OGH 13Os28/05z

OGH13Os28/05z15.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juni 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krammer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ali B***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. November 2004, GZ 42 Hv 50/03a-77, nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung des Verteidigers (§ 35 Abs 2 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der Angeklagte Ali B***** wurde der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/1) der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/2) und der versuchten Vergewaltigung nach (ergänze: § 15) § 201 Abs 2 StGB (II) sowie der Vergehen der versuchten Blutschande nach (ergänze: § 15) § 211 Abs 2 StGB (III), der versuchten Blutschande nach (ergänze: § 15) § 211 Abs 1 StGB (IV) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (V) schuldig erkannt.

Danach hat er in Schwarzau/Steinfeld in Bezug auf seine am 7. August 1987 geborene eheliche Tochter Sarah B*****

I) mit bzw an einer unmündigen Person

1.) in der Zeit von etwa 1991 bis Herbst 2000 in oftmaligen Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB durch Reiben seines erigierten Gliedes an den äußeren Geschlechtsteilen des Mädchens und Belecken derselben geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

2.) in der Zeit von ca Herbst 2000 bis 7. August 2001 in oftmaligen Angriffen den Beischlaf dadurch unternommen, dass er sie mit seinem erigierten Glied vaginal zu penetrieren suchte;

II) im Mai 2002 außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt durch Duldung des Beischlafs dadurch zu nötigen versucht, dass er die Hände der am Rücken Liegenden festhielt und sie anschließend würgte;

III) durch die zu I/2 genannten Handlungen sowie in der Zeit vom 8. August 2001 bis Mitte November 2002 auf die zu I/2 geschilderte Weise eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf zu verführen versucht;

IV) durch die zu II genannte Handlung mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf zu vollziehen versucht;

V) durch die zu I, II und IV genannten Handlungen sein minderjähriges

Kind zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Abweisung des Antrages auf Durchführung eines „Ortsaugenscheines" in der ehemaligen ehelichen Wohnung in Schwarzau am Steinfeld zum Beweis dafür, dass es sich bei dieser Wohnung um eine nur 75 m2 kleine, schlecht schallisolierte Wohnung handelt, in der Geräusche in einem Zimmer in den anderen Räumlichkeiten der Wohnung deutlich hörbar und keinesfalls überhörbar sind, insbesondere jene Geräusche, die sich nach dem Tagebuch und nach den Aussagen der Sarah B***** bei den von dieser behaupteten Missbrauchshandlungen ergeben haben sollen, hier insbesondere Geräusche von Schlägen gegen Kopf und Schenkel, dabei ausgestoßene Schmerzenslaute der Sarah B***** und auch Geräusche des Gehens von einem Zimmer in das andere.

Die Aufnahme dieses Beweises konnte, wie das Erstgericht insbesondere im Hinblick auf die „einen ausgesprochen tiefen Schlaf" bekundenden Angaben der als Zeugin vernommenen Kindesmutter zutreffend darlegte, ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben. Zudem wurde im Beweisantrag (S 51, 52/III) nicht behauptet, dass zu den Tatzeiten stets aufmerksame Ohrenzeugen in der Wohnung waren. Soweit die Beschwerde vorbringt, die Tatrichter hätten bei ihrer abweislichen Entscheidung die Anwesenheit des Zeugen David B***** in der Tatwohnung übergangen, der angegeben hätte, „er habe am Abend nicht gut schlafen können und auch so getan, als ob er schlafen würde, wenn der Angeklagte aus dem Bett aufstand" (S 327, 331/I) ist nichts zu gewinnen: Lässt sie doch unberücksichtigt, dass dies nur „manchmal" zutraf (S 335/I).

Der Antrag auf Einholung eines jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachtens (S 53/III) zum Beweis dafür, „dass das völlig normale Empfinden der Sarah B*****, insbesondere deren aus dem Tagebuch hervorgehender intensiver Wunsch nach Erfüllung sexueller Wünsche, den behaupteten sexuellen Missbrauch durch ihren Vater ausschließt, und dass die Genannte unter einer erheblichen pubertären Persönlichkeitsentwicklungsstörung leidet, die zu unwahren Behauptungen eines sexuellen Missbrauchs durch den Vater führe", verfiel ebenfalls zutreffend der Abweisung. Die Beschwerde zeigt - wie die Tatrichter richtig ausführten - keine Mängel oder Widersprüche des vorliegenden ohnehin auch darüber erstatteten psychologischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. F***** iSd §§ 125 f StPO auf, die im Übrigen darauf verwies, dass der Begriff „pubertäre Persönlichkeitsentwicklungsstörung" der Fachterminologie fremd ist (S 57/III). Soweit die Beschwerde das psychologische Gutachten „in Zweifel zieht", geschieht dies unsubstantiiert. Auch legt die Rüge nicht dar, wie ein Sachverständiger aus dem Gebiet der Psychiatrie, die sich mit der Diagnose, Therapie und Prävention - gegenständlich weder indizierter (S 481/I) noch vom Beweisthema erfasster - psychischer Erkrankungen wie zB Geisteskrankheiten, Psychosen, Schizophrenie oder Schwachsinn befasst, zur Wahrheitsfindung beitragen sollte. Die Frage nach einem Zusammenhang zwischen erlebten langjährigen Missbrauchshandlungen und einer daraus resultierenden - bei Sarah B***** nicht festgestellten - Störung des sexuellen Empfindens und sexueller Bedürfnisse ist vielmehr vom Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychologie, das ist die Wissenschaft von Erleben und Verhalten lebender Organismen, insbesondere des Menschen, zu beantworten; hiezu führte die vom Erstgericht beigezogene Dr. F***** auf Grund ihres Sachwissens und auf Grund ihrer Kenntnis der Fachliteratur aus, dass derartige Störungen zwar möglich sind, aber nicht zwingend eintreten (S 57/III).

Soweit die Nichtzulassung von Fragen an die Sachverständige gerügt wird (S 19/III f), fehlt es schon an einer formellen Voraussetzung, weil nach der jeweiligen Entscheidung des Vorsitzenden unterlassen wurde, einen Senatsbeschluss über die Zulässigkeit der jeweiligen Fragen einzuholen, und daher keine Entscheidung des Gerichtshofes hierüber vorliegt (13 Os 110/02, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 303). Im Übrigen ist das Beschwerdevorbringen, die Fragen seien anders zu verstehen gewesen, prozessual verspätet.

Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der Großeltern des Opfers, Johann und Anna B***** (S 55/III), zum Beweise dafür, dass Sarah B***** zwischen 1993 und 1998 regelmäßig nach der Schule bei den Großeltern aufhältig war, von der Mutter abgeholt und nach Hause gebracht wurde und nur fallweise alleine in der elterlichen Wohnung anwesend war, weswegen schriftliche Aufzeichnungen im Tagebuch und die Aussage des Opfers, laufend, wöchentlich, nahezu täglich vom Vater missbraucht worden zu sein, falsch wären, verfiel zutreffend der Abweisung, da selbst ein dem vorgebrachten Thema entsprechendes Beweisergebnis kein den Beschwerdeführer entlastendes Indiz ergäbe. Dieser gab nämlich zu, mit den Kindern allein in der Wohnung gewesen zu sein (S 35 f/III). Darüber hinaus nahm er nach den Ausführungen seines Opfers die inkriminierten Handlungen nicht nur nach der Schule, sondern auch zu anderen Zeitpunkten, beispielsweise in der Nacht, sogar in Anwesenheit der jeweils schlafenden anderen Familienmitglieder vor.

Von der in diesem Zusammenhang begehrten (S 51/III) Vernehmung informierter Vertreter der Firmen P***** und E***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte von 1991 bis 1998 ständig Nachtschicht hatte und jeweils nur die Nächte von Samstag auf Sonntag zu Hause verbrachte, konnte gleichfalls ohne Verletzung von Verteidigungsrechten Abstand genommen werden, gab doch der Beschwerdeführer selbst bloß an, „viel Nachtschicht gearbeitet" zu haben (S 41/III), wobei die Tatrichter ohnehin von wiederholten Nachtschichtarbeiten ausgingen. Nach den aktenkundigen Versicherungszeiten (S 77 ff/III) war der Beschwerdeführer während des Tatzeitraumes auch nicht ausschließlich bei den Firmen P***** (im Wege der Firma M***** [S 61/III]) und E***** beschäftigt, sodass der Beweisantrag von vornherein ins Leere geht.

Ebenfalls ohne prozessuale Grundlage zeigt sich die Kritik an der angeblichen gegen den Antrag der Verteidigung nur bis zur Eintragung vom 13. Mai 2001 erfolgten Verlesung des Tagebuchs des Tatopfers. Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll wurden nämlich - obschon der Verteidiger während der Befragung der Sachverständigen noch auf den Antrag der Verlesung des gesamten Tagebuches hingewiesen hatte (S 33, 51/III) „explizit keine weiteren Verlesungen - insbesondere aus dem Tagebuch" - beantragt, inhaltlich somit hierauf verzichtet bzw der Antrag zurückgezogen.

Im Übrigen gingen die Tatrichter ohnehin davon aus, dass der zu Schuldspruchpunkt II beschriebene Versuch der (außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB) gewaltsame Nötigung zur Duldung des Beischlafs „in den Tagebucheintragungen keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat" (US 24). Das Motiv für das Unterbleiben solcher Eintragungen ist kein für den Schuldspruch entscheidender und somit nicht aufklärungsbedürftiger Umstand.

Ebenfalls keine entscheidungswesentlichen Tatsachen werden von der Mängelrüge mit der Kritik an den angeblich offenbar unzureichend begründeten Feststellungen (Z 5 vierter Fall) angesprochen, wonach weder David B*****, der Bruder des Opfers, noch dessen Mutter die inkriminierten Übergriffe wahrgenommen hätten. Im Übrigen finden diese in Zweifel gezogenen Erwägungen der Tatrichter in den aktenmäßig belegten Aussagen der genannten Zeugen (US 27) zureichende Deckung.

Der Einwand, dass der am 31. Mai 1984 geborene (ON 23) David B***** in jenem Tatzeitraum, in dem er ein Zimmer mit seiner Schwester Sarah teilte, kein Kleinkind, sondern rund sieben bis 10 Jahre alt war, betrifft keine entscheidende Tatsache. Die Depositionen dieses Zeugen enthielten keine Wahrnehmungen zum Tatgeschehen, oder werden nur zur Untermauerung des generell aggressiven Verhaltens des Beschwerdeführers herangezogen (US 26 f).

Die die Argumente der Verfahrens- und Mängelrüge weitwendig wiederholende Tatsachenrüge (Z 5a) vermag keine erheblichen Bedenken an der Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Feststellungen zu erwecken. Dies in Anbetracht der Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Richard S***** (ON 24 iVm S 399 ff/II) und des gynäkologischen Sachverständigen Dr. Norbert St***** (ON 35) sowie der in den Grundzügen gleich vorgebrachten Anschuldigungen der Sarah B***** gegenüber ihrer Schulfreundin Lisa Bö***** (S 353 ff/II), der Vertrauenslehrerin Mag. Waltraud K***** (S 461 ff/II) und der Mutter Michaela B***** (ON 22 iVm S 39 ff/I) sowie in einem an die Mutter gerichteten Schreiben (S 37/I), weiters anlässlich der Anzeigeerstattung (S 21 ff/I) und im Rahmen der kontradiktorischen Zeugenvernehmung (ON 19), wobei das Gutachten der jugendpsychologischen Sachverständigen Dr. F***** der genannten Belastungszeugin aus jugendpsychologischer Sicht Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit attestiert und die Befundung keine Hinweise auf pathologische Lügenhaftigkeit oder auch pseudologistisches Verhalten oder auf eine aussageverzerrende bzw aussageverfälschende Beeinflussung der Jugendlichen durch die Lektüre des Buches „Der Aufschrei" von Truddi Chase ergibt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war - in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur - demnach schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), über die Berufung des Angeklagten hat somit das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden (§ 285i StPO).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der Annahme echter Konkurrenz zwischen dem Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB in der vor dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung und dem Vergehen des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB ausgehend von der Feststellung, dass der Beschwerdeführer aus Zorn darüber, dass sich seine Tochter nicht willfährig seinen geschlechtlichen Zwecken zur Verfügung stellte und durch die Worte „bleib locker, stell dich nicht so an" sie gefügig zu machen versuchte und, als dies nicht fruchtete, sie am Hals würgte, um an ihr einen Geschlechtsverkehr durchführen zu können, ein rechtlicher Fehler nicht anhaftet, da das Autoritätsverhältnis die eingesetzte Gewalt zur Willensbeeinflussung verstärkte und die Autorität des Täters auch mitbestimmend für die Entstehung der Tatsituation sowie deren gesamte Ausführung war (Schick in WK2 § 212 Rz 15). Zur Verurteilung wegen des Vergehens des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB ist weiters festzuhalten, dass diese nach dem Wortlaut des Urteilsspruches auf die vor dem 1. Mai 2004 in Geltung stehende Fassung der genannten Gesetzesstelle gestützt wird.

Dem in § 212 Abs 1 Z 1 StGB nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/15, verwendeten Begriff der Vornahme geschlechtlicher Handlungen mit einer in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person kommt in Ansehung der konkreten Stellung des Beschwerdeführers als Vater derselbe Bedeutungsinhalt zu wie dem Ausdruck „Missbrauch eines minderjährigen Kindes zur Unzucht" in der vor dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung. Da § 212 Abs 1 StGB in der vor und nach dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung als Sanktion jeweils Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, ist das zur Tatzeit geltende Gesetz nicht günstiger als das im Urteilszeitpunkt gültige Gesetz. Es hätte daher richtigerweise § 212 Abs 1 Z 1 StGB in der seit 1. Mai 2004 geltenden Fassung zur Anwendung kommen müssen. Mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten aus der Verurteilung nach § 212 Abs 1 StGB in der vor dem 1. Mai 2004 geltenden Fassung besteht jedoch kein Anlass für ein amtswegiges Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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