OGH 6Ob328/04k

OGH6Ob328/04k21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jeannine S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Bernt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gabriela S*****, vertreten durch Freund & Kleiber, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. September 2004, GZ 39 R 180/04s-27, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 15. März 2004, GZ 8 C 1557/03y-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, das von ihr mitbenützte Haus in S*****, geräumt von allen Fahrnissen an die klagende Partei zu übergeben, abgewiesen wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 1.057,52 EUR (darin 149,90 EUR Umsatzsteuer und 158 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 543,14 EUR (darin 72,86 EUR Umsatzsteuer und 106 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 459,10 EUR (darin 50,02 EUR Umsatzsteuer und 159 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten. Beide bewohnen ein einer Genossenschaft gehöriges Haus mit einer Wohnfläche von 115 m2. Zu Lebzeiten des Vaters der Klägerin und Gatten der Beklagten war dieser Nutzungsberechtigter. Er verstarb im Dezember 1998. In seinem Testament setzte er die Tochter zur Universalerbin ein und vermachte seiner Gattin das lebenslängliche Wohnrecht. Der Nachlass wurde der Tochter an Zahlungs statt überlassen. Die Beklagte beantragte bei der Genossenschaft die Übertragung der Nutzungsrechte am Haus. Bei einem Gespräch zwischen den Prozessparteien und dem Bruder der Klägerin erklärte sich die Beklagte damit einverstanden, dass die Tochter die Nutzungsrechte am Haus erhält. Der Bruder der Klägerin sagte der Beklagten zu, dass ihr „nichts passieren" werde, „sie könne weiterhin im Haus wohnen". Die Parteien vereinbarten, dass der monatliche Zins von 2.500 S von der Klägerin bezahlt wird und das die Beklagte für die gesamten Strom- und Gaskosten aufkommt. Am 1. 6. 1999 wurde zwischen der Genossenschaft und der Klägerin ein Nutzungsvertrag abgeschlossen. Nach dem Einzug des Lebensgefährten der Klägerin und dessen Kind kam es zwischen den Parteien zu Auseinandersetzungen. Die Klägerin erwirkte eine rechtskräftige einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO. Der Beklagten, gegen die von der Polizeibehörde ein Wegweisungsauftrag nach dem PSG erteilt worden war, wurde die Rückkehr in das Haus für die Dauer von drei Monaten und für den Fall der Einbringung einer Räumungsklage bis zur rechtskräftigen Beendigung des Räumungsverfahrens verboten.

Mit ihrer Räumungsklage vom 3. 10. 2003 beantragte die Klägerin die geräumte Übergabe des von der Beklagten mitbenützten Hauses wegen deren unleidlichen Verhaltens.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch Folgendes fest:

Kurz nach dem Einzug des Lebensgefährten der Klägerin sei es zwischen den Parteien regelmäßig zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen gekommen, in denen sich die Streitteile wechselseitig - auch auf ordinäre Weise - beschimpft hätten. Die Klägerin habe der Beklagten deren regelmäßigen Alkoholkonsum vorgeworfen. Ein besonders verwerfliches Verhalten einer der Streitteile als Grund für die wechselseitigen Beschimpfungen könne nicht festgestellt werden. Zwischen Mutter und Tochter hätte kein herzliches Verhältnis bestanden. Die Klägerin habe die Mutter als lästig empfunden, was diese zum Anlass genommen habe, den Lebensgefährten der Tochter anzufeinden. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte hätten die Beklagte wiederholt aufgefordert, das Haus zu verlassen und hätten die Türe zum WC verschlossen, wodurch die Beklagte gelegentlich genötigt gewesen sei, ihre Notdurft im Vorgarten zu verrichten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass ein familienrechtliches Wohnverhältnis noch keinen ausreichenden Benützungstitel darstelle. Es sei Sache des Benützers, ein vertraglich eingeräumtes Benützungsrecht nachzuweisen. Ein entgeltliches Mietrecht habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Es liege aber auch kein jederzeit widerrufliches Precarium vor. Hier könne aber eine Leihe vorliegen, also eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung ohne Bestimmung der Dauer des Rechtsverhältnisses. Mangels ausdrücklicher Bestimmtheit über den Ablauf der Entlehnzeit sei hier in Auslegung der Willenserklärungen davon auszugehen, dass sich die Klägerin mit dem Mitwohnen ihrer Mutter im selben Haus nur bis zum Zeitpunkt des Eingehens einer Lebensgemeinschaft einverstanden erklärt habe. Dies entspreche der allgemeinen Lebensauffassung. Eine Fortführung der gemeinsamen Benutzung des Hauses sei nicht zumutbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Bei der Auslegung der Willenserklärungen der Parteien komme es nicht auf den Willen des Erblassers über die Einräumung eines lebenslänglichen Wohnrechts zugunsten der Beklagten an. Als bloß Nutzungsberechtigter des Hauses sei er zu einer solchen letztwilligen Verfügung nicht berechtigt gewesen. Aus den Gesprächen der Parteien sei die Einräumung eines lebenslänglichen unentgeltlichen Wohnrechts der Beklagten nicht ableitbar. Ob das Mitbenützungsrecht der Beklagten im Wege eines Leihvertrages eingeräumt worden sei, könne dahingestellt bleiben. Es liege ein wichtiger Grund für die Auflösung des Dauerschuldverhältnisses vor. Schon der festgestellte übermäßige Alkoholkonsum der Beklagten und die damit einhergehenden heftigen verbalen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen rechtfertigten die Auflösung des Mitbenützungsrechts.

Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, dass die Räumungsklage abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die Klägerin beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Wohl sind keine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehenden Rechtsfragen allgemeiner Bedeutung zu lösen, es ist aber aufgrund von Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit in die meritorische Prüfung der Sache einzutreten, weil die Bejahung eines wichtigen Grundes für die Auflösung des Dauerschuldverhältnisses in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Deckung findet. Die Revision ist daher auch berechtigt.

Unter nahen Familienangehörigen kann ein obligatorisches Wohnungsrecht auf Lebenszeit vereinbart werden. Dabei werden an die Bestimmtheit der Willenserklärungen nicht die Anforderungen gestellt, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist (RIS-Justiz RS0020488). Bei der Abgrenzung zwischen widerruflichen, bloß auf dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entstandenen Wohnverhältnissen gegenüber einem auf vertraglicher Grundlage beruhenden Benützungsrecht ist es Sache des Benützers, das Vorliegen eines Rechtstitels zu beweisen (RS0020500, zuletzt 3 Ob 71/01i). Dieser Beweis ist der Beklagten nach den getroffenen Feststellungen auch gelungen:

Beim Gespräch zwischen den Parteien und dem Bruder der Klägerin ging es darum, wer von der Genossenschaft das Nutzungsrecht am Haus eingeräumt erhalten solle. Wenn die Beklagte zugunsten der Klägerin zurücktrat und ihr gleichzeitig zugesichert wurde, dass sie weiterhin im Haus wohnen dürfe und ferner gleichzeitig auch eine Willenseinigung über die Tragung der Fixkosten (Zins und Betriebskosten) erzielt wurde, kann nicht mehr von einem jederzeit widerruflichen, rein familienrechtlichen Wohnverhältnis ausgegangen werden. Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen ist für die Bejahung eines rechtsgeschäftlichen Parteiwillens auch das „Vermächtnis" des Erblassers maßgeblich, auch wenn dieser ohne Zustimmung der Genossenschaft der Beklagten die Nutzungsrechte nicht mit Legat übertragen konnte. Seine Anordnung kann aber in Richtung einer der Klägerin als Universalerbin erteilten Auflage im Sinn einer Verwendung bei der Genossenschaft zugunsten der Mutter verstanden werden. Jedenfalls war den Parteien der Wille des Verstorbenen bewusst und ist ohne entsprechende Parteibehauptungen für den Regelfall anzunehmen, dass die Bedachten dem Willen des Erblassers auch entsprechen wollten. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine rechtsgeschäftliche Willenseinigung der Beteiligten geradezu naheliegend und nach den getroffenen Feststellungen auch zu bejahen. Der Beklagten, die das Haus seit 1976 bewohnte, wurde vertraglich das obligatorische Wohnrecht zumindest an den von ihr zum Zeitpunkt der Vertragsgespräche allein benutzten Teil der Wohnfläche und das Mitbenützungsrecht (an den sanitären Räumlichkeiten) eingeräumt.

Dauerschuldverhältnisse können aus wichtigem Grund aufgelöst werden (RIS-Justiz RS0018305). Das von der Klägerin geltend gemachte unleidliche Verhalten der Beklagten, das bei den nicht dem MRG unterliegenden Bestandverhältnissen unter den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB fiele (RS0020956), könnte zwar auch bei einem auf vertraglicher Basis unter nahen Verwandten begründeten, auf Dauer (Lebenszeit) vereinbarten obligatorischen Rechtsverhältnis über die Benützung eines Hauses zur Auflösung des Dauerschuldverhältnisses führen. Einen solchen wichtigen Grund hat die beweispflichtige Klägerin aber nicht nachgewiesen. Nach den Feststellungen steht hier nur ein beiderseitiges, jeweils die Sphäre des anderen verletzendes Verhalten fest, ohne dass ein Überwiegen des Verschuldens auf einer Seite feststellbar wäre. Die gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen, bei der auch die Frage der Beschaffbarkeit einer Ersatzwohnung eine Rolle spielt, führt zu dem Ergebnis, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für die Klägerin zumutbar ist. Der vom Berufungsgericht herangezogene Auflösungsgrund eines „übermäßigen" Alkoholkonsums der Beklagten wurde vom Erstgericht in dieser Form nicht festgestellt und steht mit dessen weiterer Negativfeststellung in Widerspruch, das „ein besonders verwerfliches Verhalten einer der Streitteile als Grund für die wechselseitigen Beschimpfungen" nicht festgestellt werden könne.

Die Urteile der Vorinstanzen sind daher im Sinne einer Abweisung des Räumungsbegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, diejenige über die Kosten beider Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 Abs 1 ZPO.

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