OGH 2Ob16/05z

OGH2Ob16/05z2.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johannes S*****, vertreten durch Dr. Christian Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, gegen die beklagten Parteien 1) Salzburger Gebietskrankenkasse, Faberstraße 19-23, 5020 Salzburg, und 2) Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Landesstelle Salzburg, Faberstraße 20, 5020 Salzburg, beide vertreten durch Mag. Albert H. Reiterer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Zustimmung zur Ausfolgung eines Gerichtserlages (Streitwert EUR 10.000), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2004, GZ 53 R 418/04h-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 30. Juni 2004, GZ 11 C 1119/03g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben; diesem wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der ehemalige Rechtsvertreter des Klägers hat in dessen Auftrag mit einem italienischen Haftpflichtversicherer über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall verhandelt und einen Vergleich geschlossen. Der Vergleichsbetrag wurde an den ehemaligen Rechtsvertreters des Klägers, der ausschließlich für diesen und nicht im Auftrag der beklagten Parteien gehandelt hat, gezahlt.

Die beklagten Parteien haben sich im Zuge einer mit dem damaligen Rechtsvertreter geführten Korrespondenz auf den Standpunkt gestellt, von dem Entschädigungsbetrag sei zumindest ein Teilbetrag von EUR 264.212,80 von der Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG erfasst und dürfe daher nicht an den Kläger ausgezahlt werden.

Der ehemalige Rechtsvertreter hat den Entschädigungsbetrag auf ein Sparbuch eingezahlt, das letztlich gemäß § 1425 ABGB beim Bezirksgericht Salzburg gerichtlich hinterlegt wurde. Der Erlag wurde von diesem Bezirksgericht zu 2 Nc 10035/02t angenommen, wobei im Antrag die nunmehrigen Streitteile als Erlagsgegner angeführt worden waren.

Der Kläger begehrt die beklagten Parteien schuldig zu erkennen, der Ausfolgung dieses hinterlegten Sparbuches zuzustimmen. Die vom italienischen Versicherer geleistete Zahlung betreffe ausschließlich die Direktansprüche des Klägers, während für eine Verweigerung der Zustimmung zur Ausfolgung an den Kläger auf Seite der beklagten Parteien kein Rechtsgrund bestehe. Der ehemalige Rechtsvertreter des Kläger sei ausschließlich in dessen Auftrag tätig gewesen und habe ausschließlich diesen vertreten, während die beklagten Parteien ihre Ansprüche gegenüber dem italienischen Haftpflichtversicherer direkt geltend gemacht hätten. Der mit dem Kläger abgeschlossene Generalvergleich enthalte die Regelung, dass eventuelle Ansprüche von Vereinen auf Gegenseitigkeit bzw. von Sozialversicherungsträgern nicht Gegenstand der vertragsweisen Regelung seien.

Die beklagten Parteien wendeten gegen das Ausfolgungsbegehren ein, der Kläger habe nicht frei über den Entschädigungsbetrag verfügen können, weil die Verfügungsgewalt über diesen Betrag gemäß § 332 Abs 1 ASVG bis zur Höhe von EUR 264.212,80 durch Legalzession auf sie übergegangen sei. Der Kläger habe damit über seine Schadenersatzansprüche in diesem Rahmen nicht mehr verfügen können; auf die Ansprüche im Rahmen der Legalzession und auf einen allfälligen Regress werde nicht verzichtet. Dem damaligen Vertreter des Klägers seien diese Ansprüche auch ziffernmäßig bekannt gegeben worden.

Das Erstgericht gab dem Ausfolgungsbegehren statt. Über den eingangs wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalt hinaus stellte es noch fest, aus der Quittungsbestätigung vom 2. 8. 1990 gehe hervor, dass „eventuelle Ansprüche von Vereinen auf Gegenseitigkeit bzw. Sozialversicherungsträgern nicht Gegenstand der gegenständlichen vergleichsweisen Regelung sind und diese unbeschadet und unbeeinträchtigt bleiben". Es könne somit festgestellt werden, „dass sich der Vergleichsbetrag von Lire 580 Mio. tatsächlich lediglich auf die Direktansprüche (Schmerzengeld) des Geschädigten bezieht und ein Forderungsübergang gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf den Sozialversicherungsträger hinsichtlich dieses Betrages nicht eintreten konnte".

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass durch die vergleichsweise Regelung zwischen dem Kläger und dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners die Ansprüche des Geschädigten in Direktansprüche des Klägers, die nicht der Legalzession des § 332 ASVG unterlägen, und in Ansprüche der beklagten Parteien gegen den italienischen Haftpflichtversicherer, die durch Legalzession im Zeitpunkt des Versicherungsfalles auf diese übergangen seien, geteilt worden seien, weil letztere ausdrücklich von der vergleichsweisen Regelung ausgenommen worden seien. Der Kläger habe über die Direktansprüche auch rechtsgültig verfügen können, wovon die im Wege der Legalzession auf die beklagten Parteien übergegangenen Forderungen unberührt geblieben seien, weshalb die beklagten Parteien auch zur Zustimmung zur Ausfolgung des Sparbuches zu verpflichten gewesen wären.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es ließ aus rechtlichen Erwägungen dahingestellt, ob mit dem vereinbarten Vergleichsbetrag neben dem Schmerzengeld, das nach § 332 Abs 1 letzter Satz ASVG von der Legalzession ausgenommen werde, noch andere Ansprüche des Klägers abgegolten worden seien.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, das strittige Sparbuch sei vom damaligen Rechtsvertreter des Klägers gemäß § 1425 ABGB bei Gericht hinterlegt worden. Mit der Annahme dieses Erlages durch das Gericht sei das Hinterlegte zu Lasten des in Wahrheit Berechtigten gesperrt, weil es zu einer Ausfolgung der Zustimmung des Erlegers und der Erlagsgegner bedürfe. Die fehlende Zustimmung könne durch eine erfolgreiche Klage auf Zustimmung ersetzt werden. Dabei entscheide im Verfahren zwischen den Erlagsgegnern über die Ausfolgung des vorgenommenen Erlages das bessere Recht an oder auf die erlegte Sache. Dabei könnten alle schuldrechtlichen Verpflichtungsgründe zur Sachüberlassung erheblich sein, wobei es bei der Rechtszuständigkeit schon nach dem Zweck des Erlages aber immer auf den Anspruch auf Ausfolgung gegenüber dem Erleger ankommen müsse.

Der damalige Rechtsvertreter sei grundsätzlich verpflichtet gewesen, nach Abzug seiner Kosten den gesamten Vergleichsbetrag an den Kläger auszufolgen. Hingegen käme ein eigenes Forderungsrecht der beklagten Parteien nur dann in Betracht, wenn dieser Anspruch aus dem Auftragsverhältnis auf die beklagten Parteien übergegangen wäre. Die Legalzession vermöge kein besseres Recht gegenüber dem Erleger zu begründen. Die Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG nehme dem Versicherten ab dem Zeitpunkt des Forderungsüberganges die Möglichkeit, über seinen kongruenten Schadenersatzanspruch wirksam zu disponieren. Die Legalzession richte sich dabei grundsätzlich nach dem Recht, dem dieses Versicherungsverhältnis unterworfen sei, weshalb hier österreichisches Recht anzuwenden sei. Schließe der Geschädigte nach bereits eingetretener Legalzession einen Abfindungsvergleich über Schadenersatzansprüche, der auch im Wege der Legalzession auf den Versicherungsträger übergegangene Ansprüche umfasse, so habe dies im Allgemeinen nur dann schuldbefreiende Wirkung, wenn der Haftpflichtige bei der Leistung nicht schlechtgläubig gewesen sei. Erfülle ein Abfindungsvergleich die geforderten Kriterien für die Gutgläubigkeit nicht, so bleibe der Haftpflichtige auf Grund der Legalzession dem Sozialversicherungsträger weiter ersatzpflichtig. Wenngleich grundsätzlich Fälle denkbar seien, bei denen neben der in § 332 Abs 2 ASVG vorgesehenen Leistungskürzung durch den Sozialversicherungsträger auch bereicherungsrechtliche Regressansprüche gegen den geschädigten Versicherten bestehen könnten, so handle es sich dabei um einen eigenständigen Anspruch, der das Verhältnis zwischen dem Geschädigten zu seinem Rechtsanwalt nicht berühre. Die beklagten Parteien könnten damit der Ausfolgung des Sparbuches an den Kläger und damit zugleich der Auszahlung von Mandantengeld kein eigenes Recht entgegensetzen, das gegenüber jenem des Klägers als ersten Erlagsgegner als das bessere anzusehen wäre.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zu den behandelten Rechtsfragen fehle. Im Zusammenhang mit der Abwicklung internationaler Schadensfälle aus Verkehrsunfällen komme den sich aus dem Auftragsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ergebenden Verpflichtungen dann besondere Bedeutung zu, wenn Sozialversicherungsträger Ansprüche auf Grund einer Legalzession auf einen im Vergleichswege erzielten Abfertigungsbetrag erheben.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revision, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass das Ausfolgungsbegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig und im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entscheidet im Verfahren zwischen den Erlagsgegnern über die Ausfolgung des im Sinn des § 1425 ABGB vorgenommenen Erlages das bessere Recht an der erlegten oder auf die erlegte Sache (JBl 1992, 189; JBl 1992, 592; RIS-Justiz RS0033512; zuletzt 8 Ob 63/04d). Dabei können alle schuldrechtlichen Verpflichtungsgründe zur Sachüberlassung erheblich sein.

Die Vorinstanzen haben zunächst zutreffend auf die Anwendbarkeit österreichischen Rechtes verwiesen, weil die Legalzession auf Sozialversicherungsträger dem Sachrecht jener Rechtsordnung, die die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträger verfügt und damit den Zessionsgrund geliefert hat (Zessionsgrundstatut) untersteht (vgl Neumayr in Schwimann ABGB3 Bd 7 § 332 ASVG Rz 117 mwN).

Gemäß § 332 Abs 1 ASVG gehen Schadenersatzansprüche eines Geschädigten auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat. Die Legalzession setzt den Eintritt einer Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers voraus. Die Ersatzforderung geht unabhängig davon über, ob der Geschädigte Leistungen des Sozialversicherungsträgers in Anspruch nimmt oder nicht.

Ab dem Zeitpunkt des Forderungsüberganges auf den Sozialversicherungsträger verliert der Versicherte die Dispositionsmöglichkeit über seinen den Sozialversicherungsleistungen kongruenten Ersatzanspruch. Er kann diesen Anspruch - im Gegensatz zu den ihm verbleibenden Direktansprüchen - weder geltend machen noch verzichten oder sich über ihn vergleichen (Neumayr aaO Rz 88 mwN). Nur hinsichtlich der Forderungen, die - wie das Schmerzengeld - nicht auf den Sozialversicherungsträger übergehen können, bleibt die Dispositionsfähigkeit des Geschädigten bestehen (Neumayr aaO Rz 89). Der Geschädigte kann daher nur bis zum Zeitpunkt des Forderungsübergangs über den (kongruenten) Schadenersatzanspruch verfügen und sich mit dem Schädiger vergleichen oder abfinden lassen (Neumayr aaO Rz 93 mwN).

Nach § 332 Abs 2 ASVG kann der Sozialversicherungsträger Ersatzbeträge, die der Ersatzpflichtige dem Geschädigten in Unkenntnis der Legalzession - also gutgläubig - geleistet hat, auf die Sozialversicherungsansprüche ganz oder zum Teil anrechnen; insoweit erlischt der übergegangene Ersatzanspruch. Die Anrechnung kann auch auf später in dem gleichen Versicherungsfall zu erbringende Leistungen des Sozialversicherungsträgers erfolgen; ist dies nicht mehr möglich, steht dem Sozialversicherungsträger ein Bereicherungsanspruch zu. Findet aber eine Anrechnung durch den Sozialversicherungsträger nicht statt, dann steht dem Haftpflichtigen, der allenfalls doppelt leisten muss, gegen den Leistungsempfänger, an den er rechtsgrundlos geleistet hat, ein bereicherungsrechtlicher Rückersatzanspruch zu (Neumayr aaO Rz 135, 136).

Das Berufungsgericht hat dahingestellt gelassen, ob im vorliegenden Fall im an den ehemaligen Rechtsvertreter des Klägers überwiesenen Vergleichsbetrag auch Beträge enthalten waren, über die der Kläger aufgrund der Legalzession nicht mehr verfügen durfte. Wie oben dargestellt, war aber der Kläger nicht befugt, über Ansprüche, die im Wege der Legalzession auf die Sozialversicherungsträger übergegangen sind, zu disponieren. Dies bedeutet, dass alle Ansprüche über die der Kläger infolge des Dispositionsverbotes nicht hätte verfügen dürfen, bei fehlender Anrechnung durch den Sozialversicherungsträger dem Bereicherungsanspruch des Sozialversicherungsträgers ausgesetzt sind.

Bei Prüfung des besseren Rechts an der erlegten oder auf die erlegte Sache sind, wie bereits dargestellt, alle schuldrechtlichen Verpflichtungsgründe zur Sachüberlassung erheblich. Demnach ist auch ein allfälliges Dispositionsverbot über die verglichenen Ansprüche in die Überlegung einzubeziehen.

Das Berufungsgericht wird daher in seiner neuerlichen Entscheidung auch die Verfahrens- und Beweisrüge zu behandeln und festzustellen haben, ob und inwieweit im erlegten Entschädigungsbetrag auch von der Legalzession betroffene Beträge enthalten waren. Es entspricht auch dem Grundsatz der Prozessökonomie, diese strittige Frage sogleich zu klären, anstatt der vorliegenden Klage stattzugeben und die Beklagten auf eine zweite Prozessführung gegen den Kläger (auf Zahlung aus dem zunächst ausgefolgten Erlag) zu verweisen.

Ohne in die Beweiswürdigung einzugreifen sei noch erwähnt, dass der ehemalige Rechtsvertreter des Klägers im Erlagsantrag angegeben hat, der italienische Haftpflichtversicherer habe die Auffassung vertreten, mit seiner Zahlung seien auch die Ansprüche der hier Beklagten abgegolten, und dass der Kläger seinen ehemaligen Rechtsvertreter von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht entbunden hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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