OGH 6Ob223/06x

OGH6Ob223/06x30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder Caroline (geboren 25. März 1992) und Sebastian (geboren 19. Februar 1994) G*****, beide vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, 6800 Feldkirch, Schlossgraben 1, über den Revisionsrekurs des Kindesvaters Günter M*****, vertreten durch die Sachwalterin Maja L*****, diese vertreten durch Mag. Dr. Manfred Schnetzer, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 2. Mai 2006, GZ 1 R 85/06t-U19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 8. März 2006, GZ 10 B 427/04f-U12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:

„Der Kindesvater wird beginnend mit 1. 1. 2003 für die Dauer der Leistungserbringung durch die Eidgenössische Invalidenversicherung seiner Unterhaltspflicht enthoben.

Das Begehren der Minderjährigen, den in der vor der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch am 10. 11. 2004 abgeschlossenen Vereinbarung festgelegten Unterhalt von EUR 118 beginnend mit 1. 2. 2003 auf EUR 160 monatlich zu erhöhen, wird abgewiesen."

Die Entscheidung über den Antrag des Kindesvaters auf Enthebung von der Unterhaltspflicht für den Zeitraum 1. 12. 2001 bis 31. 12. 2002 und auf Rückzahlung von EUR 8.599,09 zu viel bezahlten Unterhalts wird aufgehoben. Insoweit wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der Kindesvater ist aufgrund einer am 10. 11. 2004 vor der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch abgeschlossenen Vereinbarung ab 1. 11. 2004 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von EUR 118 je Kind verpflichtet.

Mit Antrag vom 25. 1. 2006 beantragte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch in Vertretung der Minderjährigen, die Unterhaltsleistung ab 1. 2. 2003 auf monatlich EUR 160 je Kind zu erhöhen. Die Sachwalterin des Kindesvaters beantragte die Enthebung von der Unterhaltspflicht. Der Kindesvater beziehe eine Invalidenpension von rund EUR 1.050 sowie eine Pension der PVA von monatlich EUR 145. Rechnerisch würde sich ein Unterhaltsanspruch von EUR 215 ergeben. Allerdings würden beide Kinder eine Kinderrente in Höhe von je EUR 420 erhalten, welche als Ersatz für die Unterhaltsverpflichtung des erwerbsunfähigen Vaters gegenüber seinen Kindern diene. Weiters beantragte die Sachwalterin die Verpflichtung der Minderjährigen zur Rückzahlung der seit 1. 12. 2001 bezahlten Unterhaltsbeiträge in Höhe von EUR 8.599,09 auszusprechen.

Das Erstgericht wies die Anträge des Kindesvaters ab und gab dem Unterhaltserhöhungsantrag statt. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Aufgrund einer Verfügung der Eidgenössischen Invalidenversicherung vom 15. 9. 2005 wurden dem Kindesvater folgende Rentenbeträge zugesprochen:

von 1. 1. 2003 bis 31. 12.2004 EUR 1.030

ab 1. 1. 2005 EUR 1.050

Mit Verfügung vom 23. 9. 2005 wurden den beiden Minderjährigen von

der Eidgenössischen Invalidenversicherung folgende Beträge als

Kinderrente zugesprochen:

von 1. 1. 2003 bis 30. 9.2003 EUR 371 je Kind

von 1. 10. 2003 bis 31. 12. 2004 EUR 410 je Kind

ab 1. 1. 2005 EUR 420 je Kind

Diesen Sachverhalt würdigte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht dahingehend, dass es sich bei der Kinderrente um „eigene Einkünfte" der Kinder iSd § 140 Abs 3 ABGB handle. Diese seien nach ständiger Rechtsprechung auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen. Nehme man das Einkommen in Höhe von EUR 420 je Kind und gehe man von einem Unterhaltsbedarf von EUR 735 monatlich aus, so verbleibe ein nicht durch ein Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von rund EUR 315, welcher anteilsmäßig auf beide Elternteile aufzuteilen sei.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahingehend ab, dass der monatliche Unterhaltsbetrag ab 1. 2. 2003 mit EUR 130 je Kind festgesetzt wurde. Der Antrag des Kindesvaters, ihn für die Dauer des Bezuges der Kinderrente durch die beiden Kinder von seiner Unterhaltsverpflichtung zu befreien, wurde abgewiesen, ebenso der Antrag des Kindesvaters auf Rückzahlung der von ihm seit 1. 12. 2001 bezahlten Unterhaltsbeiträge von EUR 8.599,09. Das Rekursgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, die Kinderrente sei als „eigene Einkünfte" iSd § 140 Abs 3 ABGB anzusehen. Entgegen der vom Kindesvater vertretenen Auffassung solle mit der direkten Auszahlung der Kinderrente nicht der Vater von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber den beiden Kindern vollständig entlastet werden. In Hinblick auf den Durchschnittsbedarf betrage der durch den anrechenbaren Teil der Kinderrente nicht gedeckte Unterhaltsbedarf der Minderjährigen jedoch nur rund EUR 130 monatlich. Mit Beschluss vom 3. 7. 2006 sprach das Rekursgericht aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Behandlung einer direkt ausbezahlten Kinderrente nach Schweizer Recht liege nicht vor.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (vgl Neuhauser in Schwimann, ABGB³ § 140 Rz 85; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 334

ff) sind „eigene Einkünfte" iSd § 140 Abs 3 ABGB alle tatsächlichen Leistungen, die das nicht selbsterhaltungsfähige Kind aufgrund eines Anspruches erhält. Ausgenommen von der Berücksichtigung sind gesetzlich ausdrücklich als nicht anrechenbar bezeichnete Einkünfte sowie jene Sozialleistungen, die der Deckung eines bestimmten Sonderbedarfes dienen (vgl Neuhauser aaO).

Nach Art 35 des Schweizer Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) haben Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung beanspruchen könnte, Anspruch auf Kinderrente (Abs 1). Die Kinderrente wird wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört, wobei der Bundesrat allerdings die Auszahlung namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe abweichend regeln kann (Abs 4).

Nach Art 20 Abs 1 des Schweizer Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) können Geldleistungen ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern (a) die berechtigte Person die Geldleistungen nicht für den eigenen Unterhalt oder den Unterhalt von Personen, für die sie zu sorgen hat, verwendet oder dazu nachweisbar nicht im Stande ist; und (b) die berechtigte Person oder Personen, für die sie zu sorgen hat, aus einem Grund nach Buchstabe a auf die Hilfe der öffentlichen oder privaten Fürsorge angewiesen sind. Nach Art 285 Abs 2 Schweizer Zivilgesetzbuch (ZGB) sind Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten oder ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt. Nach Art 285 Abs 2bis Schweizer ZGB hat der Unterhaltsberechtigte, wenn er infolge Alter oder Invalidität nachträglich Sozialversicherungsrenten oder ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die Erwerbseinkommen ersetzen, erhält, diese Beträge dem Kind zu zahlen; der bisherige Unterhaltsbeitrag vermindert sich von Gesetzes wegen im Umfang dieser neuen Leistungen.

Nach einer Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch (EFSlg 99.985) zur vergleichbaren Rechtslage nach liechtensteinischem Recht ist die Kinderrente mit einem aufgrund der § 17 Abs 1, § 18 Abs 1 Z 1 und § 25 Abs 3 PensionsG ausbezahlten (Halb-)Waisenversorgungsgenuss zu vergleichen, der als öffentlich-rechtliche Sozialleistung als Eigeneinkommen des Kindes und nicht als den Unterhaltsanspruch nicht berührende Drittleistung angesehen werde. Ein solcher Waisenversorgungsgenuss solle in erster Linie nach dem Ableben des Elternteils die Ansprüche des Kindes gegen diesen Elternteil decken, sodass er von der Seite der Bedürfnisse des Kindes her zu berücksichtigen sei.

In der Entscheidung 9 Ob 222/02s hatte der Oberste Gerichtshof bereits eine vergleichbare Konstellation zum Schweizer Invalidenversorgungsgesetz zu beurteilen. Darin führte der Oberste Gerichtshof aus, dass einiges für die Rechtsauffassung der Vorinstanzen spreche, dass die vom Minderjährigen aus Liechtenstein bezogene Kinderrente als Eigeneinkommen zu beurteilen sei. Eine abschließende Klärung könne jedoch unterbleiben, weil der Revisionsrekurs nicht aufzuzeigen vermochte, inwieweit sich im konkreten Einzelfall bei Anrechnung der Kinderrente als Eigeneinkommen eine Reduktion der Unterhaltspflicht ergebe. Entscheidend für die Anrechenbarkeit oder Nichtanrechenbarkeit „eigener Einkünfte" des Kindes iSd § 140 Abs 3 ABGB ist, sofern keine ausdrückliche gesetzliche Anordnung vorliegt, der Zweck der jeweiligen Leistung. Im vorliegenden Fall handelt es sich nach dem insoweit maßgeblichen Schweizer Recht um einen Anspruch des Vaters, wobei die Leistung aber direkt an die Kinder ausbezahlt wird. In Zusammenhalt mit Art 285 Abs 2bis ZGB, wonach sich der bisherige Unterhaltsbeitrag von Gesetzes wegen im Umfang dieser (neuen) Leistungen vermindert, ist davon auszugehen, dass die Kinderrente nach Schweizer Recht den Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht in diesem Ausmaß entlasten soll (vgl auch Breitschmid in Basler Kommentar zum ZGB² Art 285 Rz 31). Insoweit entspricht die vorliegende Konstellation den bereits mehrfach vom OGH beurteilten Familienzulagen für EG-Beamte (vgl Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 344; 10 Ob 508/94; 3 Ob 216/00m). Hierzu hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 216/00m ausgesprochen, dass durch die Überweisungen der Europäischen Kommission die Unterhaltsverpflichtung im entsprechenden Umfang erfüllt wurde. Damit erweist sich der vom Kindesvater gestellte Herabsetzungsantrag grundsätzlich als berechtigt. Dabei war aber zu berücksichtigen, dass nach der Aktenlage für den Zeitraum 1. 12. 2001 bis 31. 12. 2002 eine Kinderrente von monatlich SFR 565 je Kind nachträglich gewährt wurde (AS 41). Den Feststellungen der Vorinstanzen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob auch diese Kinderrente direkt an die Minderjährigen ausbezahlt wurde oder nicht. In diesem Umfang wird das Erstgericht daher das Verfahren entsprechend zu ergänzen haben. Hinsichtlich des Zeitraums ab 1. 1. 2003 konnte der Oberste Gerichtshof hingegen aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes bereits in der Sache selbst entscheiden.

Aufzuheben war auch die meritorische Entscheidung der Vorinstanzen über das Begehren auf Rückzahlung angeblich zu Unrecht bezahlter Unterhaltsbeträge. Dabei handelt es sich um einen Bereicherungsanspruch nach § 1435 ABGB, der im Streitverfahren geltend zu machen ist (Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 852; 4 Ob 293/00t). Allerdings ist gemäß § 40a JN nicht die Bezeichnung der Verfahrensart durch die Partei, sondern der Inhalt des jeweiligen Begehrens und des Vorbringens maßgeblich. Ist zweifelhaft, welches Verfahren anzuwenden ist, hat das Gericht darüber mit selbstständig anfechtbarem Beschluss zu entscheiden.

In Hinblick auf diese Rechtslage wird das Erstgericht daher den Kindesvater zur Äußerung und gegebenenfalls Verbesserung des Rückzahlungsantrags im Sinne der Inhaltsvorschriften für eine Klage (§ 226 ZPO) anzuhalten haben und sodann gegebenenfalls den Antrag der geschäftsordnungsgemäßen Behandlung im Streitverfahren zu unterziehen haben. Auf die materiellen Grundsätze für einen derartigen Rückforderungsanspruch (dazu Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 845 ff) ist im derzeitigen Verfahrensstadium daher nicht einzugehen.

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