OGH 11Os121/05m

OGH11Os121/05m13.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Ludwig I***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Juni 2005, GZ 024 Hv 63/05s-41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB

(2) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153 (1) sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (richtig:) Z 1 StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er

1) in den Jahren 1984 bis 1991 seine am 23. September 1980 geborene Enkelin Isabella I***** wiederholt auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er oftmals ihren Geschlechtsteil abgriff sowie einen Finger in ihre Scheide und seinen Penis in ihren Mund einführte,

  1. 2) im Sommer 1991 mit der Genannten den Beischlaf unternommen und
  2. 3) durch die zu Punkt 1 beschriebenen Tathandlungen mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten Minderjährigen geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a, 8 und 9 (richtig:) lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl. Die Verfahrensrüge (Z 3) gründet den Ansatz, das Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Isabella I***** (ON 24) sei in der Hauptverhandlung gesetzwidrig verlesen worden (S 363), auf die aktenwidrige Prämisse, Isabella I***** habe niemals erklärt, in der Verhandlung nicht aussagen zu wollen (siehe S 175), und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Inanspruchnahme des Entschlagungsrechts außerhalb der Hauptverhandlung wird von der Rüge - zu Recht (zuletzt 12 Os 81/05m) - nicht in Abrede gestellt.

Das Vorbringen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zur Einvernahme sog Leumundszeugen durch das Erstgericht sowie zu einem Aktenvermerk der Rechtsanwaltsanwärterin des Verteidigers bezieht sich weder auf einen Antrag des Beschwerdeführers noch auf ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischenerkenntnis und geht solcherart schon im Ansatz fehl. Der Aktenvermerk betrifft im Übrigen Vorgänge, die sich nach dem Ende der Hauptverhandlung zugetragen haben sollen (S 443), und kommt auch aus diesem Grund nicht als Anfechtungsgrundlage im Nichtigkeitsverfahren in Betracht.

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), die angefochtene Entscheidung übergehe die im Jahresbericht 1983/84 der Theresianischen Akademie (Beilage zu ON 40) enthaltenen Belobigungen des Angeklagten und die im psychiatrischen Sachverständigengutachten (ON 20) wiedergegebenen Angaben der Zeugin Isabella I*****, sie habe „im Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren ein Problem mit Alkohol gehabt" (S 155), bezieht sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsachen. Die aus dem Umstand, dass nach dem klinisch-psychologischen Sachverständigengutachten (ON 27) die Erinnerungen der Zeugin Isabella I***** an die Tathandlungen erst im Zuge einer psychotherapeutischen Behandlung in deren Bewusstsein getreten seien (S 215), abgeleitete Beschwerdeprämisse, diese Erinnerungen seien nicht „direkter" Natur, bildet als rein spekulativer Ansatz keine geeignete Anfechtungsbasis im Nichtigkeitsverfahren. Mit dem Beweiswert der Aussage dieser Zeugin an sich haben sich die Tatrichter hinreichend auseinandergesetzt (US 8, 13). Soweit die Rüge die beweiswürdigenden Erwägungen zur Körpergröße Isabella I*****s als aktenwidrig darzustellen trachtet, entfernt sie sich ihrerseits von der Aktenlage, indem sie die Ausführungen des Erstgerichtes zur Körpergröße Gertraud I*****s mit jenen zur Körpergröße Isabella I*****s verwechselt (US 11). Die diesbezüglichen Urteilskonstatierungen durch die unsubstantiierte Behauptung ersetzend, Isabella I***** sei zur Tatzeit um 40 cm kleiner gewesen als der Angeklagte, weshalb ein stehend durchgeführter Geschlechtsverkehr zwischen den beiden Personen (Schuldspruch 2) nicht möglich gewesen sei, bekämpft der Beschwerdeführer nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, die Angaben der Zeugin Isabella I***** - unter teilweiser Wiederholung der zur Mängelrüge angestellten Spekulationen sowie unter substratloser Behauptung mangelnder fachlicher Qualifikation von Psychotherapeuten - anhand eigener weitwendiger Beweiswerterwägungen als unglaubwürdig darzustellen, und ist solcherart nicht geeignet, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken. Das Vorbringen der Rüge aus Z 8, die angefochtene Entscheidung überschreite die Anklage infolge Annahme idealkonkurrierenden Zusammentreffens des Vergehens der Blutschande mit dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, geht schon im Ansatz fehl, weil Z 8 auf den sog prozessualen Tatbegriff, also darauf abstellt, ob Anklage und Urteil denselben Lebenssachverhalt meinen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502, 517; vgl auch SSt 59/58, zuletzt 14 Os 52/05m), welche Voraussetzung hier jedenfalls erfüllt ist. Im Übrigen ist ein - fallbezogen gegebenenfalls potentiell aus Z 10 relevanter - Schuldspruch wegen des Vergehens der Blutschande ohnedies nicht erfolgt (US 4, 14).

In diesem Zusammenhang sei festgehalten, dass die Einstellung des Verfahrens wegen des - als idealkonkurrierend mit dem Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB angeklagten (ON 29) - Vergehens nach § 211 Abs 2 StGB durch die - zur in Rede stehenden Tat Folge gebende - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien (ON 34) über den Anklageeinspruch (ON 31) als inhaltlich einem sog Subsumtionsfreispruch gleichkommend rechtlich verfehlt war (vgl Ratz, WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 20; 13 Os 114/01, EvBl 2002/19; zuletzt 14 Os 55/05b), wenngleich dem prozessual keine Bdeutung zukam. Nach dem Wortlaut des § 57 StGB verjährt nämlich nicht eine strafbare Handlung (als rechtliche Kategorie), welche durch eine Tat (ein tatsächliches, historisches Geschehen) begründet wird (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), vielmehr die Strafbarkeit der Tat als solche (Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1 und 74; 13 Os 169/99, JBl 2001, 255; zuletzt 13 Os 108/04).

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit b), die angefochtene Entscheidung verletze den im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft, zumal das Verfahren gegen den Angeklagten schon am 5. Februar 2004 „eingestellt" worden sei, übergeht prozessordnungswidrig, dass gegen den Angeklagten wegen der nunmehr abgeurteilten Tathandlungen vor dem gegenständlichen niemals ein strafgerichtliches Verfahren anhängig gewesen ist. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass selbst (hier insoweit nicht gegebene) gerichtliche Vorerhebungen eine formlose Wiederaufnahme nur dann hindern, wenn die betroffene Person als einer strafbaren Handlung verdächtig vernommen oder zur Vernehmung vorgeladen oder in Verwahrung oder Haft genommen worden ist (SSt 43/26, zuletzt 13 Os 41/05m).

Die Beschwerdebehauptungen, die rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen widerspreche den Bestimmungen des § 1 StGB sowie des Art 7 EMRK und es könne sich Art V Abs 3 StRÄG 1998 „begrifflich wohl nur auf die neuen, durch eben dieses Gesetz geänderten Tatbestände der §§ 206 und 207 des StGB beziehen", eignen sich mangels argumentativen Substrats nicht für eine inhaltliche Erwiderung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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