OGH 5Ob45/06p

OGH5Ob45/06p29.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****bank *****, nunmehr *****bank *****, vertreten durch Dr. Michael Prager, Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Piotr W*****, 2. Christof W***** und 3. Mag. Maria W*****, alle *****, alle vertreten durch Gloß, Pucher, Leitner & Schweinzer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen jeweils 23.331,50 Euro s. A. hinsichtlich des Erst- und Zweitbeklagten sowie 213.743,13 Euro s. A. hinsichtlich der Drittbeklagten, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2004, GZ 13 R 212/04y-36, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 21. Juni 2004, GZ 4 Cg 46/02v-30, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in seinen Punkten 6. (Abweisung der Mehrbegehren hinsichtlich des Erst- und Zweitbeklagten) und 7. (Kostenentscheidung hinsichtlich des Erst- und Zweitbeklagten) zur insoweit neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht aufgehoben wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hinsichtlich des Erst- und Zweitbeklagten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Dr. Piotr W***** war Vater des Erst- und Zweitbeklagten sowie Gatte der Drittbeklagten.

Am 20. 11. 1997 hatten Dr. Piotr W***** und die Drittbeklagte als Kreditnehmer und die Klägerin als Kreditgeberin zwei Abstattungskreditverträge über 2,3 Mio Schilling und 700.000 Schilling zum Zweck des Erwerbs einer Eigentumswohnung durch die Kreditnehmer abgeschlossen. Diese Kredite sollten in 240 Monatsraten von 16.410 Schilling und 4.957 Schilling zurückgezahlt werden. Als Sicherheit diente neben der Vinkulierung der Lebensversicherungen der Kreditnehmer ein Pfandrecht an der „Eigentumswohnung" bis zum Höchstbetrag von 3,2 Mio Schilling zugunsten der Klägerin. Dr. Piotr W***** verstarb am 6. 12. 1999. Damals bewohnten die Beklagten die - im Wohnungseigentum der Ehegatten gestandene - Eigentumswohnung und die Drittbeklagte verfügte - wie auch jetzt - über keine andere Wohnmöglichkeit.

Im Verlassenschaftsverfahren nach Dr. Piotr W*****, 1 A 65/00h des Bezirksgerichts Purkersdorf, gaben die Beklagten als gesetzliche Erben jeweils bedingte Erbserklärungen ab. Über Antrag der Beklagten wurden die Verlassenschaftsgläubiger für den 14. 6. 2000 einberufen, meldeten zu diesem Zeitpunkt allerdings keine Forderungen an. Das Nachlassinventar vom 14. 9. 2001 wies - einschließlich des halben Mindestanteils an der Eigentumswohnung (Verkehrswert: 1,120.000 Schilling) - Aktiva von insgesamt 1,368.323,05 Schilling, und - einschließlich der halben Kreditforderungen der Klägerin - Passiva von 1,527.278,10 Schilling aus; die Kosten des Abhandlungsverfahrens betrugen 69.962,20 Schilling.

Die Beklagten schlossen im Abhandlungsverfahren ein Erbteilungsübereinkommen, wonach die Drittbeklagte den in die Verlassenschaft fallenden halben Mindestanteil an der Eigentumswohnung sowie sämtliche Passiva und die mit dem Verlassenschaftsverfahren verbundenen Kosten und öffentlichen Abgaben übernahm.

Mit einem am 20. 2. 2002 beim Verlassenschaftsgericht eingelangten Schriftsatz meldete die Klägerin die - dem nunmehrigen Klagebegehren zugrunde liegende - Kreditforderung von 213.743,13 Euro s.A. an. Mit Beschluss des Abhandlungsgerichts vom 27. 3. 2002 wurde den Beklagten der Nachlass nach Dr. Piotr W***** zu je einem Drittel eingeantwortet.

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der mit 213.743,13 Euro s.A. aushaftenden Kredite, und zwar - unter Berücksichtigung der bedingten Erbserklärungen der Beklagten sowie unter Einrechnung des halben Mindestanteils an der Eigentumswohnung in das Nachlassvermögen - von Erst- und Zweitbeklagtem zu je 28.981,21 Euro s.A. zur ungeteilten Hand mit der Drittbeklagten und von dieser 213.743,13 Euro s.A. davon je 28.981,21 Euro s.A. zur ungeteilten Hand mit Erst- und Zweitbeklagtem.

Die Beklagten beantragten Abweisung der Klagebegehren und wenden - soweit für das Revisionsverfahren relevant - ein, der Drittbeklagten sei der halbe Mindestanteil an der Eigentumswohnung gemäß § 10 WEG 1975 unmittelbar angewachsen; da diese wegen ihres dringenden Wohnbedürfnisses keinen Übernahmspreis an die Verlassenschaft zu zahlen habe, sei der halbe Mindestanteil an der Eigentumswohnung nicht als nachlasszugehörig zu veranschlagen.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung gegenüber dem Erst- und Zweitbeklagten mit je 5.649,71 Euro und gegenüber der Drittbeklagten mit 213.743,13 Euro als zu Recht, eine eingewandte Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend, verpflichtete die Beklagten zur Zahlung der genannten Beträge s.A. und wies die Mehrbegehren gegenüber dem Erst- und Zweitbeklagten auf Zahlung weiterer je 23.331,50 Euro s.A. ab. Rechtlich ging das Erstgericht im Wesentlichen davon aus, dass der halbe Mindestanteil des Verstorbenen an der Eigentumswohnung der Drittbeklagten gemäß § 10 WEG 1975 angewachsen sei; dem Nachlass stehe aber wegen des dringenden Wohnbedürfnisses der Drittbeklagten keine Forderung auf einen Übernahmspreis gegen die Drittbeklagte zu, sodass sich der Wert der vom Erst- und Zweitbeklagten übernommenen Aktiva ohne Berücksichtigung des halbe Mindestanteil an der Eigentumswohnung mit (nur) 6.015,45 Euro errechne. Da die Forderung der Klägerin 93,92 % der Nachlassschulden ausmache, hafteten ihr Erst- und Zweitbeklagter (nur) mit je 5.649,71 Euro. Das Berufungsgericht gab den von allen Parteien erhobenen Berufungen nicht Folge und teilte die Ansicht des Erstgerichts von der Akkreszenz gemäß § 10 WEG 1975 zugunsten der Drittbeklagten unter Entfall einer Forderung des Nachlasses auf Zahlung eines Übernahmspreises infolge des dringenden Wohnbedürfnisses der Drittbeklagten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil sich keine erhebliche Rechtsfrage stelle. Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der gänzlichen Stattgebung der Klagebegehren auch gegenüber dem Erst- und Zweitbeklagten; hilfsweise stellt die Klägerin auch einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin macht zur Zulässigkeit der außerordentliche Revision ua geltend, die Vorinstanzen hätten die Voraussetzungen der Akkreszenz im Sinn des § 10 Abs 1 WEG 1975 (Vindikationslegat zu Gunsten des überlebenden Ehegatten) zu Unrecht bejaht, weil die Gattin des Erblassers den gesamten Mindestanteil auf Grund ihres gesetzlichen Erbrechts erlangt habe; die Vorschriften über das Vindikationslegat - insbesondere die Begünstigung des auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten gemäß § 10 Abs 3 WEG 1975 - fänden daher nicht Anwendung, weshalb der Wert des halben Mindestanteils des Erblassers bei der Berechnung der Nachlassaktiva zu veranschlagen sei.

Erst- und Zweitbeklagter haben von der ihnen frei gestellten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch gemacht und beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag berechtigt, weil die Vorinstanzen § 10 Abs 1 WEG 1975 unrichtig angewendet haben:

1. Nach § 10 Abs 1 Z 1 WEG 1975 wächst in dem Fall, dass beim Tod eines Ehegatten der überlebende Ehegatte den Anteil des Verstorbenen nicht ohnehin als Erbe oder Vermächtnisnehmer allein erwirbt, der Anteil des Verstorbenen am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum dem überlebenden Ehegatten als gesetzliches Vermächtnis unmittelbar ins Eigentum zu. Der als Vindikationslegat konstruierte Erwerb durch Anwachsung kraft Gesetzes bewirkt, dass der halbe Mindestanteil eben wegen dieses unmittelbaren Eigentumsübergangs nicht in die Verlassenschaftsmasse fällt (RIS-Justiz RS0082946 [T1]).

Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 WEG 1975 tritt dieser Zuwachs jedoch dann nicht ein, wenn der überlebende Ehegatte vor dem Ablauf einer vom Verlassenschaftsgericht festzusetzenden angemessenen Frist entweder auf den Zuwachs verzichtet oder gemeinsam mit den Erben des Verstorbenen unter Zustimmung der Pflichtteilsberechtigten eine Vereinbarung schließt, auf Grund deren der gesamte Mindestanteil an eine Person ungeteilt oder an Ehegatten je zur Hälfte unter gleichzeitigem Erwerb des gemeinsamen Wohnungseigentums übergeht.

2. Soweit die Klägerin das Vorliegen der Anwachsungsvoraussetzungen deshalb bestreitet, weil die Drittbeklagte (Gattin des Erblassers) Erbin gewesen sei, verkennt sie das Erfordernis des § 10 Abs 1 Z 1 WEG 1975 insoweit, also dieser verlangt, dass dem überlebenden Ehegatten der Anteil des Verstorbenen (als Erbe oder Vermächtnisnehmer) allein zukommen muss (vgl dazu auch 5 Ob 137/94 = wobl 1996/8, 38, Markl = NZ 1997, 26 = MietSlg 46.516), während die Gattin hier nur Miterbin zu einem Drittel war.

3. Zu berücksichtigen ist allerdings die - von den Vorinstanzen unbedachte - Regelung des § 10 Abs 1 Z 2 WEG 1975, nach welcher Bestimmung eine Vereinbarung des überlebenden Ehegatten mit den Erben den Anwachsungsbestimmungen vorgeht. Hier hat die Drittbeklagte (Gattin des Erblassers) mit den erst- und zweitbeklagten Kindern (als Erben und Pflichtteilsberechtigten) eine Vereinbarung in Form eines „Erbteilungsübereinkommens" geschlossen, nach welchem die Drittbeklagte (Gattin des Erblassers) den halben Mindestanteil übernommen hat; genau dadurch und damit gerade im Sinn des § 10 Abs 1 Z 2 WEG 1975 ist „der gesamte Mindestanteil an eine Person (die Drittbeklagte als überlebende Ehegattin) ungeteilt" übergegangen. Für die Beurteilung, wie der überlebende Ehegatte den gesamten Mindestanteil erwirbt, ist nämlich nicht allein seine erbrechtliche Berufung entscheidend, sondern es ist die letztlich erfolgte Art des Erwerbs der Erbschaft maßgeblich (vgl 5 Ob 158/92 = SZ 65/158 = NZ 1993, 81). Dass auch der überlebende Ehegatte „Vertragspartner und Übernehmer des Mindestanteils" gemäß § 10 Abs 1 Z 2 WEG 1975 sein kann, ist schon durch den Wortlaut dieser Bestimmung eindeutig gedeckt und es wird dies auch von Markl (in Schwimann² § 10 WEG 1975 Rz 10) vertreten. Folge dieser dem § 10 Abs 1 Z 2 WEG 1975 zu unterstellenden Vereinbarung ist dann aber gerade der Ausschluss der Akkreszenz nach § 10 Abs 1 Z 1 WEG 1975. Da somit der Drittbeklagten (Gattin des Erblassers) der gesamte Mindestanteil nicht durch Zuwachs nach § 10 Abs 1 Z 1 WEG 1975, sondern infolge Vereinbarung mit den erst- und zweitbeklagten Kindern (als Erben und Pflichtteilsberechtigten) ungeteilt zugekommen ist, scheidet auch die Anwendung des § 10 Abs 3 1. Satz WEG 1975, wonach die Forderung des Nachlasses auf den Übernahmspreis bei dringendem Wohnbedürfnis des überlebenden Ehegatten entfällt, aus. Der Wert des Anteils des Verstorbenen am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum ist daher bei Ermittlung der für die Haftung des Erst- und Zweitbeklagten maßgeblichen Höhe der Nachlassaktiva zu veranschlagen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die zuvor dargestellte Rechtlage mit den Parteien zu erörtern und auf dieser Grundlage die der Klägerin gegen Erst- und Zweitbeklagten zustehenden Ansprüche neu zu ermitteln haben.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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