OGH 14Os119/05i (14Os120/05m)

OGH14Os119/05i (14Os120/05m)22.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, und Hon. Prof. Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hasan S***** wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, AZ 32 Ur 164/05z des Landesgerichtes Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 7. Oktober 2005, AZ 19 Bs 311/05g, 19 Bs 312/05d (ON 17 des Ur-Aktes), nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Hasan S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 32 Ur 164/05z des Landesgerichtes Wiener Neustadt leitete der Journalrichter mit Beschluss vom 17. September 2005 gegen (den am 16. September 2005 verhafteten) Hasan S***** die Voruntersuchung wegen „§ 107 Abs 1 StGB" ein (S 1) und verhängte über ihn mit Beschluss vom selben Tag aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft (ON 7). Mit Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 27. September 2005 wurde sie unter zusätzlicher Heranziehung des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 StPO mit Wirksamkeit bis 27. Oktober 2005 fortgesetzt (ON 12).

Der Beschwerde des Hasan S***** gegen die bezeichneten Beschlüsse gab das Oberlandesgericht Wien mit der angefochtenen Entscheidung vom 7. Oktober 2005 (ON 17) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Haft aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 2 und 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis 7. Dezember 2005 an.

Danach richtet sich gegen Hasan S***** der dringende Verdacht, er habe „in Gloggnitz nachgenannte Personen, darunter auch Kinder, gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, und zwar

1. Anfang 2005 den am 7. November 1990 geborenen Daniel L*****, indem er mit erhobener Hand auf ihn zuging und ihm Schläge androhte,

2. im Frühjahr 2005 Hans T*****, indem er mit einem Schraubenschlüssel in der Hand drohte, ihn umzubringen,

3. im Juni 2005 die am 30. Jänner 1997 geborene Tabita L***** sowie die 1994 geborene Ilija V*****, indem er schimpfte, 'das nächste Mal passiert etwas' bzw mit seinem Finger entlang der Kehle fuhr und sagte: 'das nächste Mal',

4. Ende Juni 2005 Hans T***** sowie dessen Kinder, indem er zu deren Wohnung kam und drohte, T***** solle seine Kinder vom Spielplatz fernhalten, 'sonst passiere was',

5. am 14. September 2005 den am 3. Jänner 1997 geborenen Manuel H*****, indem er mit seinem Finger entlang seiner Kehle strich und angab: 'beim nächsten Mal',

6. am 14. September 2005 Renate H*****, indem er auf den unter Punkt 5. geschilderten Vorfall angesprochen sagte, ihr Sohn sei beim nächsten Mal weg."

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde ist teilweise berechtigt. Soweit der Beschwerdeführer die unterbliebene Beiziehung eines Dolmetschers für die albanische Sprache zu seiner nach § 180 Abs 1 StPO vorgeschriebenen Vernehmung (S 47 f) bemängelt, ist er dazu formell nicht legitimiert, weil er dies in der Beschwerde gegen die erstinstanzlichen Beschlüsse nicht geltend gemacht (vgl ON 14) und daher den Instanzenzug nicht ausgeschöpft hat (14 Os 16/05t mwN). Mit seinem gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und der Haftgründe gerichteten Vorbringen wiederholt Hasan S***** lediglich seine bereits gegen die erstinstanzlichen Beschlüsse (nahezu wortgleich) vorgebrachte Kritik (ON 14), ohne sich mit den darauf Bezug nehmenden Überlegungen des Oberlandesgerichtes auseinanderzusetzen. Der Gerichtshof zweiter Instanz sah den nach § 180 Abs 1 erster Satz StPO relevanten Verdacht - gestützt auf die (zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung gerichtlich noch nicht vernommenen) Aussagen der Zeugen Renate H*****, Hans T***** vor der Polizei (S 21 ff) unter ausdrücklicher Hervorhebung bedeutender Passagen - mängelfrei als gegeben an. Den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr hielt er zu Recht darin für begründet, dass eine Vernehmung der mutmaßlich bedrohten - von Hasan S***** nach Zeugenangaben auch nach Intervention durch die Polizei eingeschüchterten (S 15) - Kinder noch nicht erfolgt war. Von der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO hinwieder konnte das Beschwerdegericht unter Berücksichtigung der in Verfolgung gezogenen wiederholten Tathandlungen und der von ihm daraus abgeleiteten Neigung des Hasan S***** zu aggressivem Verhalten ausgehen.

Soweit die Beschwerde gegen die Verhältnismäßigkeit (§ 180 Abs 1 StPO; Art 3 Abs 1 PersFrG) der Untersuchungshaft einwendet, diese dürfe ein angemessenes Maß in Bezug auf die Bedeutung der Sache nicht übersteigen, ist sie im Recht.

Nach der dafür anzustellenden Überprüfung sind (neben dem begründeten Tatverdacht und dem Bestehen von Haftgründen) dabei vor allem jene Umstände von Bedeutung, welche für oder gegen das Vorliegen eines echten Erfordernisses des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Haft sprechen und die es rechtfertigen, von der Grundregel der Achtung der persönlichen Freiheit abzuweichen. Zugleich ist auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung gebührend Bedacht zu nehmen. Nach Ablauf einer gewissen Zeit reicht die Fortdauer des begründenden Tatverdachtes für die Rechtsgültigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nämlich nicht mehr aus. Es müssen viel mehr wesentliche und ausreichende Gründe vorliegen, welche den Freiheitsentzug weiter rechtfertigen (vgl 15 Os 117/04). Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung zur Verhältnismäßigkeit der (damals) „noch nicht einmal einen Monat dauernden Haft" keine Gründe im aufgezeigten Sinn angeführt, sondern lediglich festgehalten, dass die Möglichkeit einer bedingten Nachsicht der Strafe außer Betracht zu bleiben hat (S 105). Für den Zeitpunkt der Verhängung war die Untersuchungshaft im Hinblick auf die Mehrzahl der Angriffe und das sich daraus ergebende Aggressionspotential weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis.

Zieht man aber für den Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichtes weiter ins Kalkül, dass der unbescholtene Hasan S***** wegen eines Deliktes, das mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, in Verfolgung gezogen wurde, die Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine frühere Inhaftierung des Genannten bietet, er demnach erstmalig das Haftübel verspürte, das vom Gerichtshof zweiter Instanz an anderer Stelle ins Treffen geführte „offenkundig unbeherrschte" (S 104) bzw „wahrscheinlich aggressionsbereite Naturell von S*****" (S 105) für diese Beurteilung nicht hinreichend aussagekräftig ist und eine Veränderung des Aggressionspotentials durch zweiundzwanzig Tage Haft nicht unberücksichtigt bleiben darf, so erweist sich die Aufrechterhaltung der Haft zur Bedeutung der Sache als nicht mehr angemessen und daher im Ergebnis als nicht verhältnismäßig.

Hasan S***** wurde daher insoweit in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, als vom Oberlandesgericht der Beschwerde nicht Folge gegeben, sondern die Untersuchungshaft fortgesetzt wurde.

Eine Verfügung nach § 7 Abs 2 GRBG kann entfallen, weil Hasan S***** zwischenzeitig enthaftet wurde.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

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