OGH 9ObA60/06y

OGH9ObA60/06y12.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Klaus Mayr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Renate S*****, Friseurin, *****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Christine J*****, Friseurin, *****, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 4.086,10 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2006, GZ 9 Ra 101/05x-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 6. Dezember 2004, GZ 35 Cga 183/04v-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Übrigen bestätigt wird, wird im Zinsenpunkt dahin abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei lediglich 4 % Zinsen aus dem Kapitalbetrag (EUR 4.086,10 brutto) seit dem 30. 5. 2004 zu zahlen, während das Zinsenmehrbegehren der klagenden Partei von 5,47 % abgewiesen wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 66,62 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 7. 8. 1984 bei der Beklagten als Friseurin beschäftigt. Am 12. 6. 1999 gebar sie ein Kind. Nach der Zeit des Beschäftigungsverbots befand sich die Klägerin von 8. 8. 1999 bis 12. 6. 2001 in Mutterschaftskarenz; für die Zeit nach Ausschöpfung des gesetzlichen Karenzurlaubs wurde auf ihr Betreiben die Arbeitszeit von 40 auf 23 Wochenstunden reduziert. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete zum 29. 5. 2004 durch Arbeitgeberkündigung. Die Beklagte zahlte der Klägerin anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine auf der Grundlage des zuletzt für 23 Wochenstunden bezogenen Entgelts berechnete Abfertigung in der Höhe von sechs Monatsentgelten im Betrag von EUR 5.528,28 netto. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zahlung von weiteren 4.086,10 brutto sA an Abfertigung. Ihre Arbeitszeit sei gemäß § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG reduziert worden, sodass die ihr zustehende Abfertigung nicht auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Entgelts, sondern nach § 14 Abs 4 AVRAG zu berechnen sei. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Klägerin nach Ausschöpfung des gesetzlichen Karenzurlaubs ihr Kind zumindest zeitweise weiterbetreuen müsse. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Es liege keine Teilzeitbeschäftigung nach § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG vor. Die Klägerin habe die Karenzzeit bis zum Maximum (2. Geburtstag des Kindes) ausgeschöpft. Eine weitere arbeitsrechtliche Absicherung für die Betreuung eines gesunden Kindes bestehe nicht. An Betreuungspflichten iSd § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG käme nur die Pflege kranker, behinderter oder gebrechlicher Personen in Betracht, nicht jedoch die Betreuung eines heranwachsenden gesunden Kleinkindes.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die gewöhnliche Pflege eines heranwachsenden Kindes falle nicht unter § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil iSd Stattgebung des Klagebegehrens ab. Entgegen der Meinung des Erstgerichts und der Beklagten beschränke sich der Begriff der „Betreuung" in § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG nicht auf die Pflege von kranken, behinderten oder gebrechlichen Personen. Die Auffassung, die Betreuung heranwachsender gesunder Kleinkinder sei nicht von § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG erfasst, finde im Gesetzeswortlaut keine Deckung. Für die Anwendung des § 14 Abs 4 AVRAG sei allein entscheidend, dass iSd § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG die Herabsetzung der Arbeitszeit wegen der erforderlichen Betreuung des Kindes der Klägerin vereinbart worden sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Die Abfertigung sei daher nach § 14 Abs 4 AVRAG zu berechnen. Die ordentliche Revision sei nach § 501 Abs 1 ZPO zulässig, weil bisher eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 14 Abs 2 und 4 AVRAG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Berufungsentscheidung iSd Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die durch das ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, eingefügte und mit 1. 1. 1998 in Kraft getretene Bestimmung des § 14 AVRAG hat - soweit hier von Interesse - folgenden Wortlaut:

„(2) Darüber hinaus kann zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer,

  1. 1. der das 50. Lebensjahr vollendet hat, oder
  2. 2. mit nicht nur vorübergehenden Betreuungspflichten von nahen Angehörigen im Sinne des § 16 Abs. 1 letzter Satz UrlG, die sich aus der familiären Beistandspflicht ergeben, auch wenn kein gemeinsamer Haushalt gegeben ist,

    die Herabsetzung der Normalarbeitszeit vereinbart werden. In Betrieben, in denen ein für den Arbeitnehmer zuständiger Betriebsrat errichtet ist, ist dieser auf Verlangen des Arbeitnehmers den Verhandlungen beizuziehen.

(3) Frühestens zwei Monate, längstens jedoch vier Monate nach Wegfall einer Betreuungspflicht im Sinne des Abs. 2 Z 2 kann der Arbeitnehmer die Rückkehr zu seiner ursprünglichen Normalarbeitszeit verlangen.

(4) Hat die Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach Abs. 2 zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kürzer als zwei Jahre gedauert, so ist bei der Berechnung einer nach dem AngG, dem ArbAbfG oder dem GAngG zustehenden Abfertigung die frühere Arbeitszeit des Arbeitnehmers vor dem Wirksamwerden der Vereinbarung nach Abs. 2 zugrunde zu legen. Hat die Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach Abs. 2 zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses länger als zwei Jahre gedauert, so ist - sofern keine andere Vereinbarung abgeschlossen wird - bei der Berechnung einer nach dem AngG, dem ArbAbfG oder dem GAngG zustehenden Abfertigung für die Ermittlung des Monatsentgeltes vom Durchschnitt der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre geleisteten Arbeitszeit auszugehen. Bei der Berechnung der Abfertigung nach dem BUAG ist bei der Berechnung der Stundenzahl nach § 13d Abs. 3 BUAG vorzugehen."

Diese Bestimmung ist in vielerlei Hinsicht unklar und gibt dem Rechtsanwender Rätsel auf (siehe dazu im Detail ua Schwarz, Das AVRAG im Zwielicht, RdW 2000/16; zuletzt ausführlich Pfeil in Zeller Kommentar [in Druck] § 14 Rz 3 ff). So haben etwa mehrere Autoren zu Recht darauf verwiesen, dass die in § 14 Abs 2 AVRAG enthaltene „Anordnung", unter den genannten Voraussetzungen könne eine Teilzeitvereinbarung geschlossen werden, isoliert betrachtet keinen normativen Wert hat, weil auch ohne die genannten Voraussetzungen eine solche Vereinbarung als Ausfluss der Privatautonomie jederzeit möglich ist (so etwa Jabornegg, Arbeitsrechtliche Aspekte des ASRÄG 1997, in Jabornegg/Resch, Rechtsfragen des ASRÄG 1997, 13 ff [36 f]; Binder, AVRAG, § 14 Rz 8 und 9; Schwarz aaO). Bedeutung erlangt § 14 Abs 2 AVRAG daher überhaupt erst dadurch, dass an eine entsprechende Vereinbarung verschiedene Folgen geknüpft werden, von denen für den Fall der Teilzeitvereinbarung wegen einer Betreuungspflicht das in § 14 Abs 3 AVRAG geregelte Recht auf Rückkehr zur ursprünglichen Normalarbeitszeit und die in § 14 Abs 4 AVRAG normierte begünstigte Abfertigungsberechnung zu nennen sind. Auch in diesem Zusammenhang ist dem Gesetz allerdings nicht zu entnehmen, ob diese zuletzt genannten Folgen immer dann eintreten, wenn eine Teilzeitvereinbarung geschlossen und in der Folge nachgewiesen wird, dass die in § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG genannten Voraussetzungen vorliegen, oder ob es erforderlich ist, dass eine Vereinbarung geschlossen wird, die von vornherein als solche iSd § 14 Abs 2 AVRAG bezeichnet wird bzw erkennbar ist. Der Oberste Gerichtshof vertritt zu dieser zuletzt genannten Frage die Auffassung, dass schon bei Abschluss der Vereinbarung dem Arbeitgeber gegenüber offen gelegt werden bzw klar sein muss, dass die Teilzeitvereinbarung „wegen einer nicht nur vorübergehenden Betreuungspflicht für einen nahen Angehörigen" geschlossen werden soll. Die Verwendung des Gesetzeswortlauts oder gar die Zitierung des § 14 Abs 2 AVRAG ist dabei allerdings nicht erforderlich.

Zur hier entscheidenden Frage, ob zu den in § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG genannten „nicht nur vorübergehenden Betreuungspflichten von nahen Angehörigen im Sinne des § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG" auch jene Betreuungspflichten gehören, die einen iSd §§ 144, 146 ABGB zur Pflege eines gesunden Kindes verpflichteten Elternteil treffen, gibt es bislang keine Rechtsprechung und auch nur vereinzelte Stellungnahmen in der Lehre.

Binder (aaO Rz 12) plädiert generell für eine weite Auslegung des Begriffs der Betreuungspflichten und meint, dass sich dieser Begriff nicht auf die Pflege von kranken, behinderten oder gebrechlichen Personen beschränkt. Auch die psychische Unterstützung seelisch lädierter Angehöriger oder die Besorgung der wirtschaftlichen Angelegenheiten von Angehörigen, die dazu nicht (mehr) in der Lage seien, sei umfasst. Die Frage der Betreuung des gesunden Kleinkindes spricht Binder allerdings nicht an.

Auch Pfeil (aaO Rz 7) versteht das Abstellen auf nicht nur vorübergehende Betreuungspflichten als Abgrenzung zur Pflegefreistellung bzw zur Dienstverhinderung aus sonstigen wichtigen Gründen. Dies erlaubt aber keine zwingenden Rückschlüsse auf die Frage, welcher Art und Ursache die Betreuungspflichten sein müssen. Im Übrigen vertritt Pfeil die Auffassung, dass die Ursache für die Betreuungsbedürftigkeit keine Rolle spielt.

Lediglich Rauch (Die Abgrenzung zwischen Elternteilzeit und anderen Formen der Teilzeitbeschäftigung, ecolex 2005, 304 ff) spricht die hier zu lösende Frage ausdrücklich an. Er vertritt die Meinung, dass Karenz und Teilzeit zur Kinderbetreuung im MuttSchG und im VKG abschließend geregelt seien. Die - mit zunehmendem Alter abnehmende - Betreuung eines heranwachsenden gesunden Kleinkinds werde durch diese Gesetze abgesichert, während es in § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG um gänzlich andere Betreuungspflichten gehe. Aus diesem Grund habe der Gesetzgeber keine Abgrenzungsnotwendigkeit gesehen. Den Erläut zur RV (886 BlgNR 20. GP 72) ist zur hier interessierenden Frage wenig zu entnehmen: Ziel der Regelung sei ua die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, „um Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine flexible Gestaltung des Arbeitslebens zu erleichtern, ohne aber die arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer zu verschlechtern (Abfertigung, Kündigungsschutz)." Die Regelung wird als solche für „Arbeitnehmer mit besonderen Betreuungspflichten" bezeichnet.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

§ 14 Abs 2 Z 2 AVRAG spricht von „nicht nur vorübergehenden Betreuungspflichten von nahen Angehörigen im Sinne des § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG, die sich aus der familiären Beistandspflicht ergeben". Zu diesen nahen Angehörigen iSd § 16 Abs 1 letzter Satz UrlG gehören auch Kinder. Unbestreitbar ist auch, dass die Eltern zur Betreuung ihrer Kinder verpflichtet sind (§§ 144, 146 ABGB; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ ErgB § 146 Rz 1 ff ua). Dass diese familiäre Betreuungspflicht von § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG nicht erfasst und der Anwendungsbereich der Regelung auf kranke oder überdurchschnittlich betreuungsbedürftige Kinder bzw auf „außergewöhnliche Lebenssachverhalte" eingeschränkt sein soll, ist jedenfalls dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. Richtig ist, dass in den Erläut zur RV von „besonderen Betreuungspflichten" die Rede ist. Ob mit dieser Formulierung eine wie immer geartete Einschränkung der in Betracht kommenden Betreuungspflichten zum Ausdruck gebracht werden sollte, ist unklar, aber letztlich nicht relevant, weil Umfang und Inhalt einer allfällig beabsichtigten Einschränkung nicht erkennbar sind und eine derartige Absicht des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes nicht den geringsten Niederschlag gefunden hat. Aus dem in den Gesetzesmaterialien angeführten Zweck der Regelung (Erleichterung der flexiblen Gestaltung des Arbeitslebens, ohne die arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer zu verschlechtern) lässt sich jedenfalls die von Rauch vertretene Einschränkung - ebenso wie aus dem sonstigen Wortlaut der Materialien - nicht ableiten.

Dem Argument Rauchs, dass Karenz und Teilzeit zwecks Kinderbetreuung in den §§ 15h ff MuttSchG und in den § 8 ff VKG abschließend geregelt seien, sodass für diesen Bereich § 14 AVRAG nicht anwendbar sei, ist letztlich ebenfalls nicht zu folgen. Diesem Argument ist vor allem entgegenzuhalten, dass die genannten Bestimmungen des MuttSchG und VKG nur das Verhältnis zwischen (leiblichen, Adoptiv- oder Pflege-)Müttern und Vätern einerseits und deren (leiblichen, Adoptiv- oder Pflege-)Kindern regeln, während § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG durch den Verweis auf § 16 Abs 1 UrlG einen weiteren Anwendungsbereich hat („mit dem Arbeitnehmer in gerader Linie verwandt"), sodass etwa auch das Verhältnis zwischen Großeltern und Enkelkindern erfasst ist. Würde man die §§ 15h ff MuttSchG bzw 8 ff VKG mit Rauch als speziellere und abschließende Regelung für die Teilzeit zwecks Kinderbetreuung auffassen, würde dies bedeuten, dass in all jenen Fällen, in denen - beispielsweise wegen Todes der leiblichen Eltern - die Großeltern das Kind betreuen, diesen trotz des völlig vergleichbaren Bedarfs keine der vom Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Teilzeitbeschäftigung offen stünden. Dies kann dem Gesetzgeber ohne schlüssige Hinweise im Gesetz nicht unterstellt werden. Dass die (in den Voraussetzungen in verschiedener Hinsicht engeren) §§ 15h ff MuttSchG bzw 8 ff VKG auch bei kranken und daher besonders pflegebedürftigen Kindern § 14 AVRAG verdrängen, kann wohl überhaupt nicht angenommen werden. Für eine wie immer geartete Differenzierung bietet aber der Wortlaut beider Bestimmungen keinen Anhaltspunkt. Viel eher ist daher anzunehmen, dass sich derjenige, der ein Kind betreut, immer dann, wenn die (engeren) Voraussetzungen der §§ 15h ff MuttSchG bzw 8 ff VKG nicht vorliegen, jedenfalls auf § 14 AVRAG berufen kann. Schließen aber die §§ 15h ff MuttSchG bzw 8 ff VKG die Anwendung des § 14 AVRAG nicht aus, ist ihnen auch nichts zu entnehmen, was eine vom Wortlaut des § 14 AVRAG nicht gedeckte Einschränkung seines Anwendungsbereichs rechtfertigen könnte.

Dass sich aus dem Nebeneinander der Bestimmungen der §§ 15h MuttSchG bzw 8 ff VKG einerseits und des § 14 AVRAG (wohl im Zweifel iSd Anwendung der weitergehenden Regelung zu lösende) Abgrenzungsprobleme ergeben können, trifft zu. Diese Abgrenzungsprobleme brauchen hier aber nicht erörtert zu werden, weil sie sich im zu beurteilenden Fall nicht stellen, zumal - wovon beide Parteien ausgehen - bei der Klägerin die Voraussetzungen für eine Teilzeitbeschäftigung nach dem MuttSchG nicht vorgelegen sind.

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass keinerlei Umstände erkennbar sind, die es erlauben würden, den in seinem Wortlaut umfassenden und damit eindeutigen Gesetzestext im von Rauch befürworteten Sinn einzuschränken. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die - offenbar auch in der Lehre bislang kaum bedachte - Anwendung des § 14 AVRAG auf gesunde Kinder nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag, ist es nicht möglich, auf Grund einer solchen Annahme ohne Grundlage im Gesetzestext, in der Systematik des Gesetzes oder auch nur in den Materialien im Auslegungsweg eine Einschränkung des an sich unmissverständlichen Wortlauts vorzunehmen. Eine teleologische Reduktion (vgl dazu Koziol/Welser I13 32 f ua) würde den klaren Nachweis voraussetzen, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten" Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RIS-Justiz RS0008979, RS0106113 ua). Dieser Nachweis wurde nicht erbracht. Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Oberste Gerichtshof geht daher davon aus, dass auch die Betreuungspflicht für gesunde Kinder vom Anwendungsbereich des § 14 AVRAG erfasst ist.

Offen bleibt allerdings, wie lange bzw unter welchen Voraussetzungen von einer Pflicht der Eltern zur (iSd § 14 AVRAG relevanten) Betreuung des Kindes gesprochen werden kann. Die Meinung der Beklagten, dies sei auch bei Kleinkindern jedenfalls dann nicht der Fall, wenn geeignete Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stünden, teilt der Oberste Gerichtshof nicht. Dies liefe auf eine Verpflichtung hinaus, die Betreuung Dritten zu übertragen. Für eine solche Verpflichtung (die ja dann auch bei anderen Betreuungspflichten zu prüfen wäre) fehlt es aber an jeglichem Anhaltspunkt.

Bis zu welchem Alter von Kindern bzw unter welchen Voraussetzungen die Kinderbetreuung durch einen dazu verpflichteten Elternteil die Anwendung des § 14 AVRAG rechtfertigt, braucht hier nicht abschließend erörtert zu werden. Das Kind der Klägerin stand nämlich zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst kurz vor der Vollendung des 5. Lebensjahrs. Es war daher noch nicht schulpflichtig und gehörte damit jener Altersgruppe an („bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahrs"), für die der Gesetzgeber in § 15h MuttSchG bzw in § 8 VKG die Betreuungsbedürftigkeit unterstellt. Jedenfalls in dieser Altersgruppe kann aber auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände von einer iSd § 14 Abs 2 Z 2 AVRAG relevanten Betreuungspflicht der Eltern ausgegangen werden. Wie weit bzw unter welchen Umständen dies auch darüber hinaus der Fall ist, braucht hier nicht erörtert zu werden.

In erster Instanz war letztlich unstrittig, dass die im Anschluss an das Ende der Mutterschaftskarenz getroffene Vereinbarung der Parteien auf Reduktion der Wochenarbeitszeit der Klägerin von 40 auf 23 Stunden zwar nicht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 14 AVRAG, wohl aber im beiderseitigen Bewusstsein der Notwendigkeit der Betreuung des damals zwei Jahre alten Kinds der Klägerin geschlossen wurde. Dass dies „außer Streit" stand, wurde von der Beklagten auch noch in der Berufungsbeantwortung bekräftigt. Auf gewisse Unschärfen im erstinstanzlichen Protokoll, auf die die Beklagte in der Revision Bezug nimmt, kommt es daher nicht an. Die Notwendigkeit, Kinder dieses Alters zu betreuen, ist notorisch. Dass es bei der Teilzeitvereinbarung allenfalls auch eine Rolle spielte, dass der Ehegatte der Klägerin der Meinung war, sein Einkommen reiche „allein für die (gemeint offenbar: finanzielle Seite der) Betreuung der Familie", bekräftigt nur, dass die tatsächliche Betreuung des Kinds an der Klägerin hing, und unterstreicht damit nur die Motive der Klägerin bei der Vereinbarung auf Reduktion der Arbeitszeit. Der Oberste Gerichtshof hält daher die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für zutreffend, sodass der Revision der Beklagten hinsichtlich des der Klägerin zuerkannten, der Höhe nach unstrittigen Abfertigungskapitalbetrags ein Erfolg zu versagen war. Berechtigt sind jedoch die Einwände der Revisionswerberin gegen das die gesetzlichen Zinsen von 4 % übersteigende Zinsenbegehren der Klägerin, weil der Beklagten mangels bisheriger Rechtsprechung zur gegenständlichen Problematik zuzubilligen ist, dass sie die Zahlung der Abfertigung unter Zugrundelegung der Berechnung nach § 14 Abs 4 AVRAG aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht verweigert hat (§ 49a ASGG; 9 ObA 113/03p ua).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO.

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