OGH 6Ob192/05m

OGH6Ob192/05m6.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Luca J*****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Johanna R*****, 2. Johanna G*****, 3. Erna Maria Z*****, alle vertreten durch Mag. Dr. Anton Dierigl, Rechtsanwalt in Rum, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 2 R 314/98p des Oberlandesgerichts Innsbruck (Streitwert 36.336 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 19. Mai 2005, GZ 2 R 228/04b-15, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat den beklagten Parteien die mit 2.016,18 EUR (darin 336,03 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Wiederaufnahmsklägerin war Lebensgefährtin des am 23. 7. 1995 verstorbenen Erblassers Karl W*****. Die Wiederaufnahmsbeklagten sind uneheliche Töchter des Verstorbenen und hatten am 29. 9. 1995 bedingte Erbserklärungen aufgrund des Gesetzes zu je einem Drittel des Nachlasses abgegeben. Am selben Tag hatte auch die Wiederaufnahmsklägerin unter Berufung auf ein vom Verstorbenen vor drei Zeugen am 6. 6. 1995 unterfertigtes fremdhändiges Testament eine bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlass abgegeben. Das Abhandlungsgericht nahm sämtliche Erbserklärungen an und verwies die Wiederaufnahmsbeklagten auf den Rechtsweg. Im Verfahren 13 Cg 135/96g des Landesgerichts Innsbruck erhoben die Wiederaufnahmsbeklagten gegenüber der Wiederaufnahmsklägerin das Begehren auf Feststellung, dass das am 6. 6. 1995 vom Erblasser zugunsten der Wiederaufnahmsklägerin errichtete Testament ungültig und unwirksam sei. Das Landesgericht Innsbruck wies das Klagebegehren ab. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab dem Klagebegehren nach einer umfassenden Beweiswiederholung mit Urteil vom 4. 3. 1999 zu 2 R 314/98p statt. Es nahm als erwiesen an, dass der Erblasser stets nur sehr schlecht lesen und noch schlechter schreiben konnte und im Großen und Ganzen nur seine eigene Unterschrift zu leisten imstande war. Nach diesen Feststellungen war der Erblasser nicht in der Lage, das in deutscher Sprache verfasste, mit mittlerem bis engem Zeilenabstand maschingeschriebene, knapp mehr als eine Seite lange Testament zu lesen. Aufgrund dieser Leseschwäche wäre es bei Testamentserrichtung erforderlich gewesen, die Formvorschrift des § 581 ABGB einzuhalten. Mangels Beachtung dieser Formvorschrift sei das Testament ungültig und unwirksam.

In ihrer am 4. 8. 2004 beim Landesgericht Innsbruck eingebrachten (und von diesem rechtskräftig an das Oberlandesgericht als Berufungsgericht überwiesenen) Wiederaufnahmsklage macht die Lebensgefährtin des Erblassers geltend, sie habe am 8. bzw 9. 7. 2004 im Dachboden des Hauses Schriftstücke aus den 40er-Jahren aufgefunden, die vom Erblasser stammten. Dabei handle es sich um zwei von ihm beschriebene Fotografien und eine an seine damalige Lebensgefährtin Angelika C***** gerichtete, mit 3. 5. 1949 datierte Postkarte sowie um die letzte Seite eines an diese gerichteten undatierten Briefes. Aus diesen Urkunden sei ersichtlich, dass der Erblasser des Schreibens in ordentlichem Deutsch mächtig gewesen sei. Sie hätte im vorangegangenen Verfahren obsiegt, wenn sie diese Beweismittel schon damals hätte vorlegen können. Es wäre nämlich aufgrund dieser Schriftstücke anzunehmen gewesen, dass der Erblasser die vor dem Notar unterfertigte Testamentsurkunde lesen und verstehen konnte.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Schriftstücke seien zwar von einem gewissen „Karl" unterzeichnet worden, dabei handle es sich aber nicht um den Erblasser, sondern um einen früheren Lebensgefährten der Angelika C*****. Im Übrigen sei die Lesefähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung schon aufgrund seines Persönlichkeitsabbaus seit 1949 nicht mehr gegeben gewesen.

Nach Durchführung eines Beweisverfahrens zum Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO stellte das Berufungsgericht fest, dass die Klägerin das Haus des Erblassers weiterhin bewohne und am 8. oder 9. Juni 2004 im Dachboden einen Koffer aufgefunden habe, als sie dort einen Wassereintritt habe reparieren wollen. In diesem Koffer habe sie unter anderem das letzte Blatt eines undatierten handschriftlich verfassten und mit „Karl" unterfertigten Briefes und eine mit 3. Mai 1949 datierte, an Angelika C***** gerichtete und ebenfalls mit „Karl" unterfertigte handschriftlich beschriebene Postkarte aufgefunden. Im Koffer habe sich auch eine Fotografie eines jungen Mannes befunden, die auf der Rückseite handbeschrieben mit November 1948 datiert und mit „Karl" unterfertigt sei. Es könne aber nicht festgestellt werden, ob der Erblasser Verfasser dieser Schriftstücke sei. Es stehe daher nicht fest, ob er diese Schriftstücke eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe. Zu diesen Feststellungen gelangte das Berufungsgericht aufgrund einer eingehenden Würdigung aller Verfahrensergebnisse; es hatte auch ein graphologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Rechtlich führte es aus, die Beweislast für die Eignung der geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe, eine günstigere Entscheidung herbeizuführen, treffe die Wiederaufnahmsklägerin. Die Negativfeststellung über die Urheberschaft des Erblassers hinsichtlich der als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Schriftstücke gehe zu Lasten der Klägerin. Die Wiederaufnahmsklage sei abzuweisen.

Die Revision macht geltend, dem Wiederaufnahmebegehren sei schon dann stattzugeben, wenn die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet seien, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen; es reiche aus, dass die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses bestehe. Anhand der vorliegenden neuen Beweisergebnisse könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Erblasser auch Urheber der nachträglich aufgefundenen Schriftstücke sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die gemäß § 535 ZPO bei ihm eingebrachte Wiederaufnahmsklage ist nur mit Revision anfechtbar (stRsp RIS-Justiz RS0044932; Kodek in Rechberger ZPO² § 535 Rz 1). Ihre Zulässigkeit ist nach § 502 ZPO zu prüfen (2 Ob 202/02y). Der Entscheidungsgegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens ist in der Regel identisch mit jenem des früheren Verfahrens (6 Ob 349/04y), woraus die ständige Rechtsprechung ableitet, dass eine neuerliche Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Gericht zweiter Instanz nicht erforderlich ist (Kodek in Rechberger ZPO² § 500 Rz 5; SZ 64/172; Rz 1995/84; RdW 2003/125). Auf die gegenteilige Auffassung Jelineks (in Fasching Zivilprozessgesetze 4/1² § 533 Rz 34) braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Seine auf Rechtssicherheit gegründeten Argumente, wonach die Aufhebung des Berufungsurteils des Vorprozesses auch den Bewertungsausspruch vernichte und dieser daher nachzuholen sei, kommt im vorliegenden Fall gerade nicht zum Tragen. Dass das Berufungsgericht entgegen § 500 Abs 2 ZPO einen ausdrücklichen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nicht getroffen hat, schadet angesichts der Höhe des Entscheidungsgegenstands im wiederaufzunehmenden Vorprozess (jener des Wiederaufnahmsverfahrens ist hier mit diesem identisch) nicht. Im Übrigen gibt das Berufungsgericht zu erkennen, dass es die Revision für zulässig hält.

Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Frage, ob die aufgefundenen Urkunden tatsächlich zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis geführt hätten, erst im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Behauptung, die Urkunden stammten vom Erblasser, richtig ist. Die Richtigkeit dieser Behauptungen muss von der Wiederaufnahmsklägerin bewiesen werden (stRsp RIS-Justiz RS0044478; 7 Ob 575/83). Die Klägerin macht geltend, die von ihr nachträglich aufgefundenen Briefe und Karten stammten vom Erblasser und könnten beweisen, dass dieser des Schreibens - und damit auch des Lesens - kundig gewesen sei. Sie konnte aber nicht beweisen, dass die vorgelegten Urkunden tatsächlich vom Erblasser stammten. Damit ist aber auch die (schon im Aufhebungsverfahren) zu prüfende Richtigkeit der Behauptungen über das Vorliegen der als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Umstände nicht bewiesen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Negativfeststellung zu Lasten der Klägerin gehe, bedeutet daher keine als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, ihre Rechtsmittelbeantwortung war daher der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dienlich. Das Rechtsmittel war als Revision zu behandeln, sodass auch für die Beantwortung (nur) der einfache Einheitssatz zugesprochen werden konnte.

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