Spruch:
Tuncay T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 EUR zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
Der türkische Staatsangehörige Tuncay T***** wurde am 27. Februar 2004 wegen des Verdachtes festgenommen, am 21. Februar 2004 in Wien zusammen mit fünf Mittätern das Verbrechen des schweren Raubes (unter Verwendung von Waffen) zum Nachteil von Verfügungsberechtigten der Firma O***** begangen zu haben, wobei Mustafa C***** und Mustafa B***** schwer verletzt wurden.
Mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 1. März 2004 wurde über T***** deswegen sowie wegen eines ihm weiters angelasteten Raubfaktums, nämlich des im Frühjahr 2003 unternommenen Versuchs, gemeinsam mit Cemil K***** und Hasan C***** den Geschäftsführer der Firma O*****, Mustafa B*****, zu berauben, die Untersuchungshaft nach § 180 Abs 1 und Abs 3 Z 1, 2 und 3 lit c StPO verhängt (ON 23). Nach Fortsetzung der Untersuchungshaft mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 19. März 2004 (ON 44) und Ausscheidung des Verfahrens wegen des versuchten Raubes (Beschluss vom 25. März 2003, ON 1 S 1) erhob die Staatsanwaltschaft wegen des ausgeschiedenen Faktums gegen Tuncay T***** und Hasan C***** Anklage (ON 58), welche hinsichtlich T***** durch dessen Einspruchsverzicht am 25. März 2004 rechtskräftig wurde (ON 67).
Mit Beschluss des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 25. Mai 2004 (ON 87) wurde die Untersuchungshaft über Tuncay T***** wegen Weiterbestehens des dringenden Tatverdachtes nicht nur der anklagegegenständlichen, sondern auch der Raubtat vom 21. Februar 2004 aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und c StPO fortgesetzt. Einen Enthaftungsantrag dieses Angeklagten wies der Schwurgerichtshof in der Hauptverhandlung vom 23. Juli 2004 mit (nicht ausgefertigtem) Beschluss "aus den bisherigen Haftgründen" ab (S 79/III).
Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde T*****s wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 12. August 2004 (ON 106) unter Hinweis auf den von der Gerichtskanzlei handschriftlich angebrachten Postaufgabevermerk vom 27. Juli 2004 (S 91/III) als verspätet zurückgewiesen. Zu einem Vorgehen nach § 114 Abs 4 StPO sah das Oberlandesgericht keine Veranlassung, weil "die Fortsetzung der Untersuchungshaft der Sach- und Rechtslage unter Bedachtnahme auf das einschlägig bescholtene Vorleben des Angeklagten (S 93 f/I) entspricht, Unverhältnismäßigkeit der seit dem 1. März 2004 andauernden Untersuchungshaft in Ansehung des relevanten Strafrahmens, der Bedeutung der Sache und dem Vorleben des Angeklagten nicht indiziert" sei, zumal sich die Voruntersuchung ursprünglich auf ein vollendetes und ein versuchtes Raubfaktum bezogen habe, "wobei letztgenanntes lediglich zur Vermeidung von Verzögerungen ausgeschieden wurde".
Gegen diesen (dem Verteidiger am 7. September 2004 zugestellten) Beschluss richtet sich die vorliegende Grundrechtsbeschwerde, in welcher zunächst die Rechtzeitigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des Schwurgerichtshofes durch Vorlage des Postaufgabescheins vom 26. Juli 2004 nachgewiesen und in der Sache ein durch die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft und das Fehlen jeglichen Haftgrundes gesetzwidriger Grundrechtseingriff behauptet wird.
Die für die Zulässigkeit der Grundrechtsbeschwerde erforderliche Ausschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 Abs 1 GRBG) ist infolge des Nachweises über die tatsächliche Rechtzeitigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss vom 23. Juli 2004 gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Die Grundrechtsbeschwerde ist im Recht.
Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zwar aktenkonform - wenngleich objektiv zu Unrecht - als verspätet zurückgewiesen, ist jedoch seiner Verpflichtung nach § 114 Abs 4 StPO zur amtswegigen Beseitigung wahrgenommener Verfahrensgebrechen nicht nachgekommen. Soweit es die Fortsetzung der Untersuchungshaft als der Sach- und Rechtslage entsprechend bezeichnet, vernachlässigt es, dass die Entscheidung des Schwurgerichtshofs mit dem bloßen Verweis auf die "bisherigen Haftgründe" (somit die im Beschluss vom 25. Mai 2004 [ON 87] angeführte Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und c StPO [S 79/III]), mangels Ausfertigung in Wirklichkeit keine überprüfbare Begründung iSd §§ 179 Abs 4, 182 Abs 3 StPO enthält.
In diesem Fall hätte der Gerichtshof zweiter Instanz dem Erstgericht die Herstellung einer begründeten Beschlussausfertigung auftragen müssen. Weil dies unterblieben und das Oberlandesgericht (wenngleich es grundsätzlich keiner Begründungspflicht für das Nichtvorliegen eines Verfahrensgebrechens nach § 114 Abs 4 StPO unterliegt) im speziellen Fall der den Gerichten gegenüber dem Beschuldigten bestehenden Begründungspflicht von Haftbeschlüssen auch nicht dadurch nachgekommen ist, dass es selbst die ua für die Gefahrenprognose zu den Haftgründen wie auch die Gründe für die mangelnde Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel erforderlichen Tatsachengrundlagen angeführt hätte, ist der Beschuldigte durch das Fehlen der ihm nach dem Willen des Gesetzgebers für die Fortsetzung seiner Untersuchungshaft zustehenden Begründung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Weil dem Obersten Gerichtshof eine abschließende Beurteilung des Vorliegens eines Haftgrundes infolge Fehlens einer die Tatsachengrundlagen enthaltenden und somit überprüfbaren Vorentscheidung nicht möglich ist, wird der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs von Amts wegen unverzüglich erneut über die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu entscheiden haben. Dabei wird zu beachten sein, dass
- das Verfahren wegen des Raubüberfalls vom 21. Februar 2004 mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 26. Mai 2004 (gegen Tuncay T***** gemäß § 109 Abs 1 StPO) zum AZ 245 Ur 59/04f des Landesgerichts für Strafsachen Wien eingestellt wurde,
- T***** nach der Aktenlage im Jahr 1991 nach Österreich eingereist ist, sich seither im Inland aufhält, in Wien bis zu seiner Verhaftung zwei Lebensmittelgeschäfte betrieb und einem 1998 gestellten Asylantrag T*****s stattgegeben wurde (S 339, 341/I, 53/III), und
- gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Vorverurteilungen für sich allein noch nicht den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr zu begründen vermögen, vielmehr zusätzlich erforderlich ist, dass sich diese Gefahr aus - im Beschluss anzuführenden - bestimmten Tatsachen ergibt.
Die Kostenersatzpflicht des Bundes ist in § 8 GRBG begründet.
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