OGH 4Ob162/06m

OGH4Ob162/06m21.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Egon Engin-Deniz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 34.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. Juni 2006, GZ 5 R 104/06k-12, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. April 2006, GZ 39 Cg 4/06s-7, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die den Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichts einschließlich ihres bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.102,66 EUR (darin 517,11 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile stehen in einem Wettbewerbsverhältnis. Sie strahlen Fernsehprogramme in Österreich aus und bieten die Möglichkeit, in ihren Programmen Werbezeiten gegen Entgelt in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte - ein Unternehmen des Premiere-Konzerns - produziert und vertreibt speziell für den österreichischen Markt Pay-TV-Programme. Voraussetzung für den Empfang der verschlüsselten Premiere-Programme ist ein geeigneter Digitalreceiver, konkret ein Receiver mit dem Verschlüsselungssystem „Nagravision". Er ist für den Empfang aller drei empfangbaren digitalen TV- und Radiosatellitenprogramme wie auch der (verschlüsselten) Programme Premiere, ORF digital und ATV plus geeignet. Auf dem österreichischen Markt sind auch Receiver mit dem Verschlüsselungssystem Cryptoworks und Free-to-Air-Receiver erhältlich. Mit den letztgenannten können nur die frei empfangbaren digitalen TV- und Radioprogramme empfangen werden, nicht auch die verschlüsselten Programme wie ORF digital, ATV plus, Easy-TV und Premiere. Free-to-Air-Reveiver sind ab 39,99 EUR, somit zu einem deutlich günstigeren Preis erhältlich als Receiver mit Verschlüsselungssystem. Sie sind für verschlüsselte Programme ungeeignet und werden daher nicht gemeinsam mit einem Programmzugang vertrieben.

Receiver mit dem Verschlüsselungssystem „Nagravision" werden häufig mit einem Premiere-Abonnement, Cryptoworks-Receiver häufig mit einer ORF-Digital-Smartcard angeboten.

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrt die Klägerin, der Beklagten für die Dauer des Rechtsstreits mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beim Vertrieb von Pay-TV-Programmen, insbesondere „Premiere komplett" und/oder anderen Premiere-Paketen, gegenüber Verbrauchern Sachzugaben zu einem Scheinpreis, insbesondere einem Digitalreceiver um 1 EUR anzukündigen und/oder zu gewähren. Für den von der Beklagten zusätzlich zu ihrem Abonnement angebotenen Receiver bestehe ein eigener Markt. Der geforderte Preis von 1 EUR sei ein Scheinpreis, die Beklagte verstoße gegen das Zugabenverbot. Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Receiver mit Verschlüsselungssystemen würden im Handel häufig gemeinsam mit einem Premiere-Abonnement bzw mit einer ORF-Digital-Smartcard angeboten. Die beiden Produkte (Programmzugang und Receiver) bildeten eine Funktionseinheit, weil das Premiereabonnement ohne geeigneten Receiver für den Kunden keinen Nutzen habe. Der Kunde betrachte Abonnement und Digitalreceiver als zwei zusammengehörige Hauptwaren, für die er einen Gesamtpreis zu zahlen habe. Der Umstand, dass manche Digitalreceiver mit Verschlüsselungssystem auch ohne Programmzugang angeboten würden, ändere nichts daran, dass Digitalreceiver und Programmzugang eine Funktionseinheit bildeten, weil das Premiereabonnement und die ORF-Digital-Smartcard nur mit einem zum Empfang geeigneten Receiver genutzt werden könnten. Die Ankündigung der Beklagten bewirkte auch keinen unsachlichen Kaufanreiz, weil die billigsten Free-to-Air-Receiver bereits ab 39,90 EUR erhältlich und damit viel billiger als das von der Beklagten angebotene Komplettabo für 12 Monate zuzüglich 1 EUR für den Digitalreceiver seien. Im Übrigen habe es sich um eine einmalige und längst beendete Aktion gehandelt, Wiederholungsgefahr sei somit weggefallen. Das Begehren sei zu weit gefasst, weil das bloße Gewähren einer Zugabe um einen Scheinpreis an Verbraucher nur neben periodischen Druckwerken unzulässig sei.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Premiere-Abonnement und Nagravision-Receiver seien nach der Verkehrsauffassung als Funktionseinheit anzusehen. Die Beklagte verlange für das „Premiere-Komplettpaket" für ein Jahr und für den Receiver einen Gesamtpreis von 541 EUR; sie bewirke damit keinen übermäßigen Anlockeffekt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge; es erließ - in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung - eine einstweilige Verfügung, mit der es der Beklagten bis zur rechtskräftigen Beendigung des über die Unterlassungsklage anhängigen Rechtsstreits untersagte, beim Vertrieb von Pay-TV-Programmen, insbesondere „Premiere komplett" und/oder anderen Premiere-Paketen, gegenüber Verbrauchern Sachzugaben zu einem Scheinpreis, insbesondere einen Digitalreceiver um 1 EUR anzukündigen und diesen Ankündigungen entsprechend zu gewähren. Das Mehrbegehren, der Beklagten beim Vertrieb von Pay-TV-Programmen gegenüber Verbrauchern die Gewährung von Sachzugaben zu einem Scheinpreis unabhängig von einer Ankündigung zu verbieten, wies es ab. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil es sich der jüngst ergangenen Entscheidung 3 Ob 64/06t angeschlossen habe. Es stehe fest, dass die Beklagte Premiere-Abonnements auch ohne Digitalreceiver anbiete und dass Digitalreceiver mit Verschlüsselungssystemen im Handel auch ohne Premiere-Abonnement oder eine ORF-Digital-Smartcard angeboten werden. Das Warenangebot der Beklagten bilde somit keine Einheit. Ob der Digitalreceiver Teil der Hauptleistung, eine weitere Hauptleistung im Rahmen einer Kombination oder eine Zugabe sei, richte sich nach der Art und Weise, wie die Beklagte ihre Warenkombination anbiete. Unter Berücksichtigung des Verhältnisses der für die einzelnen Leistungen verlangten Preise (540 EUR für ein 12-Monatsabonnement, 1 EUR für den Digitalreceiver) sei von einer Zugabe auszugehen. Nach den Angaben der Beklagten würden Free-to-Air-Receiver bereits um 39,90 EUR angeboten, sie seien daher deutlich billiger als Digitalreceiver zum Empfang verschlüsselter Programme. Schon daraus folge, dass der Preis von 1 EUR für einen zum Empfang verschlüsselter Programme geeigneten Digitalreceiver ein Scheinpreis im Sinn des § 9a Abs 1 UWG sei.

Wiederholungsgefahr sei nicht weggefallen. Die Beklagte habe zwar behauptet, ihre Aktion sei einmalig und längst beendet, sie habe den Unterlassungsanspruch aber vehement bestritten.

Das Unterlassungsbegehren sei zu weit gefasst, weil das bloße Gewähren einer Zugabe zu einem Scheinpreis - wenn es nicht im Zusammenhang mit einer verbotenen Ankündigung von Zugaben stehe - nicht gegen § 9a Abs 1 Z 1 UWG verstoße.

Die Teilabweisung des Sicherungantrags ist in Rechtskraft erwachsen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil die Frage, welche Kriterien vorliegen müssen, um von einer Funktionseinheit zweier Waren ausgehen zu können, der weiteren Klärung bedarf. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Zugabe ist nach ständiger Rechtsprechung ein zusätzlicher Vorteil, der neben der Hauptware (Hauptleistung) ohne besondere Berechnung (oder unter Angabe eines die Unentgeltlichkeit verschleiernden Scheinpreises) angekündigt wird, um den Absatz der Hauptware oder die Verwertung der Hauptleistung zu fördern. Dieser Vorteil muss mit der Hauptware (Hauptleistung) in einem solchen Zusammenhang stehen, dass er objektiv geeignet ist, den Kunden in seinem Entschluss zum Erwerb der Hauptware (Hauptleistung) zu beeinflussen, also Werbe- oder Lockmittel sein (ÖBl 1993, 24 - Welt des Wohnens mwN; 4 Ob 95/99w = ÖBl 2000, 119 - GSM-Jubiläums-Handy). Wesentliche Voraussetzung für eine Zugabe im Sinn des § 9a UWG ist, dass die gekoppelten Waren im Verhältnis von Hauptsache und (unentgeltlicher) Zugabe stehen. Dies trifft vor allem dann nicht zu, wenn etwa für Gesamtsachen oder Gegenstände, die nach der Verkehrsauffassung eine Einheit bilden und regelmäßig zusammen verkauft werden, ein einheitliches Entgelt berechnet wird (4 Ob 95/99w = ÖBl 2000, 119 - GSM-Jubiläums-Handy mwN).

Der Senat stellte in seiner einen Zugabenverstoß verneinenden Entscheidung 4 Ob 95/99w (= ÖBl 2000, 119 - GSM-Jubiläums-Handy) darauf ab, dass Mobiltelefonvertrag und Handy nach der Verkehrsauffassung eine Einheit bilden und regelmäßig auch zusammen angeboten werden. Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich von dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Angebot insoweit, als das Premiere-Abonnement und der zu seinem Empfang geeignete Receiver zwar häufig, nicht aber regelmäßig gemeinsam angeboten werden; das Premiere-Abonnement wird auch ohne Receiver und der Receiver ohne Premiere-Abonnement angeboten.

2. Ob eine Werbeankündigung als Angebot einer Wareneinheit, mehrerer Hauptwaren oder einer Haupt- und einer Nebenware aufzufassen ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung. Entscheidend ist der Eindruck, den der angesprochene Durchschnittsinteressent davon gewinnt (stRsp RIS-Justiz RS0078697). Das regelmäßig gemeinsame Angebot bestimmter Waren und Dienstleistungen mag zwar das Vorliegen einer Funktionseinheit zwischen mehreren Waren bzw zwischen Ware und Dienstleistung indizieren, ist aber für sich allein nicht entscheidend. Der Oberste Gerichtshof hat bei Beurteilung unzulässiger (weil die Zugabe verschleiernder) Koppelungen schon bisher darauf abgestellt, ob das Angebot eine willkürliche Zusammenfassung von ihrer Art nach verschiedenen Waren oder Dienstleistungen umfasst (4 Ob 95/02b = ÖBl 2003, 136 - Autobahnvignetten IV).

Als Kriterien für das Vorliegen einer Funktionseinheit kommen neben dem Inhalt des konkreten Angebots (4 Ob 312/87 = ÖBl 1987, 129 - Film gratis; 3 Ob 64/06t) und dem Verbraucherverhalten auch technische Gegebenheiten, wie etwa die Unentbehrlichkeit der einen Ware oder Dienstleistung für die Nutzung der anderen in Frage. Vernünftige wirtschaftliche Interessen des Abnehmers an der Koppelung des Angebots sind gleichfalls zu berücksichtigen. Die Bedachtnahme auf technische Gegebenheiten und vernünftige wirtschaftliche Interessen am gemeinsamen Erwerb der angebotenen Waren oder Dienstleistungen ist auch deshalb naheliegend, weil diese Umstände die Verbrauchererwartung nachhaltig beeinflussen. Für den Verbraucher ist nämlich entscheidend, ob er den Erwerb nur einer der beiden Waren oder Dienstleistungen ohne die andere als wirtschaftlich sinnvoll betrachtet. Ist angesichts der technischen Gegebenheiten der Erwerb nur einer der beiden Waren oder Dienstleistungen ohne die andere wirtschaftlich nicht sinnvoll, muss aus Sicht des Verbrauchers von einer Funktionseinheit ausgegangen werden.

3. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt an, liegt ein Verstoß der Beklagten gegen § 9a UWG nicht vor. Richtig ist zwar, dass das Premiere-Abonnement auch ohne Nagravision-Receiver und dieser Receiver auch ohne Premiere-Abonnement angeboten wird. Das Premiere-Angebot ist aber nur dann sinnvoll, wenn schon ein zum Empfang geeigneter Receiver vorhanden ist oder zugleich erworben wird. Premiere-Abonnement und Receiver bilden daher eine Einheit. Dem Kunden ist (gleich wie bei der Kombination Handy und Mobiltelefonvertrag) klar, dass er den Receiver von nicht unerheblichem Wert nur deshalb günstig erhält, weil er das Premiereprogramm abonniert. Unter diesen Umständen muss aus Sicht des vom Angebot der Beklagten angesprochenen Verkehrsteilnehmers von einer Gesamtleistung bestehend aus dem Premiere-Abonnement und dem zu seinem Empfang erforderlichen Receiver ausgegangen werden. Das Angebot verstößt somit nicht gegen § 9a UWG.

Die Entscheidung 3 Ob 64/06t steht dieser Beurteilung schon deshalb nicht entgegen, weil sie die Funktionseinheit von Programmabonnement und Receiver nicht beurteilt hat. Die Frage, ob die Beklagte dem Exekutionstitel zuwidergehandelt hat, konnte nur anhand der Behauptungen der dort betreibenden Partei geprüft werden. Im Impugnationsprozess liegt bisher erst eine Entscheidung erster Instanz vor.

4. Der von der Klägerin behauptete Kaufanreiz für den Erwerb der Hauptware (Premiere-Abonnement) ist nicht zu erkennen. Auch wenn der mit dem Premiere-Abonnement angebotene Receiver auch für den Empfang anderer verschlüsselter und nicht verschlüsselter Programme verwendet werden kann, wird niemand ein Premiere-Abonnement nur deshalb erwerben, weil er den um 1 EUR angebotenen Receiver für den Empfang anderer Programme nutzen will. Derartige Receiver sind bereits um etwa 40 EUR erhältlich. Ihr Preis liegt daher ganz erheblich unter den 541 EUR, die für Premiere-Abonnement und Receiver aufzuwenden sind. Damit ist auszuschließen, dass das Angebot der Beklagten nur aus Interesse am Receiver und nicht auch aus Interesse am Premiere-Abonnement angenommen wird.

Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung der Klägerin, die Beklagte gewähre dem Endkunden um den ausgewiesenen Preis von einem Euro einen Vorteil im Wert von zumindest 40 EUR, „der für den 'Betrieb' eines Pemiere-Abonnements in keiner Weise notwendig ist und mit diesem auch in keinerlei Zusammenhang steht". Die Behauptung ist mit der - auch von der Klägerin nicht bestrittenen - Tatsache unvereinbar, dass das Premiereprogramm nur mit einem Receiver empfangen werden kann. Dass auch andere Programme empfangen werden können, ist ein zusätzlicher Nutzen, der die - für die Verneinung der Zugabeneigenschaft maßgebliche - Funktionseinheit zwischen Premiere-Abonnement und Receiver unberührt lässt.

5. Das Rekursgericht hat damit zu Unrecht einen Zugabenverstoß angenommen. Dem Revisionsrekurs der Beklagten war Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 2 ZPO.

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