OGH 8Ob52/05p

OGH8Ob52/05p30.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna W*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Rudolf Kathrein, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Erwin Kröll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 15 Cg 71/97m des Landesgerichtes Innsbruck (Streitwert EUR 72.672,38 sA), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 2. März 2005, GZ 1 R 34/05t-17, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. November 2004, GZ 15 Cg 168/03p-13, aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.852,92 bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin EUR 308,82 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichtes vom 22. 5. 2002, 15 Cg 71/97m-46, wurde ein gegen die damals beklagte Wiederaufnahmsklägerin erlassener Wechselzahlungsauftrag aufrechterhalten und sie zur Zahlung von EUR 72.672,83 sA verurteilt. Dem Urteil lag die Feststellung zugrunde, dass die nunmehrige Klägerin im Zeitpunkt der Unterfertigung eines Kreditvertrags vom 31. 7. 1995 und eines Blankowechsels vom 31. 7. 1995 geschäftsfähig war. Diese Feststellung wurde mit einem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Prim. Univ. Doz. Dr. H***** vom 27. 3. 2002 begründet.

Die Klägerin begehrt nunmehr die Wiederaufnahme dieses Verfahrens und begründet dies mit einem Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. K*****, das im Zuge eines beim Bezirksgericht Innsbruck anhängigen Scheidungsverfahren eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten sei die Klägerin 1993 bis 1995 psychisch krank und damit geschäftsunfähig gewesen. Das nunmehr vorliegende Gutachten beruhe auf eine breiteren Befundunterlage als das im wiederaufzunehmenden Verfahren eingeholte Gutachten. Es sei dem Sachwalter am 4. 7. 2003 zugestellt worden, sodass die am 2. 9. 2003 eingebrachte Wiederaufnahmsklage unter Berücksichtigung der verhandlungsfreien Zeit rechtzeitig sei.

Die wiederaufnahmsbeklagte Partei bestritt das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes und die Rechtzeitigkeit der Klage. Das Erstgericht wies das Klagebegehren - nach Durchführung einer Verhandlung und Aufnahme von Beweisen - ab. Es ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass das nunmehr ins Treffen geführte Gutachten unrichtig und nicht geeignet sei, die Feststellungen des Urteils im wiederaufzunehmenden Verfahrens zu erschüttern. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat es die Auffassung, dass ein neues Gutachten nur einen Wiederaufnahmsgrund verwirkliche, wenn es auf einer neuen wissenschaftlichen Methode beruhe, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Hauptverfahren noch nicht bekannt gewesen sei. Selbst wenn man aber die Auffassung vertrete, dass ein Wiederaufnahmsgrund auch vorliege, wenn das Gutachten im Hauptprozess auf einer unzulänglichen Grundlage beruhe, ändere dies an der mangelnden Berechtigung der Wiederaufnahmsklage nichts, weil das neue Gutachten nach den Feststellungen nicht geeignet sei, eine Änderung der Beweiswürdigung zu bewirken.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hob das Berufungsgericht aus Anlass der Berufung der Klägerin dieses Urteil auf und wies die Wiederaufnahmeklage zurück.

Das Fehlen der Voraussetzungen der Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage sei in jeder Lage des Verfahrens - auch von Amts wegen - wahrzunehmen. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen zähle auch die Rechtzeitigkeit, wobei die Klage nicht nur bei erwiesener Verspätung, sondern bereits mangels Glaubhaftmachung ihrer Rechtzeitigkeit zurückzuweisen sei. Stütze sich die klagende Partei auf ein neues Gutachten, müsse sie die Rechtzeitigkeit der Klage nicht nur im Hinblick auf das neue Sachverständigengutachten, sondern auch im Hinblick auf die Umstände behaupten und bescheinigen, die die Eignung als neues Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO begründen sollen. Fehle es an entsprechenden Behauptungen, sei die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen.

Hier hätte die Klägerin behaupten und beweisen müssen, warum sie das geltend gemachte Beweismittel nicht schon früher hätte benützen können. Die in der Klage angeführten Grundlagen des neuen Gutachtens datierten - mit Ausnahme zweier Befundberichte - alle vor dem Zeitpunkt der Erstattung des im Vorprozess eingeholten Gutachtens. Die beiden Befundberichte kämen aber als beachtliche Grundlagen von vornherein nicht in Betracht. Die Klägerin habe im Übrigen auch den Inhalt der von ihr behaupteten neuen Grundlagen nicht angegeben, sodass ihre mögliche Einflussnahme auf das Gutachten nicht nachvollziehbar sei. Sie habe auch nicht behauptet, dass ihr die nunmehr aufgezählten Grundlagen im Vorverfahren nicht zur Verfügung gestanden seien bzw dass sie ihr erst mit der Zustellung des neuen Gutachtens bekannt geworden seien. Fehle es an entsprechenden Behauptungen, sei die Wiederaufnahmsklage schon im Vorprüfungsverfahren zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin. Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes erweist sich schon deshalb als zutreffend, weil die Klägerin in ihrer Klage keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht hat. Der von der Klägerin geltend gemachte Wiederaufnahmegrund der neuen Tatsachen und Beweismittel (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) soll der materiellen Wahrheit in jenen Fällen zum Durchbruch verhelfen, in denen die tatsächliche Entscheidungsgrundlagen (Urteilstatbestand) unrichtig oder unvollständig waren (9 Ob 7/05b; 10 ObS 169/93f mwN). Ein nachträglich beigebrachtes Gutachten ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich keine neue Tatsache, wenn das Thema des Gutachtens bereits im Hauptprozess bekannt war (RIS-Justiz RS0044834; 9 Ob 7/05b). Die gegenteilige Ansicht hätte nämlich zur Folge, dass Prozesse in denen ein Sachverständigenbeweis beantragt hätte werden können, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei nachträglich ein ihrem Standpunkt günstiges Gutachten vorlegen kann, aber auch Prozesse in welchen ein Sachverständigenbeweis bereits durchgeführt wurde, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei ein Gutachten vorlegt, das von dem des bestellten Sachverständigen abweicht (9 Ob 7/05b; 10 ObS 169/03f). Richtig ist allerdings, dass nach einzelnen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs einem nachträglichen Gutachten ua dann die Eignung als Wiederaufnahmsgrund nicht von vornherein abgesprochen werden kann, wenn das im Hauptprozess erstattete Sachverständigengutachten auf einer unzulänglichen Grundlage erstattet wurde (9 Ob 7/05b; 10 ObS 169/03f).

Von einem Wiederaufnahmsgrund iS der zuletzt wiedergegebenen Entscheidungen kann aber nur dann die Rede sein, wenn die Unzulänglichkeit der Grundlagen des im Hauptprozesses eingeholten Gutachtens nicht nur unsubstantiiert behauptet, sondern durch konkretes und schlüssiges Vorbringen dargetan wird (vgl etwa 10 ObS 169/03f - Widerruf der dem Gutachten zugrunde liegenden Aussage eines Arztes; 9 Ob 7/05b - keine Befundung wesentlicher MRT-Folien durch den Sachverständigen). Davon kann aber - wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - hier überhaupt nicht die Rede sein. Vielmehr beschränkt sich die Wiederaufnahmsklägerin auf die Aufzählung einer Reihe von „Grundlagen" (einige Untersuchungs- und Befundberichte, die sämtlich einige Jahre nach dem hier maßgebenden Zeitraum erstellt wurden, sonst im Wesentlichen Gerichtsakten und Parteieingaben), ohne dass in irgendeiner Weise erklärt wird, in welcher Weise der (nicht dargelegte) Inhalt dieser „Grundlagen" für die Begutachtung bedeutsam sein solle. Dieser Aufzählung wird die Behauptung gegenüber gestellt, dass dem Gutachter des Hauptprozesses weniger an Grundlagen zur Verfügung gestanden sei (Studium des Aktes, Vorgutachten, psychiatrische Untersuchung und Befragung der Klägerin durch den Sachverständigen). Daraus wird aber in keiner Weise ersichtlich, dass ein für die Begutachtung wesentlicher Umstand unbeachtet geblieben bzw den aufgezählten „weiteren Grundlagen" irgend ein Aspekt zu entnehmen sei, der vom zunächst beigezogenen Sachverständigen nicht berücksichtigt wurde. Dass das im Hauptprozess erstattete Sachverständigengutachten auf einer unzulänglichen Grundlage erstattet worden sein soll, ist diesem Vorbringen in keiner Weise zu entnehmen. In diesem Sinn spricht die Klägerin in ihrer Klage auch gar nicht von einer unzulänglichen Grundlage, sondern von einer nunmehr „erweiterten Grundlage". Damit wird aber kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht.

Wird in der Wiederaufnahmsklage kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund behauptet, ist sie unzulässig. Das Fehlen von Zulässigkeitsvoraussetzungen ist in jeder Lage des Verfahrens - auch von Amts wegen - wahrzunehmen (1 Ob 270/98g; EvBl 1998/149; EvBl 1972/87 ua).

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