OGH 13Os18/05d

OGH13Os18/05d18.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krammer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas M***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Schöffengericht vom 19. November 2004, GZ 43 Hv 73/04t-40, nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung (§ 35 Abs 2 StPO) des Verteidigers in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch einen unbekämpft gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB enthält (C) - wurde der Angeklagte Andreas M***** zu A)I. des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, zu A)II. des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie zu A)III. der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (idF vor BGBl I Nr 15/2004) und zu B) der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er, soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung,

A) zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten zwischen 2002 und Februar 2004 in Gloggnitz

I. in mehreren Angriffen mit einer unmündigen Person, nämlich der am 29. Jänner 1996 geborenen Julia H*****, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er wiederholt einen Finger in ihre Scheide einführte;

II. außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich an dem am 17. Februar 1992 geborenen Michael K***** vorgenommen, indem er seinen Penis intensiv und längere Zeit betastete;

III. durch die unter Punkt I. geschilderten Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person, diese zur Unzucht missbraucht;

B) zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zwischen Herbst 2003 und Februar 2004 in Gloggnitz die Julia H*****, den Michael K***** und den Marcel H***** durch die Äußerung: „Wenn ihr etwas sagt, bring ich die Eltern um und sperre euch in den Keller", sohin durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper und an der Freiheit, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme einer Unterrichtung Dritter über die unter Punkt A)I. und II. geschilderten Handlungen, zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des (zusammengefasst) zum Beweis „der Unrichtigkeit der Angaben der Julia und des Marcel H***** sowie dafür, dass ein Mädchen im Alter und mit dem Intelligenzquotienten der Julia H***** durchaus in der Lage ist, solche unrichtigen Behauptungen über sexuelle Missbräuche zu erzählen und auch zu wiederholen" gestellten Antrages auf Einholung eines jugend- bzw kinderpsychiatrischen Sachverständigengutachtens (S 481/I f).

Da jedoch dieser Antrag keine Mängel des ohnehin erhobenen Befundes und des Gutachtens der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen über die Zeugen Julia H*****, Marcel H***** (und Michael K*****) iSd §§ 125, 126 StPO bezeichnet, mangelt es schon an einem prozessualen Erfordernis. Auch zielt er im Ergebnis auf unzulässige Erkundungsbeweisführung ab, weil nur eine Beweiswiederholung in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses begehrt wird (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351). Hiezu erst in der Beschwerde erstattetes Vorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich. Im Übrigen wurden die Widersprüche in den Angaben der unmündigen Zeugen von der Sachverständigen bei der Beurteilung der Wahrnehmungs-, Speicher- und Wiedergabefähigkeit dieser Personen berücksichtigt (S 457 ff/I).

Auch die aus Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall erhobene Mängelrüge geht ins Leere.

Der umfänglichen Geltendmachung angeblicher Unvollständigkeit der Gründe bzw offenbar unzureichender Gründe ist entgegenzuhalten, dass die Tatrichter bloß verhalten sind, erhebliche Beweisergebnisse (das sind solche, die zur Klärung entscheidender Tatsachen und somit zur Lösung der Schuldfrage beitragen) in einer Gesamtschau zu beurteilen und diese Erwägungen gedrängt darzustellen (§ 270 Abs 1 Z 5 StPO). Mit der isolierten Hervorhebung einzelner Beweisergebnisse oder von bedeutungslosen Details und der substratlosen Behauptung deren Bedeutsamkeit oder bloßer unfundierter Kritik an Feststellungen werden keine Begründungsmängel aufgezeigt. Im Einzelnen:

Weshalb dem von den Zeugen Mario Sch***** und Doris H***** deponierten - die Möglichkeit der inkriminierten Tathandlungen (A)I.) nicht ausschließenden - Umstand ihrem persönlichen Eindruck nach freiwillig erfolgter Besuchskontakte der Julia H***** zum Angeklagten erhebliche Bedeutung zukommen soll, ist nicht einsichtig und legt auch die Beschwerde nicht dar. Dem weiteren die Plausibilität der Angaben des Zeugen Marcel H***** zu von ihm wahrgenommenen Hilfeschreien seiner Schwester Julia in Frage stellenden Beschwerdeeinwand zuwider war das Schöffengericht nicht gehalten (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), geringfügige Unebenheiten in den Angaben der von den Tatrichtern insgesamt für glaubwürdig befundenen (US 10 ff, 14) Zeugen Julia und Marcel H***** zu den Begleitumständen der Schilderung einer der inkriminierten Tathandlungen (A)I.) durch Julia H***** gegenüber ihrem Bruder Marcel einer besonderen Erörterung zu unterziehen.

Entgegen der Beschwerde haben die Tatrichter die Aussagen des Zeugen Mario Sch***** zu jeweils (auch in Anwesenheit des Zeugen Daniel B*****) gemeinsamen Nächtigungen mit Julia H***** in der Wohnung des Angeklagten nicht unberücksichtigt gelassen, sondern dargelegt, weshalb sie diesen Angaben auch bei Annahme deren Richtigkeit keine für die Schuldfrage erhebliche Bedeutung zugemessen haben (US 15). Daher bedurfte es auch keiner besonderen Auseinandersetzung mit den Depositionen der Zeugin Doris H***** zur Anwesenheit des Daniel B***** und zur Anzahl der Nächtigungen der Julia H***** in der Wohnung des Angeklagten. Nicht erheblich und daher nicht erörterungsbedürftig waren die Angaben des Zeugen Mario Sch***** dazu, dass Marcel H***** seiner Schwester Julia auf die Scheide gegriffen habe, weil diesem Umstand nur unter der - vom Schöffengericht (gestützt auf das psychologische Gerichtssachverständigengutachten) aber mängelfrei verneinten (US 15) - Prämisse einer Tendenz der Julia H***** zur „Übertragung" anderweitig erfolgter sexueller Übergriffe auf den Angeklagten erhebliche Bedeutung zukäme (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 347). Die Behauptung eines erörterungsbedürftigen angeblichen Widerspruches der Angaben der Zeugen Michael K***** und Marcel H***** zur (akustischen) Wahrnehmbarkeit des inkriminierten Tatvorfalles (A)II.) durch letzteren beruht bloß auf in der Beschwerde spekulativ gezogenen Schlüssen ohne Aktengrundlage (S 63/I). Dem weiteren Vorbringen zuwider wurden die Angaben der Zeugin Julia H*****, wonach sie den inkriminierten Übergriff gegen Michael K***** unmittelbar nicht beobachtete, im Ersturteil ausdrücklich erörtert (US 13). Indem die Beschwerde isolierte Passagen der Angaben des Zeugen Univ. Doz. Dr. Beda Ha***** - der sehr wohl auf die Befundung eines möglichen Einrisses des Hymenalsaums verwies (S 443 ff/I) - mit gezogenen Schlüssen des Schöffengerichtes (US 12 f) vergleicht, stellt sie keine unvollständige und aktenwidrige Erörterung dieser Aussage dar.

Eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zum Schuldspruch A)I. zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Konstatierung, wonach die - wenngleich mit Schmerzensäußerungen des Tatopfers verbundenen - nächtlichen Übergriffe von im selben Raum schlafenden Personen nicht zwangsläufig bemerkt werden mussten (US 15), widerspricht weder den Grundsätzen der Logik noch grundlegenden Erfahrungssätzen. Die Angaben des Angeklagten zu seinen Wohnverhältnissen blieben dabei nicht unberücksichtigt, sondern wurden ausdrücklich festgestellt (US 4). Darauf, dass die angeführten Gründe (bloß) dem Beschwerdeführer nicht genügend überzeugend scheinen, kommt es nicht an (15 Os 76/90).

Dem Einwand einer bloßen Scheinbegründung zuwider hat das Schöffengericht sich mit Aussagewidersprüchen der Zeugin Julia H***** zu - nicht inkriminierten - Vorfällen einer Berührung der Scheide mit der Zunge mit mängelfreier Argumentation auseinandergesetzt (US 11) und - entgegen der Behauptung einer Aktenwidrigkeit - den Zeitpunkt der erst am Ende der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Julia H***** erfolgten Deposition von oberhalb der Bekleidung durchgeführten Zungenberührungen (S 193/I) aktenkonform wiedergegeben.

Dem Erstgericht ist auch bei der Erörterung der (als zunehmend abschwächend beurteilten) Verantwortung des Angeklagten keine Aktenwidrigkeit unterlaufen, weil es die korrekt zitierten Angaben des Angeklagten vor der Gendarmerie, vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung damit bloß einer - denkmöglichen - Wertung unterzogen hat (US 8 f). Entgegen dem weiteren - insoweit seinerseits aktenwidrig argumentierenden - Vorbringen hat das Schöffengericht die Angaben der Zeugin Julia H***** (gerade) nicht dahin wiedergegeben, dass sie das zu A)II. inkriminierte Tatgeschehen unmittelbar selbst beobachten konnte (US 13); mit dem Einwand einer unrichtigen Wiedergabe der Depositionen dieser Zeugin dahin, dass sie tatsächlich nicht bekundete, dass sich Michael K***** gegen den Angeklagten bei einem von ihr geschilderten Vorfall zur Wehr setzte, übergeht die Beschwerde die in der Hauptverhandlung verlesenen (S 485/I), eine solche Gegenwehr bestätigenden Angaben dieser Zeugin vor der Kriminalabteilung des LGKNÖ (S 55/I).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag, indem sie unter weitwendiger Wiederholung der Argumentation der Mängelrüge, überdies unter Vernachlässigung der Angaben der Zeugin Julia H***** zur Erzwingung der Besuchskontakte durch insistierende Aufforderung des Angeklagten (S 177 f; 55/I), mit aktenfremden Schlüssen aus den (den zu A)II. inkriminierten Tatvorfall in zeitlicher Hinsicht nicht betreffenden) Angaben der Zeugin Doris H***** (S 71/I) sowie mit dem (teils aktenfremden, vgl S 177/I) Hinweis auf marginale Divergenzen der Angaben der Zeugin Julia H***** zum Schuldspruchfaktum B) die Tragfähigkeit der Entscheidungsbegründung zu erschüttern sucht, keine sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsachen hervorzurufen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), sodass über die Berufung des Angeklagten das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass - ungerügt geblieben - die Unterstellung des dem Schuldspruch A)III. zugrunde liegenden Urteilssachverhaltes unter die (für den Angeklagten nicht günstigere, §§ 1, 61 StGB) Bestimmung des § 212 Abs 1 aF StGB anstatt unter jene des (mit dem am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetzes 2004, BGBl I Nr 15/2004, novellierten) § 212 Abs 1 Z 2 StGB zwar rechtlich verfehlt, im Hinblick auf dieselbe Strafdrohung aber für den Angeklagten nicht nachteilig ist, weshalb für einen amtswegigen Vorgang § 290 Abs 1 StPO kein Anlass besteht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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