OGH 15Os139/05p

OGH15Os139/05p3.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. August 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schreuer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Roman M***** wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Juli 2005, GZ 121 Hv 131/03a-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Roman M***** der Finanzvergehen (zu A./) nach § 33 Abs 1 FinStrG und (zu B./) nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien als Geschäftsführer der D***** GmbH in mehreren Tathandlungen vorsätzlich

A./ unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt, indem Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, zu niedrig festgesetzt wurden, und zwar Umsatzsteuer in der Höhe von

1./ 1995 5.180,48 Euro,

2./ 1996 6.448,48 Euro,

3./ 1997 10.870,33 Euro,

4./ 1998 11.270,98 Euro,

5./ 1999 11.110,08 Euro,

6./ 2000 4.695,03 Euro,

B./ unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UstG 1972 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Umsatzsteuer bewirkt, und zwar

1./ im Dezember 1998 64.098,30 Euro,

2./ von Juli bis Dezember 1999 85.397,56 Euro,

3./ zusätzlich 1999 438,51 Euro,

4./ von Jänner bis Juni 2000 11.991,02 Euro,

und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit b und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Ablehnung mehrerer vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellter Anträge Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Wenngleich aus § 271 Abs 1 letzter Satz StPO auch das Recht der Partei ableitbar ist, die Unterlassung („Streichung") der Feststellung einzelner Punkte im Protokoll (im konkreten Fall: einer vom Vorsitzenden - unzulässiger Weise [§ 52 Abs 2 Geo, vgl Danek, WK-StPO § 232 Rz 4] - geäußerten Wertung des Verhaltens des Angeklagten) zu begehren, kann der gegen die Antragsabweisung gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde kein Erfolg beschieden sein, weil selbst im Fall der Verletzung von Verteidigungsrechten durch die Äußerung des Vorsitzenden deren wahrheitsgemäße Protokollierung keine zusätzliche Beeinträchtigung darstellt.

Eine Verletzung des Fragerechts des Angeklagten an den Sachverständigen (§ 249 Abs 1 StPO) lag nicht vor, weil dieses nur in der Hauptverhandlung mündlich gestellte Fragen betreffen kann. Eine in der Hauptverhandlung vom Verteidiger nicht vorgetragene, vielmehr lediglich zuvor in Schriftform dem Sachverständigen übermittelte „Fragenliste" hat keine prozessuale Bedeutung, weshalb durch die Behauptung, der Sachverständige wäre vom Vorsitzenden zu einer ausreichenden Beantwortung einer Frage „anzuhalten" gewesen, kein Verfahrensfehler aufgezeigt wird.

Warum die Nichtzulassung der vom Verteidiger an die Zeugin Patricia K***** gestellten Frage, ob diese mit dem nicht von ihr verfassten handschriftlichen Zusatz in ihrem Prüfbericht „am 14.9.1999 900.000.- auf Saldo gutgeschrieben" (S 527/I) „inhaltlich etwas anfangen" könne (S 485/II), geeignet gewesen sei, die Verteidigungsrechte des Angeklagten zu beeinträchtigen, vermag die Beschwerde mit der substanzlosen Behauptung, dass dies „mit dem dem Angeklagten angelasteten strafbestimmenden Wertbetrag zusammenhängt", nicht darzutun, was jedoch schon in Hinblick darauf erforderlich gewesen wäre, als die Formulierung der angeführten Textpassage die Art der Verbuchung unmissverständlich beschreibt (vgl S 285, 619/I, 177/II).

Der in der Hauptverhandlung vom 11. Juli 2005 gestellte Antrag des Verteidigers auf Vertagung der Hauptverhandlung durfte zu Recht abgewiesen werden. Der Antrag wurde damit begründet, dass dem Verteidiger zum einen keine Abschrift des (an den drei dazwischenliegenden Werktagen noch nicht fertiggestellten) Hauptverhandlungsprotokolls vom 5. Juli 2005 zugestellt worden sei und ihm zum anderen eine schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen erst zehn Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung zugekommen sei. Er sei daher nicht in der Lage gewesen, sich entsprechend vorzubereiten. Wenngleich die Verhandlungsmitschrift gemäß § 271 Abs 6 zweiter und vierter Satz StPO unverzüglich in Vollschrift zu übertragen und das fertiggestellte Protokoll dem Verteidiger ehestmöglich, spätestens zugleich mit der Urteilsausfertigung zuzustellen ist, ist daraus kein Recht der Parteien ableitbar, im Fall einer Vertagung innerhalb der 2-Monatsfrist des § 276a StPO an jedem Verhandlungstag bereits über das Protokoll des jeweils vorangegangenen Verhandlungstages zu verfügen. Im konkreten Fall wäre es schon in Hinblick auf die kurze zwischen den beiden Verhandlungstagen verstrichene Zeit Sache des Antragstellers gewesen, darzutun, in welcher Weise er konkret infolge Nichtvorliegens des Protokolls in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt gewesen sei. Im Übrigen wäre es ihm in Hinblick darauf, dass ein Verhandlungsprotokoll noch nicht erstellt und zugestellt worden ist, freigestanden, einen Antrag auf Wiedergabe der Mitschrift des Schriftführers vom 5. Juli 2005 zu stellen (§ 271 Abs 6 erster Satz StPO).

Auch der Umstand, dass der Sachverständige seine Stellungnahme zu in der Hauptverhandlung vom 5. Juli 2005 an ihn gerichteten Fragen nicht nur in der Hauptverhandlung vom 11. Juli 2005 mündlich vortrug, sondern zusätzlich zuvor auch in (sehr kurzer, innerhalb weniger Minuten erfassbarer, s ON 52) Schriftform präsentierte, begründete keinen Anspruch auf Vertagung, zumal es der Antragsteller auch in diesem Punkt unterließ, darzutun, worin sein (nur pauschal behaupteter) zusätzlicher Vorbereitungsaufwand bestünde.

Die Abweisung der Anträge auf Vernehmung der Zeugen Robert Au*****, Robert G*****, Mag. Christian H***** und Dieter H***** erfolgte im Ergebnis zu Recht, zielten diese doch schon in Hinblick auf die Ausführungen des Vertreters des Privatbeteiligten über die Zuständigkeit und Kompetenz der genannten Finanzbeamten (S 87 f/II), denen der Antragsteller nichts Tatsächliches entgegenzusetzen wusste, auf einen reinen Erkundungsbeweis ab. Die Beschwerdeausführungen über die Auswirkungen von Widmung und Verbuchung für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige wiederum betreffen keine - einem Zeugenbeweis zugängliche - Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage.

Soweit die Beschwerde die Abweisung des Antrags auf ergänzende Vernehmung des Zeugen Mag. Wolfgang Sch***** (zum Beweis dafür, dass die Ausführungen des Sachverständigen zur Vorsteuerberichtigung hinsichtlich der Steuerberatungskosten unrichtig seien, zumal Buchhaltungs- und Lohnverrechnungskosten zu 100% der Vermietung und die Bilanzkosten zu je 50% der Vermietung und dem Verkauf zuzurechnen gewesen wären,) rügt, betrifft das Beweisthema erneut eine Rechtsfrage.

Warum die Buchung von Zahlungen des Angeklagten „innerhalb der Deliktszeiträume zumindest teilweise auch auf Umsatzsteuer" einen den Schuldspruch berührenden Umstand darstellen soll, vermag die Beschwerde, die unmittelbar zuvor selbst noch das Gegenteil behauptet, nicht darzutun. Die Vernehmung eines informierten Vertreters des Finanzamts zu diesem Thema durfte somit ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben.

Schließlich verfiel auch der Antrag auf Ladung des Verfassers des Aktenvermerks des Finanzamts (Beilage ./3 zu ON 53) zum Beweis dafür, dass „sehr wohl eine Ratenvereinbarung in Zusammenhang mit einer Selbstanzeige geschlossen" worden sei (S 105/III), zu Recht der Ablehnung, handelt es sich doch in Hinblick auf den vorliegenden abweisenden Bescheid (Beilage ./3, s dazu auch S 105/III) wiederum um einen Erkundungsbeweis, was auch das rein spekulative Beschwerdevorbringen, dass es sich nicht um „die einzige finanzamtliche Erledigung von Ratengesuchen des Angeklagten" gehandelt habe, erweist.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider blieb die Verantwortung des Angeklagten betreffend die behauptete Anerkennung der Zahlung von 900.000 S durch das Finanzamt im Urteil nicht unberücksichtigt, sondern wurde von den Tatrichtern erörtert und als widerlegt angesehen (US 15). Gleiches gilt für die Verantwortung des Angeklagten betreffend die Zahlungen von 50.000 S pro verkaufter Wohnung und 500.000 S pro verkauftem Haus (US 13). Dabei waren die Tatrichter - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht verhalten, sich mit allen Details der als widerlegt angesehenen Aussagen im einzelnen auseinander zu setzen (RIS-Justiz RS0106642, RS0098778).

Letzteres gilt auch für die Behauptung des Angeklagten, er habe deshalb keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben können, weil die Abrechnungen der Hausverwaltungen nicht vorgelegt worden seien. Dies betrifft im Übrigen auch schon deshalb keinen entscheidenden Umstand, weil er - was die Beschwerde aber verschweigt - darüber hinaus zugestand, dass es ihm möglich gewesen wäre, eine auf Schätzung beruhende Meldung abzugeben (S 55/II).

Auch die Verantwortung des Angeklagten, es seien Bankbelege abhanden gekommen (S 495/II), blieb im Urteil nicht unerörtert, sondern wurde als unglaubwürdig verworfen (s US 14).

Die Aussage des Sachverständigen S 497 (Fehlen zweier Belege) und 499/II (Fehlen nur eines Belegs über 150.000 S aus 2000) ist schon deshalb nicht in sich widersprüchlich und war somit auch nicht gesondert erörterungsbedürftig, als der weitere fehlende Beleg über 900.000 S aus dem Jahr 1999 stammte.

Warum die Tatrichter aus der Aufschrift „Rate Finanz" auf Zahlungsbelegen nicht die vom Angeklagten gewünschten Schlüsse gezogen haben, ließen sie - dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider - nicht unbegründet (s US 15).

Soweit die Mängelrüge Fehler des Sachverständigen bei der Befundaufnahme behauptet, betrifft sie keine für das Gutachten bedeutsamen Umstände (Stellung eines Ratengesuchs, Befragung der Umsatzsteuerprüfer durch den Sachverständigen, Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens) und bekämpft im Ergebnis nur in unzulässiger Form die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der Behauptung, das Schöffengericht wäre verhalten gewesen, aufgrund der Verantwortung des Angeklagten, die Aussage der Zeugin P***** könne nicht richtig sein, weil Ratenzahlungen schon vor dem Jahr 2000 erfolgten, als das Finanzamt noch keine Grundpfandrechte gehabt habe (S 39/II), sowie es seien beim Sachverständigen Zahlungsbelege in Verstoß geraten (S 495 f/II), von Amts wegen - nicht näher genannte - weitere Beweise zu diesen Themen aufzunehmen, keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden Feststellungen zu erzeugen, zumal nicht dargetan wird, wodurch der anwaltlich vertretende Angeklagte an der Ausübung seines Rechts gehindert gewesen sei, entsprechende Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0115823).

Die Rechtsrüge nach Z 9 lit b reklamiert für einen Teilbetrag zu B./2./ und weitere - nicht näher bezeichnete - Teilbeträge den Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige nach § 29 FinStrG, orientiert sich aber schon insoweit nicht am Gesetz, als sie § 214 BAO außer Acht lässt und nicht dartut, warum ungeachtet dieser Bestimmung eine Zahlung ohne Bekanntgabe des Verwendungszwecks auf dem Zahlungsbeleg nicht eine Begleichung der dem Fälligkeitstag nach ältesten verbuchten Abgabenschuld (§ 214 Abs 1 BAO), sondern vielmehr einer später entstandenen (Abs 4 leg cit) darstellen soll.

Die Sanktionsrüge (Z 11) behauptet zu Unrecht einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, durfte doch das - keinen Erschwerungsgrund darstellende - Zusammentreffen zweier Finanzvergehen im Rahmen des § 32 Abs 2 und 3 StGB sehr wohl Berücksichtigung finden (vgl 12 Os 102/89).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen folgt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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