OGH 7Ob266/05a

OGH7Ob266/05a28.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Romana W*****, vertreten durch die Mutter Daniela W***** , vertreten durch Dr. Karl Wilfinger, Rechtsanwalt in Bad Aussee, gegen die beklagte Partei V***** AG, ***** , vertreten durch Dr. Hermann Rieger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 60.000,- - sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 17. August 2005, GZ 4 R 107/05t-61, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 30. 4. 1993 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einem Herzfehler, nämlich einem Vorhofseptumdefekt II. Am 13. 11. 1997 wurde an der Unversitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Karl-Franzens-Universität Graz mittels Herzkatheteruntersuchung ein operativer Verschluss dieses Defektes mit einem Amplatzer-Septum-Occluder (ASO) durchgeführt. Der Eingriff wurde bei der Klägerin im Rahmen der klinischen Prüfung eines Medizinproduktes gemäß den Bestimmungen des Medizinproduktegesetzes (MPG) durchgeführt. Die Wirksamkeit dieses Systems im Vergleich zur Herzchirurgie war noch nicht bewiesen und sollte im Rahmen der Studie untersucht werden. Gemäß § 47 MPG wurde vom Sponsor bei der Beklagten zur Polizze-Nr 61-0123854 eine Probandenversicherung abgeschlossen. Im Zuge der Operation kam es zur Komplikation durch Gerinselbildung und Embolie der Hirngefäße, zu Hirninfakten und halbseitiger linker Lähmung der Klägerin. Die Embolien und Komplikationen sind kausal auf den therapeutischen Eingriff zurückzuführen. Aufgrund des Eingriffes leidet die Klägerin an einer bleibenden teilweisen Lähmung der linken Körperhälfte mit deutlicher Ausprägung am linken Arm, dadurch bedingte Haltungsanomalie des Stammskeletts (Wirbelsäule und Becken) und Wachstumsrückstände der betroffenen Extremitäten. Es besteht eine subjektive psychische Beeinträchtigung durch Minderwertigkeitsgefühl und dadurch, dass die Klägerin teilweise von Gemeinschaftsaktivitäten und Freizeitgestaltung aufgrund ihrer körperlichen Behinderung ausgeschlossen ist. Die Klägerin benötigt teilweise Hilfe beim Anziehen und kann beispielsweise nicht schwimmen oder am Turnunterricht teilnehmen. Aufgrund der fehlenden funktionell brauchbaren Motorik im Bereich der linken Hand und der Finger ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit anzunehmen, die durch die zusätzliche Schwäche aufgrund der Lähmung des linken Beines und dadurch bedingter Haltungsprobleme in einem Gesamtausmaß von bis zu 60 % möglich erscheint. Die teilweise Lähmung der linken Körperhälfte wird dauerhaft bestehen bleiben, das Ausmaß der Einschränkung ist aufgrund des Alters der Klägerin derzeit noch nicht exakt abschätzbar.

Die Schlichtungsstelle der Ärztekammer für Steiermark lehnte unter Hinweis auf die bei der Beklagten bestehende Versicherung den Entschädigungsantrag der Klägerin ab.

Mit der am 1. 3. 2002 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte zur Zahlung von EUR 60.000,- - sA zu verurteilen. Weiters begehrte sie die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung. Die Klägerin stützte sich auf die bei der Beklagten abgeschlossenen Versicherung gemäß § 47 MPG.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte Verjährung ein. Der Schaden sei bereits mit der Beendigung des Eingriffes am 14. 11. 1997 bekannt gewesen. Die Mutter der Klägerin sei über das ASO-System aufgeklärt worden und habe als gesetzliche Vertreterin die Dokumentation dazu unterzeichnet. Das erste Forderungsschreiben des Klagevertreters sei am 26. 7. 2001, also nach Ablauf der Verjährungsfrist, bei der Beklagten eingelangt. Die aufgetretene Embolisation stehe weder in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erprobten medizinischen Gerät (ASO) noch mit einem technischen Mangel des Geräts oder der fehlenden Übung in dessen Verwendung. Es bestehe lediglich eine zeitliche Verbindung, das Erproben des Geräts sei nicht kausal für die Gesundheitsschädigung der Klägerin. Es habe sich ein allgemeines Thromboserisiko verwirklicht.

Die Klägerin replizierte, der Anspruch sei nicht verjährt, da die Verjährung erst mit Kenntnis über die Ursache der Schadenszufügung zu laufen begonnen habe. Dies sei erstmals im Jahr 2000 im Verfahren vor der Schlichtungsstelle der Ärztekammer für die Steiermark durch eine gutachterliche Stellungnahme klar geworden.

Rechtliche Beurteilung

Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, die gegen das Berufungsurteil von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision erweist sich aus folgenden Gründen als unzulässig.

Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass die verfahrensentscheidende Frage des Verjährungsbeginnes (ebenso wie die hier allerdings nicht strittige Verjährungsfrist), zuerst nach § 12 VersVG als lex specialis und erst daran nach § 1489 ABGB zu beurteilen ist. Auf diese Bestimmung hat das Berufungsgericht allerdings ohnehin verwiesen (Berufungsurteil S 12f).

Da der Proband selbständig anspruchsberechtigter Versicherter der vom „Sponsor" als Versicherungsnehmer abgeschlossenen Versicherung ist, handelt es sich bei der Probandenversicherung um eine Versicherung für fremde Rechnung (Krejci, Ehtikkommission und Versicherungsfragen in RdM 1995, 27 [28]). Als Versicherungsnehmer einer Versicherung für fremde Rechnung ist der Proband Dritter iSd § 12 Abs 1 Satz 2 VersVG (vgl Fenyves in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Komm VersVG-Novellen § 12 Rz 5). Diese Bestimmung normiert, dass dann, wenn der Anspruch einem Dritten zusteht, die Verjährung erst zu laufen beginnt, sobald diesem sein Recht auf die Leistung des Versicherers bekannt geworden ist; ist dem Dritten dieses Recht nicht bekannt geworden, so verjähren seine Ansprüche erst nach 10 Jahren. „Bekanntgeworden" ist der Anspruch dem Dritten nur bei positiver Kenntnis um seinen Anspruch. Kennenmüssen genügt auf Grund des klaren Wortlautes der Bestimmung nicht (Fenyves aaO Rz 6; Prölss in Prölss/Martin VVG27 § 12 Rz 72).

Dies muss aber, wie der Oberste Gerichtshof etwa in der Entscheidung 7 Ob 2043/96h bereits ausgeführt hat, aber doch wieder im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 1489 ABGB gesehen werden. Nach den zu dieser Bestimmung entwickelten Grundsätzen (s. zuletzt etwa 7 Ob 322/04k) kann die Kenntnisnahme des Anspruchs schon dann als erfolgt gelten, wenn der Dritte (der Proband, hier die Klägerin) die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen hätte können (Fenyves aaO Rz 6; vgl Prölss aaO Rz 72; in diesem Sinne auch schon Wieser, Fälligkeit und Verjährung und die VersVG-Novelle, in VR 1994, 293, 306).

Ohne eine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage beantworten zu müssen, sind die Vorinstanzen, deren Ausführungen mit den zu § 1489 ABGB entwickelten Grundsätzen im Einklang stehen, daher zum zutreffenden Ergebnis gekommen, dass die gegenständlichen Ansprüche nicht verjährt sind, weil der Klägerin erst zufolge des im Schlichtungsverfahren eingeholten Gutachtens zur Kenntnis gelangt ist, dass sich nicht ein ganz allgemein vorhandenes Thromboserisiko verwirklicht hat, sondern das spezifische Risiko der versicherten klinischen Prüfung eingetreten ist. Von der Klägerin, wie die Revisionswerberin meint, die Einholung eines Gutachtens schon zu einem früheren Zeitpunkt zu verlangen, wäre nach den dazu entwickelten Judikaturgrundsätzen (s neuerlich die Ausführungen zu 7 Ob 322/04k) ohne jeden Zweifel einer Überspannung der Erkundigungspflicht gleichzuhalten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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