OGH 10ObS66/05m

OGH10ObS66/05m13.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Manuela Majeranowski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Frieda L*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. April 2005, GZ 11 Rs 19/05a-25, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Jänner 2005, GZ 17 Cgs 169/04p-21, aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Im Verfahren zu 17 Cgs 330/00h des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht verpflichtete sich die beklagte Partei mit Vergleich vom 12. 9. 2001, der Klägerin für die Folgen der Berufskrankheit Hepatitis C eine Dauerrente von 30 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 1. 2000 zu gewähren.

Mit Bescheid vom 14. 5. 2004 entzog die beklagte Partei der Klägerin die Dauerrente ab 1. 7. 2004, weil die Hepatitis C Erkrankung der Klägerin ausgeheilt sei, wesentliche Folgen der Berufskrankheit nicht mehr vorhanden seien und die Erwerbsfähigkeit nicht mehr im rentenbegründenden Ausmaß gemindert sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, ihr auf Grund der Berufskrankheit die Versehrtenrente in Höhe von 30 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 2004 (weiter) zu gewähren. Ihr Gesundheitszustand habe sich nicht wesentlich gebessert. Das Hepatitis C Virus sei zwar momentan nicht nachweisbar, es sei aber noch nicht abgeklärt, ob eine allfällige Schädigung der Leber vorliege.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens aus den im Bescheid genannten Gründen. Sie brachte ergänzend vor, auf Grund der bei der Klägerin seit November 2002 vorliegenden HCV-PCR Negativität, der normalen Leberwerte und des Fehlens eines fortgeschrittenen Leberschadens mit Dauerfolgen sei von einer dauerhaften Heilung auszugehen und die Minderung der Erwerbsfähigkeit nur noch mit null Prozent einzustufen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:

Durch eine PEG-Interferontherapie mit Ribavirin-Tabletten im Zeitraum Oktober 2001 bis Oktober 2002 gelang es, bei der Klägerin einen Zustand zu erreichen, bei dem zumindest derzeit das Hepatitis C Virus nicht mehr nachweisbar ist. Insofern lag ein Behandlungserfolg vor. Dies bedeutet aber nicht, dass die Klägerin mittlerweile völlig gesund wäre.

Die Infektion der Klägerin trat bei ihren Plasma-Spenden im Zeitraum 1976 bis 1978 ein. Schon bald kam es zu erhöhten Leberwerten. Die Erkrankung ist wissenschaftlich erst seit 1989 erfasst und diagnostizierbar. Bei der Klägerin trat sie im Zeitraum 1976 bis 1978 auf und wurde 1991 diagnostiziert. Zumindest 1996 bestand bei der Klägerin eine beginnende Fibrosierung der Leber (Umwandlung des Lebergewebes), die hauptverantwortlich für funktionale Leistungseinschränkungen wie insbesondere Abgeschlagenheit und Müdigkeit ist. Grundlage für die Gewährung der Versehrtenrente durch den gerichtlichen Vergleich war der Zustand der Klägerin wie er insbesondere im in diesem Vorverfahren erstatteten internistischen Gutachten dokumentiert ist. Damals bestand bei der Klägerin eine 1996 beginnende, mittlerweile zugenommene Fibrose.

Es steht nicht fest, dass bei der Klägerin seither bei den daraus resultierenden Begleitsymptomen wie insbesondere Müdigkeit/Abgeschlagenheit und Gelenkschmerzen eine Besserung eingetreten ist. Der funktionale Zustand ist vielmehr unverändert. Es besteht kein Hinweis darauf, dass sich die Fibrosierung der Leber seither zurückgebildet hätte. Nach medizinischer Erfahrung ist dies unwahrscheinlich und könnte nur durch eine Leberpunktation festgestellt werden. Ein solcher Eingriff ist bei der Klägerin medizinisch nicht indiziert und auch mit gewissen Risken (zB einem allgemeinen Infektionsrisiko) verbunden. Die Klägerin ist somit auch insofern nicht geheilt, als es einerseits keinesfalls ausgeschlossen werden kann, dass es zu einem Wiederauftreten der Nachweisbarkeit des Hepatitis C Virus (Relaps) kommt, und andererseits sich die Leberfibrosierung wahrscheinlich noch nicht zurückgebildet hat und die daraus resultierenden Begleitsymptome immer noch bestehen. Derzeit kann eine Prognose nicht erstellt werden. Eine Besserung auch der Begleitsymptome ist zumindest nicht ausgeschlossen. Rechtlich führte das Erstgericht aus, es sei nicht zu einer wesentlichen funktionalen Besserung gegenüber dem Zustand bei der Gewährung der Dauerrente gekommen sei, der Anspruch auf die Rente bestehe daher weiter.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge. Es hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Zu Unrecht vertrete das Erstgericht die Rechtsauffassung, es spiele keine Rolle, wie hoch die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nunmehr wirklich sei, weil zumindest derzeit eine Entziehung der Dauerrente mangels Besserung der funktionalen Auswirkungen der Erkrankung nicht in Frage komme. Eine wesentliche Änderung im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG könne nämlich auch darin liegen, dass sich der Kreis der trotz der nach wie vor bestehenden funktionalen Auswirkungen noch ausübbaren Berufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch die Besserung des Gesundheitszustands insofern, als die Klägerin nunmehr virusfrei ist, erweitert habe. Die Bewertung der durch eine Berufskrankheit bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit müsse nicht stets in einem dreistufigen Verfahren erfolgen. Unter Einbeziehung bisheriger Erfahrungssätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die im Wesentlichen auf der Einteilung in eine chronisch persistierende Hepatitis und eine chronisch aggressive Hepatitis beruhten, orientiere sich das neuere Schema an quantitativen Bewertungen von entzündlicher Aktivität und morphologischem Stadium (Ausmaß der Fibrose), wobei die Möglichkeit einer individuell begründeten modifizierten Bewertung etwa unter Berücksichtigung des klinischen Befindens, der serologischen und molekularbiologischen Befunde, der Transaminasen-Aktivitäten oder der aktuellen Beeinflussung durch therapeutische Maßnahmen offenstehe. Hinsichtlich der Auswirkungen einer Infektionskrankheit wie Hepatitis C bedürfe es des dreistufigen Verfahrens. Es sei zunächst die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens der Klägerin durch die bei ihr bestehenden funktionalen Leistungseinschränkungen, dann aber auch der Umfang der ihr dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens und schließlich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen. Dieser Vorgangsweise bedürfe es im vorliegenden Fall um so mehr, als bei der Klägerin nach dem internistischen Gutachten keine messbaren Zeichen einer chronischen Hepatitis C Erkrankung mehr vorlägen, die Klägerin also virusfrei sei, die Transaminasen im Normbereich lägen und derzeit keine Entzündungsaktivität mehr nachweisbar sei. Mit dem Sachverständigen werde daher auch zu erörtern sein, wie hoch die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Grund der genannten ergänzend festzustellenden Beurteilungskriterien und unter Bedachtnahme auf das in der deutschen Praxis für die Virushepatitis entwickelte Bewertungsschema aus medizinischer Sicht einzuschätzen sei.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob es des dreistufigen Verfahrens zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch dann bedürfe, wenn dieses lediglich für die Beantwortung der Frage entscheidend sei, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG dadurch eingetreten sei, dass der ursprünglich an Hepatitis C Erkrankte keine messbaren Zeichen einer chronischen Hepatitis C mehr aufweise, aber nach wie vor an daraus resultierenden Begleitsymptomen (funktionalen Leistungseinschränkungen) leide, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin macht zusammengefasst geltend, das Vorliegen einer neuen Methodik bzw einer geänderten gutachterlichen Praxis berechtige keineswegs zu einer Anpassung einer Rente gemäß § 183 ASVG. Aus den Angaben des Sachverständigen ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Änderung im Bereich der Virusbelastung und des Vorliegens von Transaminasen eine veränderte Einsetzbarkeit am Arbeitsmarkt gegeben sein sollte. In diesem Sinn liege jedenfalls keine wesentliche Änderung im Sinn des § 183 ASVG vor.

Hiezu wurde erwogen:

Der Unfallversicherungsträger hat die Versehrtenrente neu festzustellen (zu erhöhen, herabzusetzen oder zu entziehen), wenn sich die Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgebend waren, wesentlich geändert haben. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrheit entsteht oder wegfällt (§ 183 Abs 1 ASVG). Diese Bestimmung ist nicht nur auf durch Bescheide der Unfallversicherungsträger festgestellte Renten, sondern auch dann anzuwenden, wenn ein Urteil oder ein Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet (10 ObS 152/03f = SSV-NF 17/78).

Zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, ist der Tatsachenkomplex heranzuziehen, der der Vorentscheidung (dem Vergleich) zugrundelag (10 ObS 336/89 = SSV-NF 3/140). Es sind die Verhältnisse, die der früheren Entscheidung (dem Vergleich) zu Grunde lagen, mit denen zu vergleichen, die zum nunmehr maßgeblichen Datum gegeben sind (10 ObS 320/01h mwN). Haben sich die Verhältnisse nicht wesentlich geändert, steht die Rechtskraft der Vorentscheidung (die Rechtswirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs) einer Neubemessung (Entziehung) entgegen (10 ObS 70/01v = SSV-NF 15/47 ua). Deshalb kann bei unveränderten Verhältnissen eine frühere unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht im Weg des § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden (10 ObS 70/01v mwN). Eine unrichtige (zu niedrige oder zu hohe) Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nur dann von Bedeutung sein, wenn seit der Zuerkennung der Rente eine Besserung oder Verschlechterung des Zustands eingetreten ist: Ein Versicherter, der sich mit einer zu gering bemessenen Rente zufrieden gegeben hat, muss bei einer Besserung seines Zustands eine Herabsetzung oder die Entziehung der Rente nicht in Kauf nehmen, wenn auf Grund des zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bestehenden Zustands die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente im bisherigen Ausmaß vorlagen. Bei einer zu hohen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat der Versicherungsträger im Fall eines Erhöhungsantrags trotz eingetretener Verschlechterung keine entsprechend höhere Rente zu leisten (10 ObS 336/89 = SSV-NF 3/140 ua).

Im Sinn dieser Ausführungen ist dem Rekurs zuzugeben, dass eine neue Methodik oder eine Änderung der gutachterlichen Praxis bei unveränderten Verhältnissen eine Neufeststellung der Rente nicht rechtfertigen kann. Darum geht es jedoch im vorliegenden Fall nicht, weil nach den Feststellungen davon auszugehen ist, dass sich der körperliche Zustand der Klägerin nach einer Therapie gegenüber den dem Vergleich über die Gewährung der Rente zu Grunde liegenden Verhältnissen insofern geändert hat, als das Hepatitis C Virus bei der Klägerin nicht mehr nachweisbar ist. Ob sich dadurch aber der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit im für die Entziehung notwendigen Ausmaß gebessert hat oder nicht, lässt sich nicht beurteilen, weil die zur Beurteilung dieser Frage notwendigen Feststellungen fehlen. Es wurde vom Erstgericht nicht einmal die medizinische Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin auf Grund ihres zum nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt gegebenen Zustands festgestellt.

Nach ständiger, vom Berufungsgericht berücksichtigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (zB 10 ObS 122/00i = SSV-NF 14/57 = JBl 2001, 120; 10 ObS 26/04b mwN) ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Fall einer Hepatitis C-Infektionserkrankung nach einem in diesen Entscheidungen beschriebenen "dreistufigen Verfahren" (1. Feststellung der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens durch die Berufskrankheit; 2. Feststellung des Umfangs der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens; 3. Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit) zu ermitteln, dessen Grund der Umstand ist, dass mangels eines schon durch längere Zeit erprobten Bewertungsschemas eine Nachprüfbarkeit der medizinischen Einschätzung in Bezug auf die Auswirkungen der konkret bei einem Versehrten gegebenen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gewährleistet sein muss. Für die Anwendung dieser Methode kann es keinen Unterschied machen, ob es sich um eine Erst- oder Neufeststellung der Versehrtenrente handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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