OGH 15Os36/05s

OGH15Os36/05s21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer in der Strafsache gegen Miroslav S***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster und zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 271 Ur 397/04b des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Miladin M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 16. Februar 2005, AZ 17 Bs 32/05p (ON 89), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Aus Anlass der Beschwerde wird festgestellt, dass Miladin M***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Text

Gründe:

Miroslav S***** befindet sich seit dem 18. Jänner 2005 beim Landesgericht für Strafsachen Wien in Untersuchungshaft (ON 42). Der Beschwerde des Beschuldigten gegen den Fortsetzungsbeschluss des Untersuchungsrichters vom 28. Jänner 2005 (ON 78) gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss mit der Maßgabe nicht Folge, dass die Untersuchungshaft lediglich aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt wird.

Demnach besteht der dringende Verdacht, Miladin M***** habe im Zeitraum von Anfang Dezember 2004 bis ca Mitte Jänner 2005 in Wien mit anderen, im Beschluss teils namentlich genannten Personen „die gemeinsame Ausführung von Raubüberfällen (§§ 142, 143 StGB) verabredet", wobei das Oberlandesgericht festhielt, „dass der Beschuldigte nach eigenen Angaben zwei Mal bei der Auskundschaftung von zu Raubüberfällen geeigneten Billa-Filialen vor Ort zugegen und sogar als unmittelbarer Täter vorgesehen war" (S 257/II). Die Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht wurden dem Tatbestand des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs 1 StGB subsumiert.

Die Grundrechtsbeschwerde macht zum einen geltend, die den Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht zugrunde liegende Beweiswürdigung des Oberlandesgerichtes sei unvollständig und unzureichend (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 zweiter und vierter Fall StPO), zum anderen, die rechtliche Unterstellung der konstatierten Verdachtslage unter den Tatbestand des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs 1 StGB sei verfehlt (Z 9 lit a).

Rechtliche Beurteilung

Die Einwände sind nicht stichhältig.

Entgegen der Beschwerde setzte sich das Oberlandesgericht mit der Frage der Bestreitung eines Teilnahmewillens, die der Beschuldigte der polizeilichen Vernehmung vom 15. Jänner 2005 zufolge durch verschiedene „Ausreden" gegenüber Miroslav S***** (= „Miki"), der ihn auf die gemeinsame Begehung von Raubüberfällen auf Billa-Filialen ansprach und später insofern auch bedrängte, zum Ausdruck gebracht haben will (S 269 ff/I), sehr wohl auseinander. Es ging auf die diese Verantwortung stützende Aussage des Miroslav S***** ein, wonach der Beschwerdeführer bei der Befragung, ob er bei den Raubüberfällen „mitmachen" wolle, auf einen offenen Strafrest von 14 Monaten verwiesen habe (S 217/I), begründete aber mit den Hinweisen auf die gemeinsame Besichtigung zweier in Aussicht genommener Tatorte und auf die Aussage des Mitbeschuldigten Pavle M*****, wonach der Beschwerdeführer zuletzt bei den Überfällen „mitmachen" wollte (S 237/I), ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze (Z 5 vierter Fall), weshalb es dieser Verantwortung keine Glaubwürdigkeit beimaß.

Die als übergangen reklamierten (Z 5 zweiter Fall) Anhaltspunkte für eine Druckausübung durch Pavle S***** auf den Beschuldigten, um diesen zur Begehung eines Raubüberfalles zu bewegen, stehen dem nicht entgegen.

Mit der nach Meinung des Beschwerdeführers gegen die Annahme eines Raubkomplotts sprechenden Aussage des weiteren Tatverdächtigen Dragan C*****, den Beschwerdeführer nicht zu kennen (S 255/I), musste sich das Oberlandesgericht nicht auseinandersetzen. Für die rechtliche Annahme eines Komplotts im Sinn des § 277 Abs 1 StGB genügt die Willenseinigung von nur zwei Personen auf gemeinsame Ausführung eines Komplottdeliktes.

Von der behaupteten Unvollständigkeit der Begründung der Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht (Z 5 zweiter Fall) kann demnach keine Rede sein.

In den Konstatierungen des Beschwerdegerichtes zur Verdachtslage (S 3 f der Entscheidung) kommt zum Ausdruck, dass der Beschuldigte mit einem (oder mehreren) Komplizen die Begehung von Raubüberfällen ernstlich verabredete. Mit dem Einwand, die vom Oberlandesgericht getroffenen Sachverhaltsannahmen würden einen dringenden Tatverdacht nach § 277 Abs 1 StGB in rechtlicher Hinsicht nicht begründen, eine nur zum Schein vorgenommene Verabredung, bloß sondierende Vorgespräche oder bloße Geneigtheit zur Tatbegehung seien nicht als Verabredung im Sinn eines Komplotts (§ 277 Abs 1 StGB) zu beurteilen, weicht der Beschwerdeführer bei Behauptung eines dem Oberlandesgericht unterlaufenen Rechtsirrtums demnach von den Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht ab. Eine rechtsirrige Beurteilung wird damit nicht aufgezeigt.

Die Beschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur und insoweit entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Verteidigers ohne Kostenausspruch (vgl § 8 GRBG) abzuweisen.

Aus Anlass der Beschwerde war allerdings zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der in der Beschwerde nicht gerügte Umstand von Amts wegen aufzugreifen, dass die in der Beschwerdeentscheidung getroffenen Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht die rechtliche Beurteilung, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen das Verbrechen des verbrecherischen Komplotts nach § 277 Abs 1 StGB begründet wird, nicht verlässlich ermöglichen.

Nach § 277 Abs 1 StGB ist zu bestrafen, wer mit einem anderen die gemeinsame Ausführung einer der in dieser Bestimmung genannten strafbaren Handlungen verabredet. Der Begriff Ausführung wird in §§ 12 und 15 Abs 2 StGB gezielt zur Bezeichnung von unmittelbarer Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) im Unterschied zu Bestimmungs- und Beitragstäterschaft (§ 12 zweiter und dritter Fall StGB) verwendet. Für ein davon abweichendes Begriffsverständnis beim Vorbereitungsdelikt des § 277 Abs 1 StGB, das - an die Regelung der §§ 12 und 15 Abs 2 StGB anknüpfend - die Strafbarkeit über das Versuchsstadium hinaus erweitert (Fuchs AT I6 Rz 28/16), bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte.

Hätte die Verabredung zu gemeinsamer Begehung erfasst werden sollen, dann hätte sich der Gesetzgeber dieses Oberbegriffs aller drei Täterschaftsformen (vgl § 12 StGB) bedienen können. In den Materialien wird jedoch betont, dass es zwar zur Annahme eines Komplotts - was die Zahl der Personen betrifft - genügt, wenn zwei Personen die Begehung einer Straftat verabreden, aber zur Strafbarkeit nach § 277 Abs 1 StGB vorausgesetzt wird, dass die Komplottanten die Tat gemeinsam ausführen wollen (DokStGB 222).

Das Komplott nach § 277 Abs 1 StGB ist demnach eine strafbare Handlung im Vorfeld bestimmter, im Gesetz taxativ aufgezählter strafbarer Handlungen, welche „die Verabredung von mindestens zwei Personen zur gemeinsamen Ausführung (Mittäterschaft) eines bestimmten Delikts mit Strafe bedroht" (Fuchs AT I6 Rz 36/33). Eine Verabredung zu einem nicht in jeweils unmittelbarer Täterschaft (Mittäterschaft, § 12 erster Fall StGB) bestehenden Zusammenwirken genügt im Hinblick auf die Voraussetzung gemeinsamer Ausführung nicht (wie hier Steininger in WK² § 277 Rz 5 unter Ablehnung der dem Sprachgebrauch des StGB widerstreitenden Meinungen im Schrifttum; Eder, JBl 2000, 69 [74, 76] unter Hinweis auf die weiter reichende Formulierung der §§ 130 und 143 StGB: „unter Mitwirkung (§ 12 StGB)"; Fabrizy StGB8 § 277 Rz 2 mwN; 14 Os 22/03; idS auch die Äußerung des Beschuldigten zur Stellungnahme der Generalprokuratur). Lautet die Absprache dahin, dass der eine die Tat ausführen, der andere hiezu aber nur auf sonstige Weise beitragen soll, kommt demnach kein Komplott zustande (Steininger in WK² § 277 Rz 6).

Die der Beschwerdeentscheidung zu entnehmende Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachtes gibt mit dem Hinweis, dass der Beschuldigte als unmittelbarer Täter vorgesehen war, mangels konkreten Tatsachensubstrates zur Frage gemeinsamer Ausführung keinen Aufschluss über eine Verabredung von Mittäterschaft.

Durch die dennoch beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Dieser in der Beschwerde nicht geltend gemachte Umstand war zu Gunsten des Beschuldigten von Amts wegen aufzugreifen (§ 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO).

Da dem Obersten Gerichtshof eine abschließende Beurteilung auf Grund der ungenügenden Tatsachengrundlage verwehrt ist, hat der Untersuchungsrichter unter Beachtung der dargelegten Rechtsansicht umgehend neuerlich über die Haftfrage zu entscheiden (§ 7 GRBG; vgl 11 Os 115/04).

Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob ein dringender Tatverdacht in Richtung der Verabredung von mindestens zwei Personen zur gemeinsamen Ausführung (Mittäterschaft) besteht. Eine Verabredung zu einem nicht in jeweils unmittelbarer Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) bestehenden Zusammenwirken genügt wie dargelegt für die rechtliche Annahme eines Komplotts nicht.

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