OGH 5Ob72/06h

OGH5Ob72/06h29.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Die E*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Braunegg Hoffmann & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Hans R*****, vertreten durch Dr. Kurt Ludwig Breit und Dr. Thomas Mayr, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 1.330,22 sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: EUR 968,78) gegen das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2006, GZ 39 R 374/05x‑21, womit das Teilurteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 1. August 2005, GZ 10 C 1036/04x‑17, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird - soweit sie nicht im Umfang von EUR 361,44 samt 8 % über dem Basiszinssatz aus je EUR 72,29 seit 2. 7., 2. 8., 2. 9., 2. 10 und 2. 11. 2004 bereits in Rechtskraft erwachsen ist - aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Beklagte schloss mit dem Voreigentümer der Klägerin, Emil K*****, am 29. 11. 1989 einen Mietvertrag über vier Wohnungen im zweiten Stock eines Hauses, wobei vereinbart wurde, dass die Mietgegenstände als Geschäftsräumlichkeiten zum Betrieb einer Arztpraxis dienen sollen. Dem Beklagten wurde unter Punkt IX des Vertrages das Nutzungsrecht am Aufzug für sich, seine Patienten und Besucher eingeräumt.

Nachdem die Klägerin Eigentümerin der Liegenschaft geworden war, ließ sie Ende Mai 2004 die Aufzugsanlage umbauen. Die Tiefe der neuen Aufzugskabine ist im Vergleich zur alten Anlage geringer, sodass der Aufzug nicht wie vorher von allen Patienten des Beklagten mit einem Rollstuhl benützt werden kann.

Der Kläger nahm mit der Begründung, dass der bedungene Gebrauch seiner Ordinationsräumlichkeiten durch die Errichtung der neuen Aufzugsanlage wesentlich beeinträchtigt sei, eine Mietzinsminderung vor.

Die Klägerin begehrt die Bezahlung des ausstehenden Mietzinses und Räumung. Der Beklagte habe zu Unrecht eine Mietzinsminderung vorgenommen, er habe am umgebauten Lift des Hauses lediglich ein Mitbenützungsrecht für sich selbst, seine Patienten und Besucher. Es sei im Mietvertrag nicht angeführt, dass der Lift auch für Besucher oder Patienten mit Rollstuhl benützbar sein müsste.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, dass ihm aufgrund der Unbenützbarkeit des Aufzuges eine Mietzinsminderung iSd § 1096 ABGB im Ausmaß von 20 % zustehe.

Das Erstgericht stellte (vom Berufungsgericht trotz Beweisrüge noch nicht geprüft) fest, dass bei Abschluss des Mietvertrages zwischen dem Beklagten und dem damaligen Liegenschaftseigentümer vereinbart gewesen sei, dass in dem damals in Planung befindlichen Lift Platz für Patienten mit Rollstühlen sein müsse. Dadurch habe dem Wunsch des Beklagten entsprochen werden sollen, dass auch seine rollstuhlfahrenden Patienten den Lift benützen können, um zu seiner Ordination in den zweiten Stock zu gelangen. Der Beklagte habe dem Eigentümer ausdrücklich mitgeteilt, dass die vier Wohnungen zum Betrieb einer urologischen Fachordination angemietet würden und die Patienten daher vor allem ältere Menschen seien. Für den Beklagten sei die Benützbarkeit des Liftes mit Rollstühlen eine Voraussetzung zum Abschluss des Mietvertrages gewesen. In der ursprünglichen Aufzugsanlage hätten Rollstühle durchschnittlicher Größe Platz gefunden, was nunmehr nicht der Fall sei. Die Mehrzahl der Rollstuhlpatienten des Beklagten könnten seine Ordination nunmehr nicht mit dem Lift erreichen.

Zur Beweiswürdigung führte das Erstgericht zum Thema der Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem damaligen Hauseigentümer bei Mietvertragsabschluss, dass der Aufzug rollstuhlgeeignet sein müsse, aus, dass es sich auf die glaubwürdigen Aussagen des Beklagten, den Mietvertrag und die Aussage des vormaligen Liegenschaftseigentümers im Verfahren 10 C 794/04h des Bezirksgerichtes Fünfhaus stütze. Auch wenn der Zeuge in diesem Verfahren angegeben habe, keine mündlichen Nebenabreden zu den schriftlichen Mietverträgen mit den Mietern getroffen zu haben, so ergebe sich aus seiner Aussage dennoch eindeutig, dass er sowohl mit dem dortigen Kläger (ein anderer Mieter) als auch mit dem Beklagten ausdrücklich vereinbart habe, dass auch die Patienten der beiden Arztpraxen den damals zu errichtenden Lift benützen können müssten. Es sei daher zwischen den jeweils vertragsschließenden Parteien klar gewesen, dass die Benützung des Liftes mit Kinderwägen bzw Rollstühlen eine wesentliche Voraussetzung für den Abschluss des Mietvertrages gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass eine Mietzinsminderung von 15 % für die Dauer der Beeinträchtigung angemessen sei.

Das Berufungsgericht änderte das Teilurteil dahingehend ab, dass es die gesamte Mietzinsforderung als zu Recht bestehend erkannte. Es folgte der von der Klägerin erhobenen Rüge der Aktenwidrigkeit und führte aus, dass sich aus der Aussage des Voreigentümers der Liegenschaft im Verfahren 10 C 794/04h des Bezirksgerichtes Fünfhaus kein Zusammenhang mit den mietvertraglichen Vereinbarungen zwischen ihm und dem Beklagten ergebe. Auch der Beklagte habe in seiner Parteieneinvernahme nicht ausgesagt, dass es zwischen ihm und dem Voreigentümer bei Abschluss des Mietvertrages vereinbart worden sei, dass in dem damals in Planung befindlichen Lift auch Patienten mit Rollstühlen passen sollten bzw dass ihm der Voreigentümer vertraglich zugesagt hätte, dass jedenfalls auch rollstuhlfahrende Patienten des Beklagten den Lift benutzen könnten. Aus diesem Grund übernehme das Berufungsgericht die Feststellung über eine derartige Vereinbarung zwischen den Mietvertragsparteien nicht. Damit erübrige es sich aus rechtlichen Gründen, auf die weitere Beweisrüge einzugehen. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass mangels ausdrücklicher Vereinbarung zwischen den Parteien über das Recht der Benützung des Aufzugs durch Rollstuhlfahrer dem Beklagten kein Mietzinsminderungsrecht zukomme.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, da keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen sei.

Soweit das erstinstanzliche Urteil abgeändert wurde, sohin im Umfang von EUR 968,78 sA, erhob der Beklagte Revision mit einem Abänderungsantrag; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Zu Recht rügt der Revisionswerber, dass das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes lag nämlich keine Aktenwidrigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens vor.

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Aktenwidrigkeit nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, wenn als der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde. Erwägungen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen hingegen in das Gebiet der Beweiswürdigung (10 Ob 292/00i; 6 Ob 264/04y; RIS‑Justiz RS0043347). Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht in der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen, selbst wenn diese unrichtig sein sollten (3 Ob 155/05y; 10 Ob 53/05z; RIS‑Justiz RS0043298, RS0043189, RS0043256).

Das Erstgericht hat dargelegt, warum es trotz der (pauschalen) Aussage des vormaligen Hauseigentümers, keine Nebenabreden getroffen zu haben, dennoch aufgrund seiner Aussage im Zusammenhalt mit der Parteieneinvernahme des Beklagten und dem Inhalt des Mietvertrages den Schluss zog, dass eine derartige Vereinbarung (ausdrücklich) getroffen wurde. Es hat seine Feststellungen nicht direkt aus einer Urkunde, sondern auf Grund von Schlussfolgerungen aus Beweisergebnissen, also im Rahmen seiner Beweiswürdigung getroffen. Das Berufungsgericht hatte daher nicht einen Widerspruch zwischen einem Urkundeninhalt und einer Feststellung zu beurteilen, was einer Aktenwidrigkeit entsprechen würde, sondern die Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu überprüfen. Dies hat das Berufungsgericht allerdings nicht getan und ist ohne Beweiswiederholung von den erstgerichtlichen Feststellungen abgegangen. Das Berufungsverfahren ist damit mangelhaft, was vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen ist (2 Ob 294/05g; RIS‑Justiz RS0043461, RS0042151).

Das Berufungsgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Beweiswiederholung diese und auch die weiteren (von ihm als solche erkannten) Beweisrügen einer Prüfung unterziehen müssen. Sollte es keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem damaligen Hauseigentümer feststellen können, so wird es die Gespräche zwischen den Parteien im Zuge der Vertragserrichtung und der Errichtung des Aufzugs festzustellen haben, um beurteilen zu können, ob nicht allenfalls eine derartige Vereinbarung konkludent geschlossen wurde.

Der Begriff einer über den notwendigen Inhalt eines Hauptmietvertrages hinausgehenden Vereinbarung nach § 2 MRG ist nämlich nicht zu eng auszulegen (9 Ob 160/02y, 5 Ob 117/98m je mwN; RIS‑Justiz RS0069552). Ein solches Verständnis vom Begriff „Nebenabrede" ist erforderlich, um der Vorschrift überhaupt einen Anwendungsbereich zu lassen. Es wurde auch schon ausgesprochen, dass eine konkludent zustande gekommene Vereinbarung eine solche Nebenabrede sein kann (JBl 1986, 386 [gegen eine solche Annahme im hier nicht vorliegenden Fall einer widerspruchslosen Duldung eines Verhaltens: Huber; Würth in Rummel3, § 2 MRG, Rz 7a, nur unter Hinweis auf Huber]). Als maßgebend ist anzusehen, dass die Nebenabrede mit dem Inhalt des Mietvertrages zusammenhängt, dass sie also das betreffende Bestandverhältnis selbst regelt (vgl 5 Ob 641/88).

Würde im Zuge des Vertragsabschlusses oder in der Folge durch Gespräche dem objektiven Erklärungsempfänger klar, dass es für den Beklagten von besonderer Bedeutung ist, dass nicht nur ein Aufzug (wie ohnehin schon im Mietvertrag vereinbart) vorhanden ist, sondern ein Aufzug, der zur Benützung für Rollstühle geeignet ist, und erfolgt dann der Bau in dieser Weise (angefochtene Feststellung) bzw wird der Aufzug in dieser Weise (mit dieser offenkundigen Zweckwidmung) zur Verfügung gestellt, so könnte an einer konkludenten (§ 863 ABGB) Nebenabrede im Sinne des § 2 MRG, an die die Klägerin gebunden wäre, kein Zweifel sein, da im Hinblick auf die Verwendung des Bestandobjektes als Arztpraxis und die Vereinbarung der Aufzugsbenützung durch die Patienten des Beklagten die Nebenabrede auch nicht ungewöhnlich, sondern naheliegend wäre. Auch wenn der Einbau einer neuen Aufzugsanlage gesetzlich verpflichtend gewesen wäre, so hindert dies allein (auf andere Argumente stützt sich die Klägerin nicht) nicht die Herstellung einer rollstuhlgeeigneten Anlage.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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