OGH 1Ob525/92

OGH1Ob525/9218.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gottfried S*****, vertreten durch Dr. Hans Estermann, Dr. Thomas Wagner, Rechtsanwälte in Mattighofen, wider die beklagte Partei Aloisia S*****, vertreten durch Dr. Berndt Sedlazeck, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen restl. S 17.030,26 samt Anhang infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. November 1991, GZ 6 R 179/91-38, womit das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 9. April 1991, GZ 2 Cg 58/90-29, teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Prozesskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist eines von fünf ehelichen Kindern des am 5.6.1989 verstorbenen Gottfried S*****. Die Beklagte ist die Witwe des Erblassers. Mit Schenkungsvertrag vom 25.7.1986 hatte der Erblasser der Beklagten die ihm gehörige Hälfte der Liegenschaft EZ 29 KG O***** geschenkt. Mangels eines Nachlassvermögens nach Gottfried S***** fand eine Verlassenschaftsabhandlung nicht statt.

Der Kläger begehrt als Schenkungspflichtteil zuletzt den Zuspruch des Betrages von S 119.490,26 samt Anhang.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, vom Wert der Liegenschaftshälfte seien folgende Schulden in Abzug zu bringen:

a) Hälfte des bei der Raiffeisenkasse H***** mit S 150.000 aushaftenden Darlehens sowie die Hälfte des Debets eines Girokontos beim selben Institut von S 115.663,28 ergibt S 132.831,64;

b) Schuld des Verstorbenen an Josef N***** S 135.000, an die B*****kasse S 44.000 und an die Rechtsanwälte Dr. L***** und DDr. H***** S 23.727,50;

c) Todfallskosten von S 39.614,40 und

d) eine weitere Zinsenbelastung von S 26.714,16, insgesamt S 401.887,70.

Der Kläger replizierte, die Forderung des Josef N***** bestehe nicht zu Recht, die B*****kasse habe auf ihre Forderung verzichtet, die Schuld an die Rechtsanwälte sei noch nicht beglichen worden und die geltend gemachten Zinsen seien erst nach dem Todestag aufgelaufen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger den begehrten Betrag bei sonstiger Exekution auf den der Beklagten gehörigen Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ 29 KG O***** zu. Es ging von einem zu berücksichtigenden Wert der geschenkten Liegenschaftshälfte von S 1,938.800,50 aus. Rechtlich folgte es der Ansicht von Kralik in Ehrenzweig, Erbrecht3 305, wonach der Noterbe selbst bei Überschuldung des Nachlasses den Pflichtteil vom vollen Wert des Geschenks vom Beschenkten nach den Regeln der §§ 195 ff ABGB fordern könne.

Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Beklagten den Zuspruch des Betrages von S 102.460 samt Anhang als Teilurteil. Im Übrigen (weiterer Betrag von S 17.030 samt Anhang und im Kostenausspruch) hob es das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache insoweit zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig. Entgegen der vom Erstgericht zitierten Ansicht Kraliks führte es aus, dass der Kläger als Schenkungspflichtteil keinen Betrag erhalten könne, den er, wäre die Schenkung nicht erfolgt, niemals erhalten hätte. Der Wert des geschenkten Objektes bilde sozusagen den Deckungsfonds, damit die Pflichtteilsberechtigten jenen Betrag auch effektiv erhalten könnten, den sie erhalten hätten, wenn der Erblasser die zur Pflichtteilsverkürzung führende Schenkung gegenüber der Beklagten nicht gemacht hätte. Bei anderer Auffassung könnte ein Pflichtteilsberechtigter allein deshalb, weil der Erblasser zu Lebzeiten eine Schenkung gemacht habe, die nach § 951 ABGB angefochten werden könne, nach dem Erbfall zum Zug kommen, obwohl dieser Nachlass derart überschuldet gewesen wäre, dass selbst unter Anrechnung der Schenkung nur die Gläubiger, nicht aber auch die Erben zum Zug kommen könnten. Es müsse demnach geklärt werden, ob die von der Beklagten behaupteten Schulden in der Höhe von (abgerundet) S 401.806 tatsächlich bestanden hätten. Der Anspruch des Klägers könne daher derzeit nur in der Höhe von S 102.460 festgestellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist nicht berechtigt.

Nach § 951 Abs 1 ABGB kann der verkürzte Noterbe vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes zur Deckung des Fehlbetrages verlangen, wenn bei der Bestimmung des Pflichtteils nach § 785 ABGB Schenkungen bei Berechnung des Nachlasses in Anschlag gebracht wurden. Dieser Anspruch des verkürzten Noterben besteht auch dann, wenn der Erblasser zu Lebzeiten sein gesamtes Vermögen verschenkt hat und das Abhandlungsverfahren armutshalber abgetan wurde (JBl 1989, 377; SZ 57/7; SZ 38/47; SZ 23/144 ua; Schubert in Rummel 2 Rz 2 zu § 951 ABGB; Binder in Schwimann, ABGB Rz 3 zu §§ 951, 952; Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 626; Koziol-Welser 9 II 384). Ehrenzweig, System II/22 593 hat die Auswirkung dieser Bestimmung in die kurze Formel gebracht: Nachlasspflichtteil plus Schenkungspflichtteil = erhöhter Pflichtteil. Offenbar davon ausgehend, dass ein Nachlasspflichtteilsanspruch niemals einen negativen Betrag ergeben kann, lehrt, wie schon das Erstgericht ausführte, Kralik in Ehrenzweig, Erbrecht3 305, es wäre unrichtig, beim überschuldeten Nachlass den Wert der Geschenke etwa zu den Aktiven hinzuzurechnen, sodass ihr Wert durch die übersteigenden Passiven vermindert oder gar aufgezehrt würde. Der Noterbe könne vielmehr selbst bei Überschuldung des Nachlasses den Pflichtteil vom vollen Wert des Geschenkes vom Beschenkten nach den Regeln der §§ 951 f ABGB fordern. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Bestimmungen der §§ 785, 951 ABGB bezwecken, den übergangenen Noterben so zu stellen, wie er stünde, wenn die Schenkung unterblieben wäre, dh der Wert der Verlassenschaft ist derart zu ermitteln, als wäre die pflichtteilswidrige Verfügung unterblieben (EvBl 1986/155, SZ 57/7; Koziol-Welser aaO 383). Nur diese Art der Ermittlung des erhöhten Pflichtteiles entspricht der Anrechnungsvorschrift des im § 951 ABGB ausdrücklich angeführten § 785 ABGB: „In Anschlag bringen“ einer Schenkung bedeutet die rechnerische Annahme, es wären noch alle Schenkungen im Nachlass (Welser in Rummel 2, Rz 22 zu § 785 ABGB). Handelt es sich bei solchen Schenkungen aber um Rechnungsposten, dann darf der Schenkungspflichtteil nicht losgelöst vom negativen Nachlass gegen den Beschenkten berechnet werden. Beim Schenkungspflichtteil handelt es sich in Wahrheit um einen Ergänzungsanspruch (3. TN mit Materialien 239), sodass die Überschuldung vom Wert der Schenkung in Abzug zu bringen ist. Dies kann bei hoher Überschuldung letztlich dazu führen, dass ungeachtet anrechenbarer Schenkungen ein im Rahmen des Schenkungspflichtteiles geltend zu machender Pflichtteilsanspruch überhaupt nicht besteht. Dieses Ergebnis vertritt auch die einhellige Rechtsprechung und Lehre zu § 2325 BGB (LM § 2325 BGB, Nr. 2; LZ 1928 Spalte 53 bis 56; Ferid-Cieslar in Staudinger 12, Rz 29 zu § 2325 BGB; Frank in Münchener Kommentar2, Rz 8 zu § 2425 BGB; Soergel-Dickmann 11, Rz 1 zu § 2325 BGB), welche Bestimmung dem Novellengesetzgeber als Vorbild dinete (3. TN 234; Weiß in Klang 2 III 905).

Die Prüfung, welche Nachlassschulden im Zeitpunkt des Erbfalles vorhanden waren - ein späterer Forderungsverzicht wäre demnach nicht zu berücksichtigen - erweist sich daher als notwendig, sodass dem Rekurs der Erfolg zu versagen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.

Stichworte