OGH 14Os39/06a

OGH14Os39/06a9.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Mai 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hennrich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Annemarie Z***** und Rolf G***** wegen des Vergehens nach § 64 (§ 63 Abs 1 Z 1) LMG, AZ 9 U 448/05b des Bezirksgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator gegen die in der Hauptverhandlung vom 7. Dezember 2005 vorgenommene Verlesung der Aussage des Zeugen Wilhelm B***** erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Bauer, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten Annemarie Z***** und Rolf G***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Verlesung der Aussage des Zeugen Wilhelm B***** in der am 7. Dezember 2005 in Abwesenheit der Beschuldigten Annemarie Z***** und Rolf G***** durchgeführten Hauptverhandlung verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO. Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 7. Dezember 2005, GZ 9 U 448/05b-23, sowie der gleichzeitig gemäß § 494a Abs 6 StPO verkündete Beschluss auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre und alle darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren - inhaltlich auch als (verspätete) Berufungen aufzufassenden - gegen die Bestimmung der Kosten des Strafverfahrens erhobenen Beschwerden werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Annemarie Z***** und Rolf Eugen G***** wegen des Vergehens nach § 64 (§ 63 Abs 1 Z 1) LMG, AZ 9 U 448/05b, führte das Bezirksgericht Innsbruck am 7. Dezember 2005 die Hauptverhandlung in Abwesenheit der beiden Beschuldigten durch (§ 459 StPO), weil diese trotz eigenhändig zugestellter Ladung (S 3) nicht erschienen waren. In der Verhandlung wurde „gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO" die im Vorverfahren beim Bezirksgericht Reutte aufgenommene Niederschrift mit dem - zur Hauptverhandlung nicht geladenen - Zeugen Amtsdirektor Wilhelm B***** (ON 20) von der Richterin verlesen (S 259). Annemarie Z***** und Rolf G***** wurden noch am 7. Dezember 2005 mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Innsbruck (ON 23) des Vergehens nach § 64 (§ 63 Abs 1 Z 1) LMG schuldig erkannt, weil sie am 22. März 2005 in Tannheim im Gästehaus Annemarie Z***** fahrlässig verdorbene Lebensmittel in Verkehr gebracht hatten, und jeweils zu einer (hinsichtlich Rolf G***** bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt. Zugleich fasste das Erstgericht betreffend Annemarie Z***** gemäß § 494a Abs 1 Z 2 (zu ergänzen: und Abs 6) StPO den Beschluss, vom Widerruf der zu AZ 3 U 116/04b des Bezirksgerichtes Reutte gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen und die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern.

Beweiswürdigend stützte sich das Bezirksgericht Innsbruck unter anderem auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben des Zeugen Wilhelm B***** im Vorverfahren (S 269, 275 f).

Das Urteil ist mangels Erhebung eines Einspruchs nach § 478 Abs 1 StPO sowie unterbliebener rechtzeitiger Anmeldung einer Berufung am (richtig) 6. Februar 2006 in Rechtskraft erwachsen (S 263). Über die von beiden Verurteilten gegen die Bestimmung der Kosten des Strafverfahrens erhobenen Beschwerden vom 1. März 2006, die inhaltlich auch als (verspätete) Berufungen aufzufassen sind (ON 29 und 30), wurde vom Landesgericht Innsbruck als Beschwerde- und Berufungsgericht noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt steht die auf § 252 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Verlesung des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen Amtsdirektor Wilhelm B***** vor dem Bezirksgericht Reutte in der Hauptverhandlung vom 7. Dezember 2005 mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach der - gemäß § 458 Abs 5 StPO auch vor dem Bezirksgericht geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (unter anderem) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da aus dem Nichterscheinen der beiden Beschuldigten zur Hauptverhandlung deren Einverständnis im Sinne des § 252 Abs 1 Z 4 StPO nicht abgeleitet werden kann und nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für einen der sonstigen Ausnahmetatbestände des § 252 Abs 1 StPO vorliegen, war die Verlesung der im Vorverfahren beim Bezirksgericht Reutte aufgenommenen Niederschrift mit dem - die beiden leugnenden Beschuldigten belastenden - Zeugen Amtsdirektor Wilhelm B***** unzulässig (RZ 1999/26; zuletzt 15 Os 42/05y und 11 Os 130/05k). Das Bezirksgericht hat den Schuldspruch (unter anderem) auch auf die unzulässig verlesene Aussage gestützt, insbesonders zur Feststellung der faktischen Geschäftsführertätigkeit des Rolf G***** und der näheren Umstände über die Auffindung der tatverfangenen Lebensmittel (S 275 f).

Da somit nicht auszuschließen ist, dass sich die mit Nichtigkeitssanktion (§ 468 Abs 1 Z 3 StPO) verknüpfte Gesetzesverletzung zum Nachteil der beiden Verurteilten ausgewirkt hat, waren die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen und das davon betroffene Urteil sowie der damit zugleich verkündete Beschluss nach § 494a Abs 6 StPO und alle darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen. Ergänzend bleibt anzumerken, dass im neu durchzuführenden Verfahren gemäß § 95 Abs 12 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz LMSVG (BGBl I 2006/13) die §§ 58 bis 64 LMG 1975 weiter anzuwenden sind.

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