OGH 2Ob67/05z

OGH2Ob67/05z19.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Urban O*****, vertreten durch Dr. Paul Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hermann Holzmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 10.439 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2004, GZ 2 R 271/04a-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29. September 2004, GZ 12 Cg 4/04z-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 686,88 (darin enthalten EUR 114,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 16. 2. 1992 im Zuge eines Rodelunfalles schwerste Verletzungen, darunter ein Schädel-Hirntrauma, ein traumatisches thorakales Aortenaneurisma im Isthmusbereich verbunden mit Querschnittlähmung ab TH 11, damit verbundener neurogener Blasenentlehrungsstörung, ein stumpfes Bauchtrauma mit Milzruptur, Leberruptur. Aus neurologischer Sicht war das schwerwiegendste Verletzungsgeschehen die Verletzung der Körperhauptschlagader (Aorta). Im Zuge dieser Verletzung oder im Rahmen der unbedingt erforderlichen operativen Versorgung dieser Gefäßschädigung entstand auch eine Durchblutungsstörung der Arteria spinalis anterior (vordere Rückenmarksarterie), was zu einer nahezu kompletten Querschnittsymptomatik im unteren Brustmarkbereich führte. Dies bewirkte eine nahezu komplette Lähmung der unteren Rumpf-, Becken- und Beinmuskulatur sowie eine hochgradige Behinderung der Blasen- und Mastdarmentleerung. In diesem Zusammenhang lag auch eine dissoziierte Sensibilitätsstörung vor, wobei vor allem die Temperatur- und Schmerzempfindung abwärts vom Nabel hochgradig beeinträchtigt ist.

Der Kläger kann sich aufgrund dieser Querschnittsymptomatik nur mehr mit Rollstuhlhilfe fortbewegen, er zeigt auch eine geringe Verkümmerung seiner Brustwirbelsäule mit paravertebraler muskulärer Verschmächtigung, es liegt jedoch eine freie Arm- und Handleistung vor.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen ist der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes als Vollinvalide (100%) einzuschätzen.

Aufgrund seines außergewöhnlich persönlichen Einsatzes einerseits sowie aufgrund des Entgegenkommens seines Dienstgebers andererseits arbeitete der Kläger von Oktober 1992 bis Juni 2000 vollzeitig als Röntgenassistent, wobei er diese Arbeit im Rollstuhl verrichtete. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit muss der Kläger ua auch gebrechlichen oder verletzten Personen Hilfestellung leisten, wenn sie sich zB vom Rollstuhl zur Röntgeneinrichtung bewegen müssen oder zurück. Durch diese körperlichen Anstrengungen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit stellten sich beim Kläger Schmerzen in beiden Hüftgelenken und in der Lendenwirbelsäule zeitweise mit Ausstrahlung in die Hüftregion ein.

Aufgrund der körperlichen Belastung durch die zu verrichtenden Arbeiten war es dem Kläger ab Juni 2000 nicht mehr möglich, seiner Vollbeschäftigung nachzugehen, weshalb er seine Arbeitszeit auf ca 4 - 5 Stunden bzw. eine 2/3 Anstellung reduzierte.

Derzeit befindet sich der Kläger in einem Zustand nach Polytrauma mit durchblutungsbedingter Querschnittlähmung, aufgrund der nach wie vor eine Gehunfähigkeit besteht.

Der Kläger ist aus medizinischer Sicht nicht mehr in der Lage, in vollem Umfang zu arbeiten, es sind ihm nur mehr leichte Arbeiten halbschichtig zumutbar.

Aufgrund des Urteiles des LG Innsbruck 11 Cg 78/94g leistet die beklagte Partei dem Kläger ab 6. 11. 1995 monatlich eine abstrakte Rente von S 4.500 (EUR 327,03).

Der Kläger begehrt aus dem Titel des konkreten Verdienstganges für die Zeit vom 1. 9. 2002 bis 30. 9. 2003 EUR 10.439. Er habe aufgrund der unfallbedingten Verletzungen seine berufliche Tätigkeit stark reduzieren müssen, wodurch ihm unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote ein konkreter Verdienstentgang von EUR 1.130,38 brutto monatlich entstanden sei. Es sei möglich gewesen, trotz der vorhandenen Querschnittlähmung, sich ins Berufsleben zu integrieren. Im Zeitpunkt des Zuspruchs der abstrakten Rente sei zwar eine Schädigung der Erwerbsfähigkeit vorgelegen, die noch keinen konkreten Verdienstentgang nach sich gezogen haben. Nunmehr sei er berechtigt, seinen konkreten Verdienstentgang in Form einer konkreten Rente zu beziehen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Durch Zahlung einer abstrakten Rente werde ein späterer Verdienstentgang abgegolten. Der Kläger habe sich damals für die Geltendmachung einer abstrakten Rente entschieden, obwohl er gewusst habe, dass damit sein Anspruch auf Abgeltung eines konkreten Verdienstganges endgültig verbraucht sei.

Das Erstgericht hat dem Klagebegehren im Umfang von EUR 10.104,04 sA stattgegeben und ein Mehrbegehren von EUR 37,96 sA sowie ein Zinsenmehrbegehren (unbekämpft) abgewiesen. Der Grundsatz, der Bezieher einer abstrakten Rente könne einen später eingetretenen tatsächlichen Verdienstentgang nicht mehr geltend machen, sei mit den Grundsätzen des Schadenersatzrechtes unvereinbar. Der Kläger habe im eingeklagten Zeitraum unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens einen konkreten Verdienstentgang von EUR 14.652,43 erlitten. Von diesem Betrag sei die für diesen Zeitraum geleistete abstrakte Rente von EUR 4.251,39 abzuziehen, weshalb sich Verdienstentgang in der zugesprochenen Höhe errechne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es gab die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Möglichkeit des Zuspruchs einer abstrakten Rente (2 Ob 143/03y) sowie die Rechtsprechung wieder, wonach ein Anspruch auf Ersatz eines konkreten Verdienstentganges dann nicht mehr bestehe, wenn einem Geschädigten bereits eine abstrakte Rente zuerkannt worden sei (ZVR 1963/19; ZVR 1976/293; 2 Ob 133/02a = JBl 2003, 242) und verwies auf den Teil der Lehre, der den Zuspruch einer abstrakten Rente überhaupt ablehnt (Reischauer in Rummel² Rz 33 zu § 1325; Harrer in Schwimann² Rz 52 zu § 1325, Faber, Entscheidungsbesprechung JBl 2003, 242). Trotz dieser „gewichtigen Kritikpunkte" sei der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu folgen, wonach das Begehren auf Leistung einer abstrakten Rente die spätere Rechtsverfolgung aus dem Titel eines konkreten Verdienstentganges ausschließe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage des Verhältnisses zwischen einer abstrakten Rente und einem nachfolgenden höheren konkreten Verdienstentgang zwar einhellige oberste Judikatur vorliege, die letzte dieser Entscheidungen aber schon Jahre zurückliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung 2 Ob 143/03y (= SZ 2003/106 = JBl 2004, 317 = ZVR 2004/18) ausführlich mit dem Rechtsinstitut der abstrakten Rente unter Berücksichtigung der Kritik eines Teils der Lehre auseinandergesetzt und betont, es bestünden keine Bedenken dagegen, eine abstrakte Rente - "jedenfalls in den engen Grenzen der bisherigen Rechtsprechung" - zuzusprechen. Damit wurde aber vom Senat nicht nur am Erfordernis einer Ausgleichs- und Sicherungsfunktion (vgl die Nachweise bei Danzl in KBB, Rz 21 zu § 1325 ABGB) festgehalten, sondern auch an der ständigen Rechtsprechung der Konsumtion eines Anspruches auf Ersatz des konkreten Verdienstentgangs durch eine abstrakte Rente, wie sie dem Kläger im Vorprozess auf sein Begehren zugesprochen wurde (RIS-Justiz RS0030920; zuletzt 2 Ob 133/02a; ZVR 1985/11, 1987/81). Die abstrakte Rente soll damit weiterhin - de lege lata - dem Verletzten einen Ausgleich nur dafür bieten, dass er sich zur Vermeidung eines konkreten Verdienstentganges physisch und psychisch mehr anstrengen muss als früher, und soll ihn in die Lage versetzen, für den infolge seiner Verletzung zu befürchtenden Fall eines späteren Verlustes des Arbeitsplatzes sich schon jetzt durch Rücklagen einen Fonds zur Deckung seines Ausfalles zu schaffen (ZVR 1975/167; 2 Ob 9/00p; 2 Ob 133/02a = JBl 2003, 242 [zust Faber]; RIS-Justiz RS0030797), wozu der Kläger hier auch in der Lage gewesen wäre, weil seine abstrakte Rente seit 6. 11. 1995 monatlich S 4.500 (EUR 327,03) betrug. Damit ist es ihm verwehrt, später den konkreten Verdienstentgang zu fordern. Der gegenteilige Vorschlag Wittwers in ZVR 2004/13 aE ist abzulehnen: Einerseits dürfen abstrakte und konkrete Berechnung schon grundsätzlich nicht miteinander verquickt werden (RIS-Justiz RS0030747 T4); andererseits könnte das Verständnis der abstrakten Rente als Vorschuss auf eine konkrete Rente unter Umständen auch zu Rückforderungen führen, wenn es nie zu einem konkreten Verdienstentgang kommt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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