OGH 11Os29/06h

OGH11Os29/06h30.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gebhart als Schriftführer, in der Strafsache gegen Herwig F***** wegen mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 24. Oktober 2005, GZ 34 Hv 66/04s-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthaltenden Urteil wurde der Angeklagte jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A a) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A b) sowie jeweils mehrerer Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 (zu ergänzen:) Abs 1 StGB (B) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (zu ergänzen:) Z 2 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach hat er

(A) in der Zeit von etwa Februar 2004 bis 10. Mai 2004

a) mit dem am 10. Mai 1990 geborenen Mario H***** dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er an diesem ca vier bis fünf Mal pro Woche einen Oralverkehr bis zum Samenerguss durchführte, und

b) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an dem Genannten vorgenommen, indem er diesen rund vier bis fünf Mal pro Woche bis zum Samenerguss masturbierte,

(B) in der Zeit von etwa Februar 2004 bis August 2004 Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor dem seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden Mario H***** vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er mehrmals in dessen Gegenwart masturbierte, sowie

(C) durch die zu A und B beschriebenen Tathandlungen mit dem seiner Erziehung oder Aufsicht unterstehenden minderjährigen Mario H***** unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesem geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich zunächst gegen die Abweisung (S 99/II) des Antrags, die im Befund der psychologischen Sachverständigen (ON 36) wiedergegebenen Depositionen Mario H*****s (S 469 bis 483/I) in der Hauptverhandlung nicht zu verlesen. Diese Aussagen seien erst nach der im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung (ON 13) abgegebenen Entschlagungserklärung Mario H*****s (S 245/I) zustande gekommen und demgemäß der kritischen Hinterfragung durch den Verteidiger entzogen gewesen. Dabei übersieht die Beschwerde, dass die relevierten Befundpassagen inhaltlich mit den - gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO zutreffend verlesenen - Protokollen über die Vernehmungen Mario H*****s im Vorverfahren (S 25 bis 36/I, ON 13) übereinstimmen, womit der Beschwerdeführer durch die Abweisung des Antrags auf Nichtverlesung in seinem Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (Art 6 Abs 3 lit d MRK), nicht verletzt worden ist.

Einen - gegebenenfalls aus Z 3 beachtlichen - Verstoß gegen die Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO vermag die Verlesung von in einem Sachverständigenbefund enthaltenen Zeugenangaben keinesfalls zu bewirken, weil die genannte Gesetzesstelle diesbezüglich auf die Verlesung amtlicher Schriftstücke abstellt.

Auch der auf die Überprüfung der psychologischen Exploration Mario H*****s (ON 36, S 19 bis 35, 91 bis 95/II) gerichtete Antrag auf Einholung eines (weiteren) aussagepsychologischen Gutachtens (S 91/II iVm S 17/II und Beilage ./A) verfiel zu Recht der Abweisung (S 101/II). Der Beschwerdeführer hat nämlich insoweit nach ständiger Judikatur nur dann ein durch Z 4 garantiertes Überprüfungsrecht, wenn er in der Lage ist, einen der in den §§ 125 f StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen (zuletzt 11 Os 106/04, 12 Os 25/05a, 13 Os 18/05d, 14 Os 129/05k; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351), wogegen solche Mängel im gegenständlichen Beweisantrag nicht einmal behauptet worden sind. Vollständigkeitshalber sei festgehalten, dass die (nicht nach den Kriterien der §§ 125 f StPO ausgerichtete) Gutachtenskritik in der Hauptverhandlung von der psychologischen Sachverständigen beantwortet (s S 35/II iVm S 91 bis 95/II) und diese Antwort von der Verteidigung nicht weiter beanstandet worden ist (S 95/II).

Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht habe mit Blick auf die in der Beilage ./A geäußerte Kritik nicht hinreichend dargelegt, aus welchem Grund es dem psychologischen Sachverständigengutachten gefolgt sei, übergeht die diesbezüglichen Urteilserwägungen, wonach sich die Tatrichter beweiswürdigend auf die als schlüssig erachteten Darlegungen der Sachverständigen, ihre Bezugnahme auf Fachliteratur sowie den Umstand, dass sämtliche Fragen des Gerichts und der Prozessparteien aufgeklärt worden sind, gestützt haben (US 15).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Verfehlt ist die Urteilsannahme, der Beschwerdeführer habe auch durch die zum Schuldspruch B beschriebenen Handlungen den Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C) verwirklicht. Dieser verlangt nämlich die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung mit der minderjährigen Person und solcherart einen unmittelbaren sexuellen Kontakt zwischen Täter und Opfer (Schick in WK² § 212 Rz 8), was beim hier aktuellen Masturbieren in Gegenwart eines Minderjährigen nicht der Fall ist. Zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bot dieser Rechtsfehler aber fallbezogen keinen Anlass. Obwohl nämlich die Tatrichter hinsichtlich des Vergehens nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB die „Tatwiederholung" erschwerend werteten (US 19), tritt auch bei rechtsrichtiger Subsumtion infolge Fortbestehens einer Mehrzahl anderer Tathandlungen am Erschwerungsgrund keine Änderung ein. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO), wobei hinsichtlich der verfehlten Subsumtion keine dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht (13 Os 21/04, EvBl 2004/174; zuletzt 11 Os 102/05t).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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