OGH 10ObS127/06h

OGH10ObS127/06h17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gemeinde R*****, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1201 Wien, Adalbert-Stifter Straße 65, wegen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 2006, GZ 7 Rs 70/06z-6, womit der Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. April 2006, GZ 26 Cgs 67/06s-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird mit dem Auftrag, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund durchzuführen, an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 9. 3. 2006 lehnte die beklagte Partei den Antrag der klagenden Gemeinde vom 13. 2. 2006 auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG für die Arbeitsverhinderung ihres Dienstnehmers Michael L***** in der Zeit vom 1. 3. 2005 bis 13. 3. 2005 mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin kein Unternehmen im Sinn des § 53b ASVG sei. Nach der Rechtsmittelbelehrung könne gegen diesen Bescheid innerhalb der Frist von 4 Wochen nach Zustellung Klage beim Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 29. 3. 2006 beim Erstgericht eingebrachte Klage.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges mit der Begründung zurück, es handle sich beim vorliegenden Rechtsstreit um keine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG, sondern um eine Verwaltungssache.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin keine Folge und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche auf Zuschüsse an den Dienstgeber gemäß § 53b ASVG fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin, über den gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter zu entscheiden war, ist zulässig, weil das Rekursgericht von der - allerdings nach der Rekursentscheidung ergangenen - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, und auch berechtigt.

Der Senat hat jüngst in den E 10 ObS 58/06m und 10 ObS 64/06v jeweils vom 22. 5. 2006 und 10 ObS 81/06s vom 13. 6. 2006 die Zulässigkeit des Rechtsweges für den Anspruch auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG aus folgenden Erwägungen bejaht:

Die Bestimmung des § 53b ASVG wurde im Rahmen des Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetzes 2002, BGBl I 2002/155, in das ASVG eingefügt. Diese Bestimmung sah vor, dass den Dienstgebern Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung im Sinne des § 3 EFZG oder vergleichbaren österreichischen Rechtsvorschriften geleistet werden können, sofern die Entgeltfortzahlung verunfallten Dienstnehmern gebührt, die (zum Zeitpunkt des Unfalles) bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt versichert waren. Die Zuschüsse können nur Dienstgebern gewährt werden, die regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer beschäftigen, und zwar höchstens für 6 Wochen jährlich in der Höhe von 50 % des fortgezahlten Entgeltes. Die Gewährung der Zuschüsse und deren Abwicklung ist durch Verordnung, welche vom Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zu erlassen ist, zu regeln. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 1285 BlgNR XXI. GP 5) wird durch diese (neue) Maßnahme die Tätigkeit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt zur vollen Erbringung ihrer Leistungen im Bereich der Leistungen nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, wie insbesondere die Erbringung von Unfallheilbehandlung, Prävention, Versehrtenrenten und Rehabilitation sowie auf dem Gebiet der Forschung, nicht beeinträchtigt, sondern lediglich der Gebarungserfolg der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt verringert. Eine nähere Regelung der Gewährung der Zuschüsse an die Dienstgeber und die Abwicklung des Verfahrens erfolgt im Rahmen der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an Dienstgeber nach Entgeltfortzahlung (BGBl II 2002/443). Diese Verordnung ist mit dem Inkrafttreten der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau an Dienstgeber/innen für Entgeltfortzahlung (Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung), BGBl II 2005/64, außer Kraft getreten.

Die Bestimmung des § 53b ASVG über Zuschüsse an die Dienstgeber/innen nach Entgeltfortzahlung wurde seit ihrem Inkrafttreten mit 1. 10. 2002 bereits mehrfach novelliert (vgl dazu Teschner/Widlar, MGA, ASVG 90. Erg-Lfg Anm 1 und 2 zu § 53b ASVG). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass durch das 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/171, die Zuschüsse zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung nach § 53b ASVG ausdrücklich in den Leistungskatalog der Unfallversicherung (§ 173 ASVG) aufgenommen wurden (§ 173 Z 3 ASVG idF BGBl I 2004/171). Nähere Erläuterungen dazu finden sich in den Gesetzesmaterialien (EB zur RV 703 AB 776 BlgNR XXII. GP) allerdings nicht.

Bei den den Arbeits- und Sozialgerichten zur Entscheidung zugewiesenen Sozialrechtssachen handelt es sich um Rechtsstreitigkeiten über die in § 65 Abs 1 ASGG bezeichneten Gegenstände. Die hier allein in Betracht kommende Bestimmung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG erfasst Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruches auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen. Die Verweisung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf § 354 Z 1 ASVG stellt klar, dass jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG muss eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruches auf Versicherungsleistungen zum Gegenstand haben. Zwischen den Parteien muss daher entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruches auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruches streitig sein. Der Kern ist demnach die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen. Ob das Begehren materiell berechtigt ist, hat bei der Prüfung der Frage, ob die Entscheidung in einer Sozialrechtssache zu treffen ist, außer Betracht zu bleiben. Was nicht als Leistungssache im Sinne der taxativen Aufzählung des § 354 ASVG gelten kann, ist Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG (SSV-NF 17/81, 14/62 mwN ua; RIS-Justiz RS0085473). Leistungen, die rechtlich nicht als solche aus der Sozialversicherung in Betracht kommen, fallen daher nicht unter § 65 Abs 1 Z 1 ASGG.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass durch die Verweisung des § 65 ASGG auf § 354 ASVG als Sozialrechtssachen jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass die Leistungssachen im Wege der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zugewiesen sind. Dies entspricht dem Rechtsschutzkonzept des ASVG, das mit der Zuordnung zu den Leistungssachen die Anrufbarkeit der ordentlichen Gerichte verbindet. Leistungssachen, die nicht der sukzessiven Kompetenz der Gerichte unterliegen, sind in diesem - auf Lückenlosigkeit des Rechtsschutzes angelegten - Konzept ein Fremdkörper. Daher sind solche Konstellationen nur anzunehmen, wo der Gesetzgeber dies ausdrücklich anordnet. Ein Beispiel hiefür bietet § 18 Z 3 EFZG:

Dieser ordnet die Erstattungsansprüche der Arbeitgeber nach Entgeltfortzahlung zwar ausdrücklich dem Verfahren in Leistungssachen (§ 354 ASVG) mit der Maßgabe zu, dass der Anspruch auf den Erstattungsbetrag dem Anspruch auf eine Versicherungsleistung aus der Krankenversicherung gleichzuhalten ist, schließt aber die „sachliche Zuständigkeit der Schiedsgerichte" ausdrücklich aus (§ 18 Z 3 lit a EFZG). Statt dessen können die über solche Ansprüche ergehenden Bescheide der Krankenversicherungsträger - obgleich „ihrem Wesen nach" Leistungssachen (vgl EB zur RV 1105 BlgNR 13. GP 16 - abgedruckt in Cerny/Kallab, Entgeltfortzahlungsgesetz § 18 Anm 1) - durch Einspruch an den Landeshauptmann (§ 412 ASVG) bekämpft werden (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 107 f).

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass auch die mit der Gewährung von Erstattungsbeträgen nach dem EFZG vergleichbaren Zuschüsse an die Dienstgeber/innen nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG ihrem Wesen nach eine Leistungssache darstellen, die im Wege der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zur Beurteilung zugewiesen sind. In diesem Sinn hat der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Aufnahme der Leistungen nach § 53b ASVG in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung in den 3. Teil des ASVG (§ 173 Z 3 ASVG) mit dem 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/171, keine Änderung, wofür auch die Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte bieten, sondern eine bloße Klarstellung der Rechtslage, wonach es sich beim Anspruch auf Zuschüsse nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG um einen Leistungsanspruch aus der Unfallversicherung nach dem ASVG und damit um eine Leistungssache nach §§ 354 ASVG bzw eine Sozialrechtssache nach § 65 ASGG handelt, vorgenommen. Soweit die Vorinstanzen ihre vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Rechtsansicht auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. 1. 2005, Zl 2004/08/0139 (= ARD 5586/10/2005) gestützt haben, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung mit der Frage, ob eine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG oder eine Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG vorliegt, inhaltlich nicht befasst hat. Schließlich vermag auch das weitere Argument der Vorinstanzen, beim Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG handle es sich nicht um eine Leistung des Versicherungsträgers an den Versicherten, nicht zu überzeugen, weil der Anspruch auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung dem Dienstgeber (für den Versicherten) zusteht, der Dienstgeber somit als Leistungsempfänger anzusehen ist und ihm daher Parteistellung im vorliegenden Verfahren zukommt. Das Gesetz selbst sieht jedoch nicht vor, dass lediglich Leistungen des Versicherungsträgers gegenüber dem Versicherten als Versicherungsleistung einzustufen wären (vgl dazu auch die oben stehenden Ausführungen zu dem vom Krankenversicherungsträger ebenfalls an den Dienstgeber zu leistenden Erstattungsbetrag nach § 8 EFZG; SSV-NF 15/144).

Da das Begehren der Klägerin somit eine Leistungssache im Sinn des § 354 Z 1 ASVG betrifft (in diesem Sinne auch Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht - eine Gesamtdarstellung für die betriebliche Praxis Juli 2005 S. 344/IV), erweist sich der von den Vorinstanzen angenommene Zurückweisungsgrund als nicht berechtigt. Vielmehr ist über die Klage das gesetzmäßige Verfahren durchzuführen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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