OGH 6Ob250/06t

OGH6Ob250/06t30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. Erich G*****, 2. Ö*****T*****, beide vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Parteien S*****Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Barbara John-Rummelhardt und Dr. Günther R. John, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs (Streitwert im Provisorialverfahren 19.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 3. Juli 2006, GZ 5 R 51/06s-9, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 7. Februar 2006, GZ 34 Cg 83/05w-5, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden in den angefochtenen antragsstattgebenden Teilen und in der Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass (auch) der Antrag der klagenden Parteien, der Beklagten werde zur Sicherung des mit Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs geboten, die Verbreitung der Behauptung sowie sinngleicher Behauptungen zu unterlassen, der Erstkläger habe am 10. November 2005 in der TV-Sendung „Willkommen Österreich" vor laufenden Kameras den Tod bedrohter Tierarten gefordert und geäußert, dass Tiere, deren Lebensraum durch den Menschen zerstört sei, selbstverständlich weg müssten, abgewiesen wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 2.926,44 EUR (darin 487,74 EUR USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen des Provisorialverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Erstkläger ist Präsident des zweitklagenden Tierschutzvereins. Die Beklagte ist Betreiberin des Tiergartens Schönbrunn. Am 10. 11. 2005 war der Erstkläger in der ORF-Sendung „Willkommen Österreich" zum Thema „Sind Tiergärten noch zeitgemäß?" zu Gast. Auf die Frage des Moderators, ob Zoos für die Erhaltung von Tierarten sorgen, antwortete der Erstkläger, das sei ein Irrweg, denn es mache keinen Sinn, eine Art zu erhalten, die keinen natürlichen Lebensraum mehr habe, nur damit die Nachkommen auf ewig in Käfigen sitzen. Das sei Tierquälerei. Als Beispiel für Tierrassen, die keinen Lebensraum mehr in der Natur hätten, weil ihnen die Menschen den Lebensraum genommen hätten, nannte der Erstkläger den sibirischen Tiger. Dieser habe nicht mehr genügend Lebensraum, er werde daher in der Natur aussterben. Auf die Frage des Moderators, ob er dafür plädiere, den sibirischen Tiger aussterben zu lassen und ihn nicht in Zoos zu erhalten, antwortete der Erstkläger: „Selbstverständlich, denn das ist Tierquälerei, wenn ich jetzt die Jungen des sibirischen Tigers beispielsweise auch in zehn, zwanzig, fünfzig, hundert Jahren immer nur im Tiergarten im Käfig zeige". Auf die weitere Frage des Moderators, ob es denn gescheiter wäre, die Tierrasse aussterben zu lassen, antwortete der Erstkläger: „Absolut, natürlich". Am 11. 11. 2005 erschien auf der Website der Beklagten unter der Überschrift „Österreichischer Tierschutzverein": „Bedrohte Tiere sollen aussterben!" ein Artikel, in dem die Beklagte auf die Fernsehsendung Bezug nahm und ausführte, dass der Erstkläger als Präsident des Zweitklägers „vor hunderttausenden fassungslosen Zusehern" gefordert habe, „man solle bedrohte Tiere, wie zB den sibirischen Tiger" aussterben lassen. Da in vielen Fällen der Lebensraum durch den Mensch zerstört sei, hätten die Tiere keinen Platz mehr und müssten „selbstverständlich" weg. Weiters führte die Beklagte aus: „Mit diesen unglaublichen Aussagen ist der erbitterte und infame Kampf, den G***** und sein Verein seit Jahren gegen Tiergärten führen, endlich zu verstehen. ......... Die Forderung nach dem Tod bedrohter Tierarten vor laufenden Kameras ist wohl die Schlussfolgerung dieser Geisteshaltung und überrascht angesichts der getroffenen Aussage nicht mehr wirklich. Bleibt die Frage, wie die vielen Millionen Euro, die Tierschützer an G***** und seine Organisation spenden, eigentlich verwendet werden. Zumal auf der Homepage des Vereins fleißig für die Erhaltung von Lebensräumen in Indien, Borneo und so weiter gesammelt wird."

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragten die Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, die Verbreitung der Behauptung sowie sinngleicher Behauptungen zu unterlassen, der Erstkläger habe am 10. 11. 2005 in der TV-Sendung „Willkommen Österreich" gefordert, man solle bedrohte Tiere - wie zB den sibirischen Tiger - aussterben lassen, habe den Tod bedrohter Tierarten vor laufenden Kameras gefordert und geäußert, dass Tiere, deren Lebensraum durch den Menschen zerstört sei, selbstverständlich weg müssten. Die von der Beklagten wiedergegebenen Äußerungen seien unwahr. Der Erstkläger habe weder vor laufenden Kameras den Tod der bedrohten Tierarten gefordert noch behauptet, diese Tiere müssten selbstverständlich weg. Die Behauptung der Beklagten sei kreditschädigend, weil die Kläger auf Spenden und Zuwendungen von Unterstützern angewiesen seien. Ihr Image werde durch die Äußerungen der Beklagten beschädigt.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Die Ausführungen auf ihrer Website seien nicht unwahr. Sie hätten zumindest einen wahren Tatsachenkern. Natürliche Konsequenz des Aussterbenlassens einer Tierart anstelle ihres Schutzes sei deren Tod. Der Erstkläger habe de facto dazu aufgerufen, sich nicht für Artenschutz einzusetzen, sondern die Tiere aussterben zu lassen. Die Formulierung von Frage und Antwort in der Sendung mache deutlich, dass er die auf der Website wiedergegebene Forderung erhoben habe. Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung antragsgemäß. Überschrift und Inhalt der beanstandeten Website erweckten beim Leser den ehrenbeleidigenden und kreditschädigenden Eindruck, der Erstkläger als Präsident des zweitklagenden Tierschutzvereins lehne die Erhaltung bedrohter Tierarten ab und fordere sogar deren Eliminierung. Die unvollständig zitierten Aussagen schädigten auch den Kredit des Zweitklägers, der von Spenden und freiwilligen Helfern abhängig sei, um seinen Vereinszweck zu erreichen.

Das Rekursgericht änderte insoweit ab, als es der Beklagten die Verbreitung der Behauptung sowie sinngleicher Behauptungen verbot, der Erstkläger habe den Tod bedrohter Tierarten vor laufenden Kameras gefordert und geäußert, dass Tiere deren Lebensraum durch den Menschen zerstört sei, selbstverständlich weg müssten. Das Mehrbegehren, die Verbreitung der Behauptung sowie sinngleicher Behauptungen zu verbieten, der Erstkläger habe gefordert, bedrohte Tiere aussterben zu lassen, wies es ab. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und - über Abänderungsantrag der Beklagten - dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Aussagen der Beklagten durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sein könnten. Der beanstandete Text der Website entspreche zwar den Äußerungen des Erstklägers insoweit, als dieser die Auffassung vertreten habe, man solle bedrohte Tierarten wie zB den sibirischen Tiger aussterben lassen, weil die Haltung in Zoos für ihn keine Alternative zum Leben der Tiere in freier Natur sei. Insoweit sei der Sicherungsantrag nicht berechtigt. Allerdings gewinne der Leser fälschlicherweise auch den Eindruck, der Kläger würde generell und in jedem Fall den Tod bedrohter Tierarten fordern und würde dies sogar durch einen Beitrag fördern. Dieser unrichtige Eindruck stehe mit Ziel und Zweck des Zweitklägers in Widerspruch, könne den Kredit der Kläger schädigen und sei auch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt. Die beanstandete Behauptung lasse nämlich weder eine bloß wertende Äußerung der Beklagten zu einer Meinung der Kläger erkennen, noch mache sie die Kernfrage (Berechtigung von Zoos) zum Gegenstand.

Die Teilabweisung des Sicherungsbegehrens ist in Rechtskraft erwachsen.

Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Rekursgericht die Grundsätze der Rechtsprechung zum Recht auf freie Meinungsäußerung unrichtig angewendet hat; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. § 1330 ABGB schützt die Ehre von Personen (Abs 1) und ihren Ruf (Abs 2). Abs 1 erfasst Ehrenbeleidigungen, die zugleich Tatsachenbehauptungen sein können, Abs 2 hingegen nur unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile. Das Recht auf freie Meinungsäußerung deckt unwahre Tatsachenbehauptungen nicht. Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen beinhalten, dürfen daher nicht schrankenlos geäußert werden; allerdings müssen selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hingenommen werden, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (stRsp zuletzt 6 Ob 159/06k mwN).

2. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten (stRsp RIS-Justiz RS0031883). Gleiches gilt für die Frage, welcher Bedeutungsinhalt der Äußerung entnommen wird. Sie ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - hier Besucher der Homepage der Beklagten - bei unbefangener Auslegung verstanden wird (6 Ob 295/03f; RIS-Justiz RS0031815 und RS0115084). Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f = MR 2005, 371 mwN).

Unwahr ist eine Behauptung, wenn ihr sachlicher Kern nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die Unrichtigkeit kann sich auch aus der Unvollständigkeit des bekanntgegebenen Sachverhalts ergeben, wenn dadurch ein unrichtiger Eindruck erweckt wird (6 Ob 295/03f).

3. Auch der EGMR unterscheidet zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen und misst bei Beurteilung der Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im Zusammenhang mit Werturteilen am Vorhandensein eines ausreichenden (und richtigen) Tatsachensubstrats (EGMR MR 2005, 86; MR 2005, 465). Er prüft auch im politischen Meinungsstreit, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliegt, weil auch ein Werturteil ohne unterstützende Tatsachengrundlage exzessiv sein kann (EGMR MR 2001, 89; MR 2002, 84; MR 2002, 149). In diesem Sinn hat der erkennende Senat erst jüngst darauf hingewiesen (6 Ob 273/05y mwN; 6 Ob 159/06k), dass auch eine in die Ehre eingreifende politische Kritik auf Basis unwahrer Tatsachenbehauptungen gegen § 1330 ABGB verstößt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung findet in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung.

4. Nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0054817, RS0115541, RS0082182) werden bei Politikern die Grenzen erheblich weiter gezogen als bei Privatpersonen. Der Politiker muss ein größeres Maß an Toleranz zeigen und zwar insbesondere dann, wenn er selbst öffentlich Ankündigungen tätigt, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 83/04f = MR 2004, 325 mwN; zuletzt 6 Ob 159/06k). Dieser Grundsatz gilt auch für Privatpersonen und Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne betreten (6 Ob 245/04d; RIS-Justiz RS0115541) oder sich an einem in der Öffentlichkeit ausgetragenen Meinungsstreit beteiligen.

5. Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an so ist das Sicherungsbegehren nicht berechtigt.

Die Behauptung der Beklagten, der Erstkläger habe den Tod bedrohter Tierarten gefordert und geäußert, dass Tiere, deren Lebensraum durch den Menschen zerstört sei, selbstverständlich weg müssten, erfolgte im Rahmen einer öffentlich geführten und den Lesern der Website zweifellos bekannten Meinungsstreits über Sinn und Zweck von Tiergärten. Der Erstkläger ist zu diesem Thema selbst wie auch als Präsident des zweitklagenden Vereins in der Öffentlichkeit aufgetreten und hat drastisch und in kritischer Form die Sinnhaftigkeit von Tiergärten bestritten. Die Wiedergabe seiner Aussagen ist in ihrem Kern auch richtig. Der Erstkläger vertrat nämlich in der Fernsehsendung zum Thema „Sind Tiergärten noch zeitgemäß" die Auffassung, es sei ein Irrweg, Tierarten in Zoos zu erhalten; es mache keinen Sinn, eine Art zu erhalten, die keinen natürlichen Lebensraum mehr habe; das sei Tierquälerei. Als Beispiel nannte er den sibirischen Tiger, der in der Natur aussterben werde, weil die Menschen ihm den Lebensraum genommen hätten. Auf Frage des Moderators, ob er dafür plädiere, den sibirischen Tiger aussterben zu lassen und ihn nicht in Zoos zu erhalten, antwortete der Erstkläger mit „selbstverständlich", denn das sei Tierquälerei, wenn man die Jungen noch in Jahrzehnten immer nur im Tiergarten im Käfig zeige. Auf die Frage des Moderators, ob es dann „gescheiter" sei, die Tiere aussterben zu lassen, meinte der Kläger „absolut, natürlich". Die Beklagte nahm auf ihrer Website zu diesen Aussagen kritisch Stellung, wobei die Leser aus dem Gesamtzusammenhang ihrer Darstellung erkennen konnten, dass es bei der Fernsehsendung um die Fragwürdigkeit von Tiergärten ging, der Erstkläger gegen die Sinnhaftigkeit dieser Einrichtungen auftritt und seine Aussagen im Zusammenhang mit dieser Auffassung (Tiergärten seien abzulehnen) stehen. Die Wiedergabe seiner Äußerungen auf der Website der Beklagten ist daher im Kern richtig. Dass der Erstkläger die Ausrottung bedrohter Tierarten geradezu fordere und selbst einen Beitrag dazu leiste, werden die Leser nach dem Gesamtzusammenhang der Veröffentlichung nicht annehmen.

Das Sicherungsbegehren ist somit nicht berechtigt. Dem Revisionsrekurs der Beklagten wird Folge gegeben und der Sicherungsantrag abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 ZPO.

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