OGH 4Ob255/05m

OGH4Ob255/05m14.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Karl M*, vertreten durch Dr. Alfons K. Hauer, Rechtsanwalt in Gleisdorf, als Sachwalter, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. September 2005, GZ 3 R 84/05b‑39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Gleisdorf vom 6. April 2005, GZ 6 C 1800/03h‑32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2006:E79946

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Aufkündigung vom 13. Oktober 2003 aufgehoben und das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, die im ersten Obergeschoß des Hauses * gelegene und als solche gekennzeichnete Wohnung Nr. 3, bestehend aus drei Zimmern, Küche, Bad und Nebenräumen mit einer Gesamtfläche von rund 76,28 m², sowie dem dazugehörigen Balkon, das dazugehörige Kellerabteil und dem dazugehörigen überdachten Abstellplatz zu räumen und geräumt von seinen Fahrnissen der Klägerin zu übergeben, abgewiesen wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.791,04 EUR (darin 296,64 EUR Umsatzsteuer und 11,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.042,62 EUR (darin 138,44 EUR Umsatzsteuer und 212 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Beklagtenvertreter ist seit 19. 11. 1998 Sachwalter des Beklagten. Er ist mit der Einkommens- und Vermögensverwaltung und der Vertretung vor Ämtern und Behörden betraut. Der Beklagte leidet im Wesentlichen an einer Reduktion der intellektuellen Leistungsfähigkeit im Sinne einer anlagebedingten Oligophrenie, an einer Minderung des Hörvermögens und an einer Sprachstörung. Er ist dadurch nicht in der Lage, komplexe Inhalte in ihrer Bedeutung zu begreifen. Er kann alternative Lösungsmöglichkeiten nicht gegeneinander abwiegen und daraus resultierende Entscheidungen treffen. Sein Kritik- und Urteilsvermögen ist eingeschränkt. Auch für die Ehegattin des Beklagten ist ein Sachwalter bestellt.

Der Beklagte und seine Ehegattin bezogen im Oktober 1999 die aus dem Spruch ersichtliche Wohnung, der vom Sachwalter für den Beklagten abgeschlossene Mietvertrag datiert vom 19. 4. 2000. Nach zehnjähriger Mietdauer hat der Beklagte Anspruch auf Übertragung der Wohnung ins Eigentum.

Das Zusammenleben des Beklagten und seiner Ehegattin mit den übrigen Mietern und Wohnungseigentümern gestaltete sich zunächst gut, ab etwa Mitte 2002 traten jedoch Spannungen insbesondere zwischen der Ehegattin des Beklagten und zwei Nachbarinnen auf. Eine dieser Nachbarinnen bewohnt mit ihrer Familie die unmittelbar unter der Wohnung des Beklagten gelegene Wohnung, die andere Nachbarin die daneben gelegene. Weitere Spannungen bestanden zwischen der Ehegattin des Beklagten und Kindern der Siedlung, insbesondere mit jenen aus der unmittelbar unter der Wohnung des Beklagten gelegenen Wohnung.

Im Zusammenhang damit warf die Ehegattin des Beklagten mehrfach Gegenstände wie etwa Blumentöpfe, Steine und Erde von ihrem Balkon aus auf die darunter liegenden Balkone der erwähnten Nachbarinnen; sie bewarf auch mehrfach die Kinder mit Steinen, ohne sie allerdings zu treffen. Im Zuge der darauf folgenden Auseinandersetzungen wurde sie laut und hysterisch und beschimpfte die Nachbarinnen mit Ausdrücken wie „Du Drecksau". Sie versuchte auch zu verhindern, dass die Nachbarin aus der unter ihrer Wohnung gelegenen Wohnung zu den gemeinsamen Postkästen geht; einmal versuchte sie, die Nachbarin mit einem Besen wegzudrücken, ohne diese aber zu verletzen. Mit der anderen Nachbarin gab es eine Auseinandersetzung, als sich diese darüber beschwerte, dass die Ehegattin des Beklagten des Nachts immer wieder und grundlos an der Wohnungstüre läute. Dabei regte sich die Ehegattin des Beklagten derart auf, dass sie der Tochter der Nachbarin ins Gesicht schlug. Weitere lautstarke Streitigkeiten gab es zwischen der Ehegattin des Beklagten und den beiden Nachbarinnen wegen aus der Wohnung des Beklagten kommenden Lärms. Auf dessen Balkon war nämlich eine Zeit lang eine Stereoanlage aufgestellt, des Nachts liefen Fernseher oder Radioapparat bei offenem Fenster sehr laut. Sowohl tagsüber als auch während der Nachtstunden drangen oftmals laute Schreie, insbesondere der Ehegattin des Beklagten, aus dessen Wohnung, ebenso laute Musikgeräusche. Allerdings war auch aus der darunter liegenden Wohnung Musik zu hören.

Die Kinder der beiden Nachbarinnen hänselten die Ehegattin des Beklagten, machten mit ihr „einen Spaß" und warfen Bälle gegen ihre Fenster. Der Beklagte ist der Auffassung, die beiden Nachbarinnen hätten Mitschuld an den Auseinandersetzungen mit seiner Ehegattin; er spricht fallweise Nachbarn auch auf Vorfälle mit seiner Ehegattin an.

Es gab aber auch Auseinandersetzungen mit anderen Nachbarn. Dabei forderte die Ehegattin des Beklagten etwa Nachbarn gegen 2 Uhr nachts auf, das Terrassenlicht abzuschalten, weil sie nicht schlafen könne. Zahlreiche Nachbarn fühlten sich durch lautes Schreien aus der Wohnung des Beklagten während der Nacht gestört. Eine andere Nachbarin forderte die Ehegattin des Beklagten auf deren Weg zu den Mülltonnen auf „zu verschwinden" und beschimpfte sie etwa mit den Worten „Du blöde Sau". Bisweilen leuchtete sie mit einer Taschenlampe in der Nacht in Nachbarwohnungen, indem sie die Jalousien hinaufschob. Zusammen mit dem Beklagten leuchtete sie auch in abgestellte PKW von Nachbarn.

Im Juli 2002 kam es zu einem Streit zwischen dem Beklagten und seiner Ehegattin. Diese warf dabei dem Beklagten vor, ihr mit einem Plastikschlüssel auf den Kopf geschlagen zu haben; eine Ärztin attestierte eine kleine Schwellung. Einmal wurde von Nachbarn die Feuerwehr verständigt, weil aus der Wohnung des Beklagten Rauch drang. Seine Gattin hatte vergessen, den Herd auszuschalten, bevor sie sich ins Gasthaus begab. Gelegentlich durchwühlte sie auch die Mülltonnen.

Ab Sommer 2003 nahmen die Spannungen in der Siedlung zu. So hielt etwa eine der beiden eingangs erwähnten Nachbarinnen im Zuge eines Streits die Ehegattin des Beklagten fest und ließ sie nicht mehr los, um deren Schläge abzuwehren. Daraufhin wurde sie im Brustbereich gezwickt und erlitt Hautrötungen. Eine Strafanzeige wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt. Die andere Nachbarin beschimpfte und bedrohte die Ehegattin des Beklagten mit Worten wie „faule Drecksau" und „ich stech Dich ab, Du Sau".

Die Bewohner der Siedlung fühlten sich sowohl tagsüber als auch des Nachts durch laute Radio- und Fernsehgeräusche aus der Wohnung des Beklagten gestört. Als im August 2003 die Nachbarin aus der Wohnung schräg gegenüber jener des Beklagten dessen Ehegattin auffordern wollte, den Radioapparat leiser zu stellen, weil ihre Kinder nicht schlafen konnten, reagierte diese zunächst nicht. Am nächsten Tag, beschimpfte sie die Nachbarin forderte sie auf zu verschwinden und erklärte ihr, sie wolle in Ruhe gelassen werden. Daraufhin forderte der Beklagte die Nachbarin auf, seine Ehegattin in Ruhe zu lassen; diese tue nichts. In weiterer Folge beschlossen die Nachbarin und ihr Lebensgefährte, etwas gegen den Beklagten und seine Ehegattin zu unternehmen. Im Zuge dieser Bemühungen filmte der Lebensgefährte die Ehegattin des Beklagten, diese wiederum beschimpfte die Nachbarin mit Ausdrücken wie „Sau, blöde Kuh etc". Die Nachbarin und ihr Lebensgefährte wandten sich an die Klägerin und forderten diese auf, etwas zu unternehmen. Sie sammelten Unterschriften gegen den Beklagten und seine Ehegattin; diese Liste wurde von 21 Nachbarn unterschrieben. Die Klägerin forderte am 3. 9. 2003 den Sachwalter des Beklagten auf, auf diesen dahin einzuwirken, dass die Hausordnung eingehalten werde; er solle dafür sorgen, dass seine Ehegattin des Beklagten andere Mieter nicht belästige, widrigenfalls ein Kündigungsverfahren wegen unleidlichen Verhaltens eingeleitet werde.

Am 5. 11. 2003 warf die Ehegattin des Beklagten diversen Hausrat aus ihrer Wohnung. Als von Nachbarn verständigte Gendarmeriebeamte eintrafen, lief sie gerade den beiden eingangs erwähnten Nachbarinnen - mit einer Kaffeetasse fuchtelnd - hinterher. Daraufhin beantragte ein herbeigerufener Arzt gemäß § 8 UbG die Unterbringung. Er diagnostizierte eine agitierte paranoide Erkrankung bei geistiger Minderbemittlung und in diesem Zusammenhang eine akute Fremdgefährdung durch Brachialgewaltausbrüche; da kaum Einsicht in eine Behandlungsbedürftigkeit vorhanden sei, schieden alternative Lösungen aus.

Am 18. 11. 2003 regte sich die Nachbarin aus der Wohnung schräg gegenüber darüber auf, dass die Ehegattin des Beklagten mit dem Finger auf die staubbedeckte Heckscheibe des PKW ihres Lebensgefährten „ich liebe Dich, Schatzi, Bussi" geschrieben und ein Herz gezeichnet hatte. Die Nachbarin fertigte auch Fotos an. Darüber beschwerte sich wiederum die Ehegattin des Beklagten bei der Nachbarin und meinte, diese habe nicht „Herumzufotografieren"; das nächste Mal werde sie die Luft aus den Reifen lassen. Tatsächlich entdeckte die Nachbarin am nächsten Tag die Ehegattin des Beklagten bei einem Vorderreifen des PKW ihres Lebensgefährtin und schrie sie an, sie solle vom Fahrzeug weggehen. Daraufhin meinte die Ehegattin des Beklagten, die Nachbarin sei eine „blöde Kuh" und solle verschwinden; sie selbst könne jedenfalls gehen, „wo immer sie wolle". Der Lebensgefährte wiederum verständigte die Gendarmerie und forderte dann die Ehegattin des Beklagten auf, sich zu „schleichen".

Bei Eintreffen der Gendarmeriebeamten schrien die Nachbarin und ihr Lebensgefährte die Ehegattin des Beklagten vor ihrer Wohnungstüre an, sie solle weggehen und aufhören; diese wiederum hatte einen etwa faustgroßen Stein in der geschlossenen Hand, deutete gegen die beiden anderen und beschimpfte sie. Als die Gendarmeriebeamten versuchten, der Ehegattin des Beklagten den Stein zu entwenden, schlug diese einem der Beamten in einer Abwehrhandlung auf den Handrücken; dadurch erlitt der Beamte einen Bluterguss und eine Schwellung. Im Zuge einer Rangelei im Dienstfahrzeug erlitt eine weitere Beamtin Rötungen und Kratzer. Auch die Ehegattin des Beklagten wurde leicht verletzt; sie wies Rötungen an den Handgelenken und eine Abschürfung an der rechten Ferse auf.

Ein mittlerweile verständigter Arzt veranlasste die Überstellung der Ehegattin des Beklagten in die Landesnervenklinik wegen einer akuten Psychose bei paranoider Erkrankung mit Fremdgefährdung mittels Brachialgewalt; es sei seit zwei Tagen eine Verschlimmerung eingetreten, die verordneten Medikamente würden nicht eingenommen. In der Landesnervenklinik wurde festgestellt, dass weder Krankheits- noch Therapieeinsicht bestehe und Kritikfähigkeit und Realitätsbezug deutlich eingeschränkt seien. In weiterer Folge stimmte die Ehegattin des Beklagten allerdings einer Depotmedikation zu. Diese sollte einmal monatlich durch ihren dem behandelnden Arzt erfolgen. Am 5. 12. 2003 verließ die Ehegattin des Beklagten die Landesnervenklinik ohne Absprache; ihr Arzt wurde davon verständigt, dass eine wahnhafte Störung und eine Minderbegabung vorliege.

Die Depotinjektionen ließ sich die Ehegattin des Beklagten in weiterer Folge mehr oder weniger regelmäßig verabreichen. Dies wird von ihrer Sachwalterin auch überprüft. Der Beklagte ist allerdings der Meinung, seine Ehegattin sei gesund, sie benötige keine Medikamente. Im November 2004 erschien sie nicht beim behandelnden Arzt.

Seit den Vorfällen im November 2003 und dem zwischenzeitig erfolgten Wegzug der Nachbarin von schräg gegenüber und deren Lebensgefährten gab es keine Beschimpfungen oder Tätlichkeiten oder stärkeren Lärmbelästungen durch den Beklagten oder seine Ehegattin mehr. Der Beklagte bezieht seit Sommer 2004 eine Invaliditätspension. Es kommt vor, dass er seine Notdurft im Freien verrichtet. Aus diesem Grund kommt es nunmehr zu Spannungen zwischen ihm und der Nachbarin aus der darunter liegenden Wohnung.

Die Klägerin kündigte unter anderem unter Hinweis auf § 30 Abs 2 Z 3 MRG das Mietverhältnis zum 31. 1. 2004 auf. Das Verhalten des Beklagten und insbesondere seiner Ehegattin sei den anderen Bewohnern der Siedlung nicht zumutbar; der Beklagte habe für das unleidliche Verhalten seiner Ehegattin einzustehen. Eine Besserung ihres Verhaltens sei nicht zu erwarten. Es bestehe zumindest die Gefahr, dass sie die Medikamente wieder absetze und sich dann der unzumutbare Zustand wieder einstelle; der Beklagte wirke jedenfalls auf sie ein, die Medikamente wieder abzusetzen. Eine Unterbringung des Beklagten und dessen Ehegattin in einem Pflegeheim liege auch in deren Interesse.

Der Beklagte erhob Einwendungen. Das Verhalten seiner Ehegattin sei von den Mitbewohnern provoziert worden; diese würden auch überreagieren. Es müssten sowohl die geistige Behinderung seiner Ehegattin als auch „das Milieu in der Siedlung" berücksichtigt werden. Es sei seit November 2003 zu keinen weiteren Vorfällen mehr gekommen, seine Ehegattin sei medikamentös eingestellt und er könne sie infolge seines Pensionsantritts ständig beaufsichtigen; weitere Vorfälle seien daher ausgeschlossen.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Das Verhalten seiner Ehegattin verleide den Mitbewohnern das Zusammenleben und könne diesen trotz einer gewissen Provokation nicht mehr zugemutet werden. Damit sei der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG verwirklicht. Der Beklagte habe für das Verhalten seiner Ehegattin einzustehen. Die geistige Behinderung des Beklagten, der sie dadurch nicht ausreichend beaufsichtigen könne, und seiner Ehegattin seien nicht zu berücksichtigen, weil Kündigungsgründe auch von Unzurechnungsfähigen verwirklicht werden könnten. Dass sich die Situtation beruhigt habe, sei unbeachtlich, weil dies ausschließlich auf die medikamentöse Behandlung der Ehegattin des Beklagten zurückzuführen sei. Es bestehe jedoch keine Sicherheit, dass sie die Behandlung auch weiter in Anspruch nehmen werde, zeige sich doch der Beklagte der Behandlung gegenüber ablehnend und habe seine Ehegattin offenbar keine Krankheitseinsicht. Es könne somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das unleidliche Verhalten wieder aufgenommen werde.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz sei jedenfalls noch die Nachbarin in der unter der Wohnung des Beklagten gelegenen Wohnung durch das Verhalten der Ehegattin des Beklagten in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt gewesen. Diese sei unzuverlässig, auch eine ausreichende Beaufsichtigung sei zweifelhaft. Damit sei aber die hohe Wahrscheinlichkeit, den störungsfreien Zustand aufrecht zu erhalten, und damit eine positive Zukunftsprognose nicht gegeben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Der Beklagte bekämpft die Auffassung der Vorinstanzen, wonach sein Verhalten und jenes seiner Ehegattin in einer Gesamtbetrachtung grundsätzlich den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG erfüllt hat, offenbar nicht mehr. Er wirft den Vorinstanzen jedoch insofern eine Fehlbeurteilung vor, als sie nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen sind; seine Ehegattin nehme die notwendige medikamentöse Behandlung selbst auf sich, ohne von dritter Seite dazu angehalten zu werden; sie sei daher nicht unzuverlässig. Damit komme es aber auf ihre Beaufsichtigung durch ihn gar nicht an.

Maßgeblich für die Berechtigung einer Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG ist, dass der Tatbestand zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung erfüllt war (9 Ob 420/97y = MietSlg 50.406 mwN). Dies ist - wie erwähnt - im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Verhaltensänderungen nach Einbringung der Aufkündigung haben nur dann Einfluss auf deren Schicksal, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist (stRsp, s etwa 1 Ob 70/97v = EvBl 1997/178; RIS‑Justiz RS0070340). Auch bei krankheitsbedingtem unleidlichen Verhalten kommt es darauf an, ob es künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft unterlassen werden wird (vgl 1 Ob 410/97v = ÖWR 2001, E 20).

Die Vorinstanzen haben die Verbesserung der Situation ausschließlich auf die medikamentöse Behandlung der Ehegattin des Beklagten zurückgeführt; Sicherheit dafür, dass diese die Behandlung auch weiterhin in Anspruch nehmen wird, bestehe jedoch nicht; der Beklagte stehe der Behandlung vielmehr ablehnend gegenüber, seine Ehegattin sei nicht krankheitseinsichtig (AS 319).

Nach Auffassung des erkennenden Senats darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass es seit den Vorfällen im November 2003 keine Beschimpfungen, Tätlichkeiten oder stärkeren Lärmbelästigungen mehr gegeben hat und die Ehegattin des Beklagten offensichtlich jedenfalls bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz am 27. 1. 2005 die medikamentöse Behandlung auf sich genommen und nicht abgesetzt hat; es wird auch weder in der Berufungsbeantwortung vom 19. 5. 2005 noch in der Revisionsbeantwortung vom 7. 2. 2006 von der Klägerin diesbezüglich Gegenteiliges behauptet. Die Beklagte selbst lehnt die Behandlung auch nicht ab. Dass der Beklagte sie daran hinderte, haben die Vorinstanzen nicht festgestellt. Gegen eine solche Annahme spricht, dass die Behandlung tatsächlich über einen Zeitraum von etwa 18 Monaten erfolgt ist und auch von der Sachwalterin überprüft wird. Richtig ist zwar, dass die Ehegattin des Beklagten nicht krankheitseinsichtig ist. Dies kann aber einem geistig Behinderten nicht vorgeworfen werden.

Die Klägerin meint in der Revisionsbeantwortung, Sinn und Zweck der Rechtsprechung über die Unbeachtlichkeit von Verhaltensänderungen des Mieters nach Aufkündigung sei „natürlich derjenige, dass ansonsten jeder Störer sein Verhalten einfach dann, wenn eine Aufkündigung eingebracht wird, für einige Monate einstellen müsste, um es dann (nach Abweisung der Aufkündigung aus diesem Grunde) neuerlich wiederaufzunehmen". Ein derartiges zielgerichtetes Verhalten kann aber angesichts der geistigen Behinderung weder dem Beklagten noch seiner Ehegattin unterstellt werden.

Aktenwidrig ist das Argument der Klägerin, die Ehegattin des Beklagten habe „die Medikation zuletzt nicht mehr eingenommen"; dies habe das Erstgericht festgestellt. Tatsächlich hat das Erstgericht ausgeführt, sie habe sich die Injektionen mehr oder weniger regelmäßig verabreichen lassen, die Sachwalterin überprüfe auch die Durchführung. Im November 2004 sei die Ehegattin des Beklagten allerdings nicht erschienen, um sich die Injektion geben zu lassen.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang im Übrigen, dass es erst recht für eine positive Zukunftsprogenosse sprechen würde, würde die Ehegattin des Beklagten bereits seit November 2004 nicht (mehr) therapiert; seit damals ist es ja offensichtlich zu keinen weiteren Vorfällen mehr gekommen.

Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Vorfälle zwischen der Ehegattin des Beklagten und anderen Mitbewohnern mit dem Zeitpunkt aufhörten, als die Nachbarin schräg gegenüber und deren Lebensgefährte aus der Siedlung weggezogen. Dies deutet darauf hin, dass die Vorfälle, die die Klägerin zur Aufkündigung veranlasst haben, möglicherweise doch in einem gewissen Zusammenhang mit den vom Erstgericht erwähnten Provokationen von Mitbewohnern zu sehen gewesen sind.

Soweit das Berufungsgericht ausführt, zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz sei jedenfalls noch die Nachbarin aus der unter der Wohnung des Beklagten gelegenen Wohnung durch das Verhalten der Ehegattin in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt gewesen, ist diese Annahme durch Feststellungen nicht gedeckt. Die Nachbarin hat vielmehr selbst bestätigt, dass es derzeit keine Probleme gibt (AS 243). Zu Spannungen kommt es nur dadurch, dass der Beklagte gelegentlich seine Notdurft im Freien verrichtet. Dies allein ist aber - abgesehen davon, dass die Aufkündigung gar nicht darauf gestützt ist - noch kein unleidliches Verhalten im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG.

Der Revision war damit Folge zu geben und die Aufkündigung aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet auf § 41 ZPO, hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens in Verbindung mit § 50 ZPO. Die Vertagungsbitten des Beklagten waren ebenso wenig zu honorieren (4 Ob 36/05f) wie die vom Beklagtenvertreter als Sachwalter des Beklagten geltend gemachten Kommissionskosten für Besprechungen und den Bericht an das Sachwalterschaftsgericht vom 29. 3. 2004. Dies müssten allenfalls im Sachwalterschaftsverfahren geltend gemacht werden.

 

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