OGH 5Ob105/05k

OGH5Ob105/05k4.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Dr. Hurch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Thomas G*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen die beklagte Partei Gernot G*****, vertreten durch Aschmann & Pfandl, Partnerschaft von Rechtsanwälten in Graz, wegen 21.643,37 Euro s.A., über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2005, GZ 4 R 215/04a-40, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 20. Juli 2004, GZ 5 Cg 21/02f-34, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang

a) des Zuspruchs von 6.764,60 Euro samt 4 % Zinsen seit 6. 3. 2002 bei Exekution in die Liegenschaft EZ ***** und

b) der Abweisung von 5.713,07 Euro samt 4 % Zinsen seit 3. 5. 2001 und weiteren 4 % Zinsen aus 21.643,37 Euro von 3. 5. 2001 bis 5. 3. 2002, als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleiben,

werden im übrigen Umfang, nämlich hinsichtlich 9.165,70 Euro samt 4 % Zinsen seit 6. 3. 2002 und der Kostenentscheidungen zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht aufgehoben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Helmut G*****, der Großvater der Streitteile, verstarb am 3. 5. 2001 unter Hinterlassung eines Testaments, in welchem er seine Frau Gertrude G***** zu Alleinerbin eingesetzt hatte. Seiner Ehe mit Gertrude G***** entstammen zwei Kinder, nämlich der vorverstorbene Ralf G*****, der Vater des Klägers, und Eveline G*****, die Mutter des Beklagten. Helmut G***** hat weiters den außerehelichen Sohn Richard H***** hinterlassen.

Den Nachlass nach Helmut G***** erhielt dessen Witwe mit Beschluss des Abhandlungsgerichts vom 27. 3. 2003 eingeantwortet; der Wert des reinen Nachlasses betrug 42.605,72 Euro. Die Witwe Gertrude G***** zahlte dem Kläger 5.937,57 Euro, davon 4.948,41 Euro an Nachlasspflichtteil und 989,16 Euro an Schenkungspflichtteil, weil ihr der Erblasser zu Lebzeiten Sparguthaben von 8.902,42 Euro geschenkt hatte.

Mit notariellem Schenkungsvertrag vom 6. 12. 2002 hatte Helmut G***** seinen ideellen Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ ***** dem Beklagten geschenkt. Eigentümerin des weiteren Hälfteanteils dieser Liegenschaft war Dr. Anneliese H*****, die Schwester des Erblassers. Mit Notariatsakt vom 12. 2. 2001 veräußerten der Beklagte und Dr. Anneliese H***** die Grundstücke Nr. 260/4, 374 und 375 aus der EZ ***** um 165.721,16 Euro an Dritte und mit Kaufvertrag vom selben Tag erwarb der Beklagte von Dr. Anneliese H***** deren restlichen ideelen Hälfteanteil um 111.929,75 Euro.

Der Kläger begehrte mit seiner beim Erstgericht am 28. 2. 2002 eingelangten Pflichtteilsergänzungsklage vom Beklagten die Zahlung von 21.643,37 Euro s.A. bei sonstiger Exekution in die Liegenschaft EZ *****. Der Kläger ging dabei von einem „Erbquote" von einem Neuntel aus und von 194.790,33 Euro als Wert des ideellen Hälfteanteils an der Liegenschaft EZ *****, welche der Beklagte vom Erblasser geschenkt erhalten hatte.

Der Beklagte wandte - soweit für das Revisionsverfahren vorrangig relevant - ein, dass sich das Begehren auf Schenkungsanrechnung primär gegen den Nachlass und nach dessen Einantwortung gegen die Erben richte. Nur wenn der Nachlass nicht ausreiche, könne der daraus resultierende Ausfall gegen den Geschenknehmer geltend gemacht werden. Nach der „Methode der sukzessiven Gleichstellung" könne der überwiegende Teil der Ansprüche des Klägers aus dem Nachlassvermögen gedeckt werden (AS 151 = S 4 in ON 19). Der Kläger müsse sich primär an die Erbin wenden, während der Beklagte nur subsidiär für den Ausfall herangezogen werden könne (AS 153 = S 5 in ON 19).

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 10.206,87 Euro samt 4 % Zinsen seit 6. 3. 2002 bei sonstiger Exekution in die Liegenschaft EZ ***** und wies das Mehrbegehren von 11.436,50 Euro s.A. ab. Das Erstgericht legte in tatsächlicher Hinsicht für den ideellen Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ ***** einen - inzwischen nicht mehr strittigen - Wert von 145.300 Euro zugrunde. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass dem Kläger an Pflichtteilsergänzung nach der ihm zustehenden Quote ein Neuntel des Werts des Liegenschaftsanteils, also 16.144,44 Euro zustünden. Da der Kläger von der Witwe bereits 5.937,57 Euro erhalten habe, gebührten diesem noch restliche 10.206,87 Euro s.A.

Das Berufungsgericht gab der gegen diese Enscheidung gerichteten Berufung des Beklagten nicht, derjenigen des Klägers teilweise und zwar dahin Folge, dass es den Beklagten zur Zahlung von 15.930,30 Euro s.A. verpflichtete und das Mehrbegehren von 5.713,07 Euro s.A. abwies. Rechtlich erwog das Berufungsgericht, es sei zur Ermittlung des Pflichtteils zunächst dem reinen Nachlass der Wert der Schenkung hinzuzurechnen, was hier den Betrag von 187.905,72 Euro (= 42.605,72 Euro + 145.300 Euro) ergebe; davon stehe dem Kläger die Pflichtteilsquote von einem Neuntel zu, also 20.878,41 Euro (= 187.905,72 Euro : 9), welcher Betrag um den bereits bezahlten Nachlasspflichtteil von 4.948,11 Euro zu kürzen sei, sodass dem Kläger letztlich noch 15.930,30 Euro s.A. gebührten. Es zeige schon eine einfache Berechnung, dass der Nachlass zur Deckung des Schenkungspflichts nicht ausreiche, weil ausgehend von dem um den Schenkungswert erhöhten Nachlass (187.905,72 Euro) der Sechstelanteil der Witwe 31.317,62 Euro und der Neuntelanteil der Pflichtteilsberechtigten jeweils 20.878 Euro betrage; es komme daher der subsidiäre Anspruch gegen den Beschenkten zum Tragen.

Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, es habe für die Zulassung der Revision kein Anlass bestanden, weil keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, das 6.764,60 Euro s.A. übersteigende Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise stellt der Beklagte in diesem Umfang auch einen Aufhebungsantrag. Der Beklagte macht in seiner Revision - zusammengefasst - geltend, die Vorinstanzen hätten die Subsidiarität seiner Haftung als Beschenkter nicht berücksichtigt. Die Pflichtteilsergänzungsansprüche des Klägers wären jedenfalls teilweise im Nachlass gedeckt. Das Berufungsgericht habe auch die Höhe der Pflichtteilsansprüche nicht richtig berechnet, insbesondere weil es der Witwe geschenkte Sparguthaben nicht veranschlagt habe. Ausgehend von der „Methode der sukzessiven Gleichstellung" ergebe sich lediglich ein dem Kläger zustehender Fehlbetrag von 6.764,60 Euro s.A., während dessen Mehrbegehren abzuweisen sei.

Der Kläger hat eine ihm freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision des Beklagten nicht zuzulassen, für den Fall der Zulassung dieser keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt, weil die Vorinstanzen die bloß subsidiäre Haftung des Beschenkten nach § 951 ABGB und die für diese Bestimmung maßgebliche Behauptungs- und Beweispflicht und -last verkannt haben.

1. Pflichtteilsansprüche sind vorweg gegen den Nachlass geltend zu machen. Nur dann, wenn sich bei einem Schenkungspflichtteil ergibt, dass dieser nicht aus dem Nachlass abgedeckt werden kann, ist der Beschenkte passiv klagslegitimiert (14. 6. 2000, 7 Ob 135/00d; Welser in Rummel³ § 785 ABGB Rz 23 f; Schubert in Rummel³ § 951 ABGB Rz 2; Eccher in Schwimann² § 785 ABGB Rz 2; Binder in Schwimann² § 952 ABGB Rz 21 je mwN). Nach Rechtsprechung und Lehre ist der Schenkungspflichtteil zunächst bis zur Höhe des Werts des reinen Nachlasses vom Erben zu berichtigen; nur dann und insoweit der Nachlass zur Deckung des Pflichtteils nicht ausreicht, kann der Noterbe gem § 951 Abs 1 ABGB den Fehlbetrag vom Beschenkten fordern und sich aus dem Geschenk befriedigen (6 Ob 156/99f mwN). Die bloß subsidiäre Haftung des Beschenkten nur im Umfang der nicht hinreichenden Nachlassdeckung folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut, bestimmt doch § 951 Abs 1 ABGB, der verkürzte Noterbe könne vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes zur Deckung des Fehlbetrages verlangen, was der Beschenkte durch Zahlung des Fehlbetrages abwenden könne. Zutreffend spricht daher etwa Welser, in Rummel³, § 785 ABGB Rz 26, vom Recht, „vom Beschenkten die Ergänzung zu fordern", und Kralik, ErbR 306, lehrt: „Soweit der Schenkungspflichtteil nicht .... im Nachlaß gedeckt ist, gibt § 951 (ABGB) dem Noterben einen Anspruch gegen den Beschenkten auf den Fehlbetrag."

Die vom Berufungsgericht (Berufungsurteils S 18) offenbar vertretene Ansicht, dass schon bei der nach dessen „einfacher Berechnung" nur teilweise fehlenden Nachlassdeckung der Beschenkte zur Gänze in Anspruch genommen werden könne, entspricht demnach nicht herrschender Lehre und Rechtsprechung.

2. Die Bestimmungen der §§ 785, 951 ABGB bezwecken, den übergangenen Noterben so zu stellen, wie er stünde, wenn die Schenkung unterblieben wäre, d.h. der Wert der Verlassenschaft ist derart zu ermitteln, als wäre die pflichtteilswidrige Verfügung unterblieben (1 Ob 525/92 mwN). Die Berücksichtigung von Schenkungen des Erblassers erfolgt dadurch, dass sie dem reinen Nachlass rechnerisch zugeschlagen werden. Auf dieser Basis wird neuerlich der Pflichtteil ermittelt; der Mehrbetrag, der sich im Vergleich zum Nachlasspflichtteil ergibt, heißt Schenkungspflichtteil oder Pflichtteilserhöhung (6 Ob 117/02b mwN; 6 Ob 189/00p; 7 Ob 2373/96p = SZ 70/107). Nach einhelliger Ansicht (Welser in Rummel³ § 785 Rz 23; Kralik, ErbR 306) gehen bei der Berechnung der Nachlassdeckung die Nachlasspflichtteile vor und erst danach ist zu prüfen, ob der Schenkungspflichtteil noch (teilweise) im Nachlass gedeckt ist (Umlauft, Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht, insb 233).

Für den Umstand, dass der Nachlass nicht ausreicht, trifft den Kläger die Behauptungs- und Beweislast (vgl 14. 6. 2000, 7 Ob 135/00d; Binder in Schwimann² § 952 ABGB Rz 21). Die Behauptung, dass der Nachlass jedenfalls teilweise zur Deckung des Schenkungspflichtteils des Klägers ausreiche, hat im vorliegenden Fall der Beklagte vor dem Erstgericht vorgetragen (AS 151f = S 4f in ON 19) und auch in seiner Berufung mit seiner bloß subidiären Haftung argumentiert (S 4 in ON 35). Außerdem hat der Beklagte mit dem Verzicht der Eveline G***** auf deren Pflichtteilsansprüche, einem Vergleich über die Pflichtteilsansprüche des Richard Hölbling und die fragliche rechnerische Einbeziehung der Schenkungen an die Witwe Umstände angesprochen, die gegebenenfalls für die Berechnung des Anspruchs des Klägers allenfalls relevant sein könnten, bislang jedoch unberücksichtigt geblieben sind.

Aus dem erstinstanzlichen Prozessvorbringen des Klägers können dagegen lediglich die Ausführungen auf AS 153 = S 5 in ON 29 dahin verstanden werden, dass der Nachlass jedenfalls nicht zur gänzlichen Deckung seiner Ansprüche ausreiche. Prozessbehauptungen des Klägers, aufgrund welcher konkreten Erwägungen (Berechnungen) keine (volle) Nachlassdeckung seiner Schenkungspflichtteilsansprüche gegeben sei und warum ihm vom beschenkten Beklagten mehr zustehen könnte, als der (nunmehr) zugestandene Betrag von 6.764,60 Euro s.A. liegen nicht vor; auch in der Revisionsbeantwortung werden lediglich die Erwägungen des Beklagten als unzutreffend bezeichnet und bloß hypothetische Berechnungen ohne konkrete Festlegung des eigenen Standpunkts des Klägers angestellt; die insoweit den Kläger treffende Behauptungs- und Beweispflicht und -last haben die Vorinstanzen nicht berücksichtigt, was im Rahmen des Anfechtungsumfangs eine Aufhebung der Urteile erster und zweiter Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht als unumgänglich erweist.

3. Im fortgesetzten Verfahren wird es nach Erörterung der dargestellten Rechtslage zunächst Aufgabe des Klägers sein, auszuführen, aufgrund welcher konkreten Tatsachengrundlage und nach Maßgabe welcher daran anknüpfenden Berechnungen er keine (volle) Nachlassdeckung seiner Schenkungspflichtteilsansprüche annimmt; erst darauf aufbauend wird zu beurteilen sein, ob dem Kläger ein weiterer, die vom Beklagten zugestandenen 6.764,60 Euro s.A. übersteigender Betrag gebührt.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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