OGH 13Os25/06k

OGH13Os25/06k5.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag.Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Engelbert T***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 13 Hv 13/06h des Landesgerichtes St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. Februar 2006, AZ 20 Bs 35/06b, 20 Bs 38/06v (ON 46) nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung des Verteidigers (§ 35 Abs 2 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Engelbert T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft lastet Engelbert T***** in der - mittlerweile rechtskräftigen (ON 46) - Anklageschrift vom 5. Jänner 2006 (ON 36) als Verbrechen nach § 28 (zu ergänzen: Abs 2 vierter Fall), Abs 3 erster Fall (richtig:) SMG (I.) und als Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall (richtig:) SMG (II.) an, er habe in St. Pölten und anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider

Suchtgift

I. in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, und zwar in einer Vielzahl von Angriffen insgesamt zumindest 186 Gramm Speed, dessen reine Wirkstoffmenge Amphetamin 18,6 Gramm betrug, indem er Teilmengen an nachstehende Suchtgiftkonsumenten verkaufte, nämlich

a) zwischen November 2002 und November 2004 an Marcel M***** insgesamt zumindest 166 Gramm;

b) zwischen September 2003 und August 2004 an Dagmar Z***** insgesamt zumindest 20 Gramm;

II. erworben und besessen

a) von Juni 2004 bis 11. Oktober 2005 eine unbekannte Menge Marihuana,

b) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2003 bis 11. Oktober 2005 über die zu Punkt I. genannten Mengen hinaus eine unbekannte Menge Speed,

c) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2004 bis 11. Oktober 2005 eine unbekannte Menge Ecstasytabletten und

d) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt erworben und am 13. November 2004 neben den unter Punkt II. a) bis c) genannten Suchtgiften 9 Stück Substitol Retard 200 mg-Kapseln inklusive Morphin besessen.

Über den am 12. Oktober 2005 verhafteten (S 279) Beschuldigten wurde die Untersuchungshaft mit Entscheidung des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes St. Pölten vom 13. Oktober 2005 aus den Gründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO verhängt (ON 12), jeweils nach Durchführung von Haftverhandlungen mit Beschlüssen vom 27. Oktober 2005 (ON 21) und vom 18. November 2005 (ON 32) aus den angeführten Haftgründen und zuletzt mit Beschluss vom 19. (richtig: 18.) Jänner 2006 (ON 41) aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis zum 20. März 2006 fortgesetzt.

Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 13. Februar 2006, AZ 20 Bs 35/06b, 20 Bs 38/06v, mit dem auch über den Einspruch des Beschuldigten gegen die Anklageschrift entschieden wurde, einer gegen den zuletzt ergangenen Fortsetzungsbeschluss erhobenen Beschwerde nicht Folge und ordnete seinerseits unter Bejahung dringenden Tatverdachts wegen der von der Anklage umfassten strafbaren Handlungen die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a, b und c StPO mit Wirksamkeit bis 13. April 2006 an (ON 46).

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Beschwerde den dringenden Tatverdacht nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG - gestützt auf eine „offensichtliche Annahme" des Beschwerdegerichtes und als Neuerung gegenüber dem Beschwerdevorbringen (ON 42) - mit der Behauptung, der Beschuldigte sei selbst an Suchtmittel gewöhnt und habe die Drogen in Verkehr gesetzt, um sich selbst Suchtmittel zu verschaffen, weshalb bloß „ein Verdacht in Richtung des Tatbestandes des § 28 Abs 3 zweiter Satz SMG" vorliege, bestreitet, verkennt sie, dass eine am Gesetz orientierte Bekämpfung der Sachverhaltsgrundlagen einer Haftentscheidung an den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO Maß zu nehmen hat (RIS-Justiz RS0110146).

Indem die Beschwerdeargumentation die Erwägungen des Oberlandesgerichtes Wien, welches den Geldbedarf des Beschuldigten zufolge Eigenkonsums lediglich subsidiär zu jenem aufgrund seiner Spielsucht erachtete (S 7 der Beschwerdeentscheidung) sowie die eigene Einlassung außer Acht lässt, wonach Engelbert T***** „das verdiente Geld" in Glücksspiel investierte und nur einen Teil zur Suchtgiftbeschaffung verwendete (AS 175), greift sie im Ergebnis nur die (vorläufige) Beweiswürdigung des Beschwerdegerichtes an und missachtet solcherart die gesetzlichen Anfechtungskategorien. Die vom Oberlandesgericht Wien auf S 3 und 4 seines Beschlusses zur Begründung des dringenden Tatverdachtes ins Treffen geführten bestimmten Tatsachen lassen den daraus gezogenen Schluss auf die qualifiziert hohe Wahrscheinlichkeit nicht vorwiegend zur Finanzierung der eigenen Sucht begangenen gewerbsmäßigen Suchtgifthandels als nicht unvertretbar erscheinen. Die auf der Prämisse einer vorläufigen Strafdrohung von bis zu fünf Jahren mit Blick auf § 180 Abs 3 StPO aufbauende Bestreitung der Fluchtgefahr hat daher zu versagen, setzt sie sich doch nicht mit der diesbezüglichen Begründung des Beschwerdegerichtes (S 6) auseinander und verfehlt solcherart den vom Gesetz (§§ 1 Abs 1, 3 Abs 1 GRBG) geforderten Bezugspunkt.

Die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr beruht auf der gesetzeskonformen Heranziehung bestimmter Tatsachen (§ 180 Abs 2 StPO) und deren rechtlich fehlerfreier Beurteilung durch das Beschwerdegericht, das die begründete Gefahr, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß wegen der Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten, aus dessen zuletzt gezeigtem, fast einjährigem Fluchtverhalten, das den Vollzug des gegen ihn erlassenen Haftbefehls bis dahin unmöglich machte, im Zusammenhang mit der ihm im Fall der Verurteilung drohenden empfindlichen Sanktion erschlossen hat und dabei auch auf die nunmehr vorliegende Unterkunftsmöglichkeit eingegangen ist (S 6). Angesichts dieser Haftargumente steht weder dieser Umstand noch die aktenkundige Arbeitsplatzzusage der Annahme der Fluchtgefahr entscheidend entgegen.

Angesichts dieses Haftgrundes erübrigt sich eine Erörterung der Einwände gegen die weiters vom Oberlandesgericht angenommene Tatbegehungsgefahr, weil bei gegebenem dringendem Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (RIS-Justiz RS0061196).

Den weiteren Beschwerdebehauptungen zuwider hat bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung iSd § 180 Abs 1 StPO die Möglichkeit einer bedingten Strafnachsicht ebenso wie jene eines nach § 39 SMG zu gewährenden Aufschubs des Strafvollzuges außer Betracht zu bleiben (vgl RIS-Justiz RS0118876).

Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte