OGH 12Os2/06w

OGH12Os2/06w23.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Februar 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Popelka als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jose P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 erster, zweiter und dritter Fall StGB, AZ 5 Hv 167/05h des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten Jose P***** und Kelvin M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 9. November 2005, AZ 11 Bs 409/05p, 413/05a, 414/05y, 415/05w, 416/05t, 417/05i (GZ 5 Hv 167/05h-76), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Jose P***** und Kelvin M***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht (ua) den Beschwerden der Beschuldigten Jose P***** und Kelvin M***** gegen die Beschlüsse des Untersuchungsrichters auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 25. Oktober 2005 (ON 47 und 49) sowie der nicht ausgeführten Beschwerde des Letztgenannten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft (ON 22) nicht Folge gegeben und seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungsgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 StPO angeordnet.

Nach Einbringung eines Strafantrages ua wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB wurden Jose P***** und Kelvin M***** mit Beschlüssen vom 18. November 2005 (ON 89, 90) unter Anwendung gelinderer Mittel enthaftet.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Beschuldigten erhobenen, wenngleich auch die Verhängung der Untersuchungshaft kritisierenden, ausdrücklich aber nur gegen deren Fortsetzung durch das Oberlandesgericht gerichteten Grundrechtsbeschwerden sind nicht berechtigt.

Nach der Entscheidung des Beschwerdegerichtes sind die Genannten unter anderem dringend verdächtig, dadurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 2 StGB begangen zu haben, dass sie in verabredeter Verbindung mit Ricardo Fung S***** dem Ahmed B***** durch wuchtige Faustschläge und Fußtritte gegen Gesicht und Körper sowie von Fung S***** geführte Messerstiche neben Hautabschürfungen im Kopf- und Rumpfbereich, Hämatomen, Schnittwunden am Rumpf sowie einer Rissquetschwunde an der Unterlippe mit Lippenschwellung auch eine Schultergelenksluxation rechts und einen operativ zu versorgenden Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchenden zugefügt und ihn solcherart am Körper an sich schwer verletzt haben. Entgegen der Ansicht des Untersuchungsrichters verneinte das Oberlandesgericht Graz jedoch die Dringlichkeit eines in Richtung schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster, zweiter und dritter Fall StGB gerichteten Tatverdachtes, weil es davon ausging, dass die Jacke dem Tatopfer von einem der Beschuldigten nicht mit Bereicherungsvorsatz weggenommen wurde (BS 8 f). Soweit beide Beschwerdeführer neuerlich Kritik an der vom Beschwerdegericht ohnedies abgelehnten erstgerichtlichen Beurteilung der Verdachtslage üben und die vollends unbegründete Prämisse aufstellen, der nach Wegfall des Tatvorwurfes wegen schweren Raubes verbliebene Verdacht bloß wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 StGB begründe angesichts einer Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder 360 Tagessätzen Geldstrafe die Gesetzwidrigkeit der Verlängerung der (zum Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses) vierwöchigen Untersuchungshaft und deren Unverhältnismäßigkeit zu der zu erwartenden Strafe, unterlassen sie die gebotene Auseinandersetzung mit den hiezu angestellten - von Amts wegen nicht zu beanstandenden - eingehenden, auch die zur Anwendung gelangende Strafobergrenze des § 84 StGB iVm § 5 Z 4 JGG von eineinhalb Jahren und die Voraussetzungen des § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG berücksichtigenden Erwägungen des Beschwerdegerichtes (BS 5 bis 7, 13 f) und verfehlen solcherart in diesem Umfang den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (§§ 1 Abs 1, 3 Abs 1 GRBG; 12 Os 89/05b mwN). Den lediglich deren Unbescholtenheit ins Treffen führenden Beschwerden zuwider hat das Oberlandesgericht Graz die Gefahr, die Beschuldigten würden auf freiem Fuße ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihnen angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO), aus der ihnen vorgeworfenen, aus Wut bzw Rache begangenen und - wie die Schwere der tatkausalen Verletzungen zeigt - mit hohem Verletzungspotenzial verbundenen massiven Attacke als Reaktion auf einen vergleichsweise unbedeutenden Anlass und der solcherart dokumentierten geringen Hemmschwelle gegenüber extensivem Gewalteinsatz zureichend erschlossen (BS 6, 10 f).

Da der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr sohin zu Recht angenommen wurde, erübrigt sich ein Eingehen auf die Beschwerdeausführungen zum weiteren vom Gerichtshof zweiter Instanz angenommenen Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (12 Os 89/05p; 12 Os 133/05h, 134/05f uva). Nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung an Hand der Bedeutung der Sache und „der zu erwartenden Strafe" vorzunehmen. Unter dem sonach entscheidenden Parameter ist - nach Wortlaut und Sinn der Bestimmung - die nach den Regeln des vierten Abschnittes des Allgemeinen Teiles des Strafgesetzbuches zu bemessende Strafe zu verstehen. Deren Höhe, die als exakte Messgröße eindeutige Aussagen ermöglicht, ist somit Gegenstand des Vergleichs mit der Dauer der Untersuchungshaft. Kein gesetzliches Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hingegen die im fünften Abschnitt des Allgemeinen Teiles des Strafgesetzbuches geregelte Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zum Vollzug der - solcherart bereits ausgesprochenen, also unabhängig davon bereits existenten - Strafe kommt. Ob eine Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wird oder nicht, spielt daher dem entsprechenden Hinweis des Beschuldigten M***** zuwider für die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO keine Rolle (15 Os 34/04, 12 Os 98/04, RIS-Justiz RS0118876).

Weshalb die - fallbezogen unüberprüften - Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dem IXa. Hauptstück der StPO (iVm § 7 JGG) angesichts der bestehenden Verdachtslage eine Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft indizieren sollten, lassen die weiteren unsubstantiierten, losgelöst vom Einzelfall argumentierenden Ausführungen dieses Beschuldigten nicht erkennen.

Schlussendlich wird mit dem lapidaren Einwand, „gänzlich unerklärlich ist, warum sowohl das Erstgericht wie auch das Oberlandesgericht Graz die Substituierbarkeit der herangezogenen Haftgründe durch die Anwendung gelinderer Mittel verneinten", kein Rechtsfehler des Beschwerdegerichtes bei seiner Beurteilung aufgezeigt, weil fallbezogen bei realitätsbezogener Betrachtung Haftsurrogate iSd §§ 35 Abs 1 erster Satz JGG, 180 Abs 5 StPO nicht in Betracht gekommen wären.

Jose P***** und Kelvin M***** wurden somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerden ohne Kostenzuspruch abzuweisen waren (§ 8 GRBG).

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