Verfahren mangels entsprechender Feststellungen nicht zu erörtern.

Aus diesen Gründen war die den Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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