OGH 4Ob4/06a

OGH4Ob4/06a24.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Günther B*****, vertreten durch Dr. Franz Marschall, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. Dr. Johann S*****, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung von 77.761,10 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. November 2005, GZ 2 R 209/05b-29, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Bauherr eines Bauvorhabens in Wien hatte den Kläger als Baustellenkoordinator eingesetzt. Auf der Baustelle war unter anderem auch das Unternehmen des Beklagten tätig. Bei einem Baustellenbesuch stürzte der Kläger über die Abspreizung einer Verschalung, die von Leuten des Beklagten am unteren Ende einer Kellerstiege angebracht worden war. Für die dabei erlittenen Schäden nimmt er den beklagten Bauunternehmer in Anspruch. Der Oberste Gerichtshof hat im ersten Rechtsgang entschieden, dass der zwischen dem Beklagten und dem Bauherrn geschlossene Vertrag Schutzwirkungen zugunsten des Klägers entfaltet (4 Ob 229/04m). Im zweiten Rechtsgang strittig war die Frage, ob der Beklagte eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat.

Die Vorinstanzen verneinten eine Sorgfaltspflichtverletzung. Die Beleuchtung sei im Bereich des Unfallsorts jedenfalls ausreichend gewesen, „um das Hindernis, über das der Kläger stürzte, deutlich zu sehen."

Der nach dem Vorfall einschreitende Sicherheitswachebeamte hatte in seiner schriftlichen Meldung festgehalten, dass der Kellerraum (gemeint anscheinend: nur) mit einer 60-Watt Glühbirne beleuchtet gewesen sei. Diese Meldung war in die Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien an die Staatsanwaltschaft Wien aufgenommen worden. Im vorliegenden Verfahren wurde sie als Beweismittel verwertet. Die Vorinstanzen maßen jedoch den Aussagen mehrerer Zeugen größeres Gewicht zu, wonach die Beleuchtung jedenfalls ausreichend gewesen sei, und trafen auf dieser Grundlage die eingangs wiedergegebene Feststellung. Die Meldung wurde dabei nicht als öffentliche Urkunde iSv § 292 ZPO angesehen. Gegen den für den Kellerraum verantwortlichen Mitarbeiter des Beklagten wurde aufgrund der Anzeige ein Strafverfahren eingeleitet, das gem § 90a StPO mit einer diversionellen Erledigung endete.

2. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer öffentlichen Urkunde iSv § 292 ZPO mit der Begründung verneint, dass (a) der Meldungsleger nur Hilfsorgan einer Behörde gewesen sei und es (b) nicht zum Wirkungskreis von Polizeibehörden gehöre, „die bescheidmäßige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen" vorzunehmen. Der Revisionswerber bewertet das als eine - iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche - Verkennung von § 292 ZPO, die zu einer unrichtigen Beurteilung „der Beweislast und -kraft" geführt habe. Die Frage, ob eine von einem Polizeibeamten erstattete Meldung über amtlich wahrgenommene Tatsachen eine öffentliche Urkunde darstellt, muss allerdings im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Nach § 292 Abs 2 ZPO ist nämlich der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache möglich. Diese Regelung führt zu einer Besserstellung der beweispflichtigen Partei: Kann sie sich für eine bestimmte Tatsache auf eine öffentliche Urkunde stützen, so genügt es für den Gegner nicht, die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der Behauptungen des Beweisführers zu erschüttern (Gegenbeweis ieS). Vielmehr muss er das Gegenteil (positiv) beweisen (vgl zu diesen Begriffen Rechberger in Rechberger, vor § 266 ZPO Rz 18 f sowie ders in Fasching, vor § 266 ZPO Rz 253). Für eine öffentlich beurkundete Tatsache verschiebt sich daher die Beweislast (Rechberger in Rechberger, § 292 ZPO Rz 2; in der Sache ebenso Holzhammer in Buchegger/Deixler-Hübner/ Holzhammer [Hrsg], Praktisches Zivilprozessrecht6 I 289 [gesetzliche Vermutung], Bittner in Fasching2, § 292 ZPO Rz 32, und wohl auch Fasching, Zivilprozessrecht2 Rz 953 ["echter" Gegenbeweis]).

Dass sich (auch) das Beweismaß änderte, dass also an den Beweis des Gegenteils höhere Anforderungen zu stellen wären als es dem Regelbeweismaß entspricht (vgl dazu Rechberger in Fasching, vor § 266 ZPO Rz 11 ff), ergibt sich aus § 292 Abs 2 ZPO aber nicht. Diese Bestimmung greift erst ein, wenn sich aus der Beweiswürdigung ein non liquet ergibt; bis zu diesem Punkt berührt sie die Grundlagen der Beweiswürdigung nicht.

Im vorliegenden Fall haben es die Vorinstanzen für erwiesen erachtet, dass die Beleuchtung jedenfalls ausreichend war, „um das Hindernis, über das der Kläger stürzte, deutlich zu sehen." Damit ist eine positive Feststellung zu den Beleuchtungsverhältnissen getroffen. In dieser Situation ist es unerheblich, wen die Beweislast traf. Damit hängt die Entscheidung aber auch nicht mehr von der Frage ab, ob die in der Anzeige enthaltene Meldung des erhebenden Polizeibeamten eine öffentliche Urkunde ist. Selbst wenn diese Frage bejaht würde und es überdies tatsächlich einen Widerspruch zwischen der Urkunde und der getroffenen Feststellung gäbe, wäre nämlich der nach § 292 Abs 2 ZPO mögliche Beweis des Gegenteils gelungen. Die Frage wäre nur dann erheblich, wenn die Nichtbeachtung des öffentlichen Charakters der Urkunde zu einer den Kläger belastenden Negativfeststellung geführt hätte.

3. Das Berufungsgericht hat eine Bindung an die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens verneint, das wegen des Unfalls gegen einen Mitarbeiter des Beklagten eingeleitet worden war. Der Rechtsmittelwerber vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, die Zustimmung des Mitarbeiters zur diversionellen Erledigung sei als zivilrechtlich wirksames Geständnis zu werten.

Diese Auffassung ist schon deshalb unbegründet, weil das Gericht nicht einmal durch ein den Mitarbeiter verurteilendes Straferkenntnis gebunden sein könnte. Mangels Beteiligung am Strafverfahren bedeutete das nämlich für den Beklagten eine nach Art 6 EMRK unzulässige Verletzung des rechtlichen Gehörs (2 Ob 72/97w = SZ 70/49). Um so weniger kann eine diversionelle Erledigung Bindungwirkung entfalten, die (außer bei materiellrechtlich relevanten Willenserklärungen) auch für den Beschuldigten nicht über das Strafverfahren hinaus wirkt (2 Ob 186/04y). Die vom Rechtsmittel angestrebte Geständnisfiktion scheitert auch daran, dass nur eine Partei wirksam ein Geständnis abgeben kann (§ 266 ZPO).

4. Dem Rechtsmittelwerber gelingt es somit nicht, erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

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