OGH 2Ob269/04d

OGH2Ob269/04d21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Patrick L*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. Christian P*****, Rechtsanwalt, *****, dieser vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Johann H*****, 2.) H***** GmbH, *****, und 3.) A***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Gert Kastner und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 10.857,72 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. September 2004, GZ 4 R 137/04k-37, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. April 2004, GZ 18 Cg 105/03w-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 574,30 (darin enthalten EUR 95,72 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 17. 5. 2000 als Lenker eines Motorrades bei einem von ihm (unstrittig) zu zwei Dritteln verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Er war vor dem Unfall vom 5. 3. 1998 bis 12. 7. 2001 bei der T***** GmbH als Kellner mit Inkasso beschäftigt. Als solcher verdiente er zuletzt (vor dem Unfall) monatlich brutto S 15.000,-- (EUR 1.090,10) zuzüglich S 10.000,-- (EUR 726,73) an Trinkgeld. Die Zahlkellner der Gaststätte, in der der Kläger nunmehr als Schankgehilfe geringfügig beschäftigt ist, nehmen das jeweilige Trinkgeld an sich; es gibt keine Gemeinschaftskasse.

Ab 12. 7. 2001 erhielt der Kläger eine Invaliditätspension in Höhe von EUR 557,80, ab 1. 9. 2001 in Höhe von EUR 619,09 und ab Oktober 2001 in Höhe von EUR 595,87 jeweils monatlich.

Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr das Begehren des Klägers auf Ersatz des Verdienstentganges von EUR 7.267,30 für die Zeit September 2001 bis Februar 2004. Das von ihm monatlich durchschnittlich erhaltene Trinkgeld sei zur bezogenen Invaliditätspension nicht kongruent.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des restlichen Klagebegehrens und wendeten ein, der Kläger müsse sich das Quotenvorrecht des Sozialversicherers auf seinen gesamten Verdienstentgang einschließlich allfälliger Trinkgelder anrechnen lassen, weil das Trinkgeld ebenso wie jegliches sonstige Einkommen sachlich kongruent zur Invaliditätspension sei. Es diene begrifflich der Deckung des Lebensunterhaltes und sei daher Verdienstentgang, der vom Ausgleichszweck der Invaliditätspension umfasst sei.

Die Parteien stellten außer Streit, dass sich für den Kläger kein direkter Verdienstentgang mehr ergebe, wenn die Leistungen des Sozialversicherers zufolge des Quotenvorrechtes anzurechnen seien.

Das Erstgericht gab dem restlichen Klagebegehren von EUR 7.267,30 statt.

Es stellte noch fest, dass bei Berechnung der Beitragsgrundlagen durch die Tiroler Gebietskrankenkasse kein durchschnittliches Trinkgeld berücksichtigt worden sei und die nunmehrige geringfügige Beschäftigung des Klägers bei seinem früheren Arbeitgeber ausschließlich therapeutschen Zwecken diene, wobei der Kläger kein Trinkgeld erhalte.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass der Kläger durch den Unfall auch einen Verdienstentgang in Ansehung des Trinkgeldes erlitten habe. Anspruch auf Ersatz des Schadens habe er allerdings nur, wenn diese Forderung nicht im Wege der Legalzession nach § 332 ASVG auf den Sozialversicherer übergegangen sei. Die Legalzession umfasse nur solche Haftpflichtansprüche, die der Deckung eines Schadens dienten, den auch die Sozialversicherungsleistung liquidieren solle (sachliche Kongruenz). Die Invaliditätspension, die der Kläger beziehe, ersetze das bisherige Erwerbseinkommen; bei Berechnung der Höhe dieser Pension seien Trinkgelder außer Betracht geblieben. Diese seien aber nicht zum Erwerbseinkommen zu zählen, weil sie auf freiwilliger Basis von Dritten geleistet worden seien und daher kein unbedingter Rechtsanspruch auf diese Leistung bestanden habe. Somit sei keine sachliche Kongruenz des Schadenersatzanspruches aus entgangenen Trinkgeldern und der Invaliditätspension gegeben.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht gab deren Berufung Folge und wies das restliche Klagebegehren ab; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtlich erörterte es, der Ersatzanspruch des Verletzten gehe stets im Ausmaß einer kongruenten Versicherungsleistungsverpflichtung auf den Sozialversicherungsträger über. Bei der Ermittlung des Betrages, auf den der Geschädigte dem Schädiger gegenüber Anspruch habe, sei der Schaden zunächst ohne Bedachtnahme auf die Leistungen des Legalzessionars zu ermitteln und um die Mitverschuldensquote zu kürzen. Von dem so errechneten Betrag seien die Leistungen des Legalzessionars in voller Höhe abzuziehen (Quotenvorrecht). Bei der Frage der sachlichen Kongruenz gehe es um die Feststellung der Identität des Ausgleichszweckes des Sozialversicherungs- und des Schadenersatzanspruches. Ansprüche seien dann kongruent, wenn sie darauf abzielten, denselben Schaden zu decken. Es müsse im Einzelfall geprüft werden, welchen Leistungszweck die dem Tatbestand verknüpfte Rechtsfolge verfolge; dieses Ergebnis sei mit dem Leistungszweck der zur Verfügung stehenden Haftpflichtansprüche zu vergleichen. Seien die Ergebnisse gleich, liege sachliche Kongruenz vor (ZVR 1999/95; JBl 1981, 654). Der Schadenersatzanspruch auf Ersatz von Verdienstentgang diene dem gleichen Zweck wie der Anspruch gegen den Sozialversicherungsträger auf Leistung einer Versehrten-Invaliditätsrente, nämlich dem Ausgleich des durch die Schadenszufügung verminderten oder nur unter erschwerten Voraussetzungen erzielbaren Erwerbseinkommens (SZ 56/137; 2 Ob 59/94; 2 Ob 167/01z; RIS-Justiz RS0031026). Alle Einnahmen, die dem Verletzten aus seiner Tätigkeit und vor dem Unfall zugeflossen seien, also auch solche aus der Nebenbeschäftigung, dienten begrifflich der Deckung des Lebensunterhaltes. Selbst Einkünfte aus Pfuscharbeiten dienten begrifflich der Deckung des Lebensunterhaltes und seien daher dem beruflichen Bereich im weiteren Sinn zuzuzählen, weshalb auch diesbezüglich Kongruenz zwischen der dem Verletzten gewährten Invaliditätsrente und seinem Schadenersatzanspruch wegen Beeinträchtigung in der erwerbswirtschaftlichen Berufstätigkeit bestehe. Eine Einschränkung auf die konkret versicherte Tätigkeit des Verletzten sei nicht vorzunehmen, weil innerhalb eines Schadenersatzanspruches für Erwerbsausfall eine weitere Unterteilung unter dem Gesichtspunkt der Kongruenzdeckung nicht in Betracht komme. Habe der Verletzte außer dem Einkommen aus seiner Erwerbstätigkeit, die seine Sozialversicherungstellung begründe, noch Nebeneinkünfte, so gehörten auch diese zu seinem Erwerbseinkommen und könnten als Deckungsfonds für die Rentenleistung eines Sozialversicherungsträgers als Legalzessionar herangezogen werden (RZ 1976/79; JBl 1989, 654; Neumayr in Schwimann2 ABGB Rz 66 zu § 332 ASVG). Bei den Trinkgeldeinnahmen eines Zahlkellners handle es sich begrifflich unzweifelhaft um Nebeneinkünfte aus seiner Tätigkeit im Erwerbsleben, die insoweit dem Einkommen aus „Pfuscharbeiten" oder nicht gemeldeten Nebenbeschäftigungen gleichstünden, als sie nicht oder nur geringfügig als Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsabgaben herangezogen und nicht (oder nur in geringem Ausmaß) versteuert würden. Dies ändere grundsätzlich nichts an der sachlichen Kongruenz, weshalb sich der Kläger die Invaliditätsrente auch auf seinen Verdienstentgang aus Trinkgeldern anrechnen lassen müsse.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur sachlichen Kongruenz zwischen Trinkgeldentgang und Invaliditätspension nicht vorliege, die vergleichbaren Entscheidungen bereits lange zurücklägen und in der Lehre teilweise abweichende Ansichten vertreten worden seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, dass dem restlichen Klagebegehren stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagten Parteien beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht - zusammengefasst - geltend, Ansprüche auf Ersatz des Verdienstentganges in Bezug auf Einkommen, die aus nicht sozialversicherten Tätigkeiten resultierten, seien von der Legalzession grundsätzlich nicht erfasst, weil die Sozialversicherungsleistungen keinen derartigen Verdienstentgang ersetzten. Der Oberste Gerichtshof habe nur in Einzelfällen ausnahmsweise festgehalten, dass ein nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegendes Einkommen eines Musikschullehrers oder eines Malers als sachlich kongruent anzusehen sei (ZVR 1977/77; RZ1976/79). Diese Entscheidungen seien mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil der Kläger keinen unbedingten Rechtsanspruch auf Leistung von Trinkgeld gehabt habe. Die sachliche Kongruenz im Sinn des § 332 ASVG sei nur bei solchen Ansprüchen gegeben, die einem Arbeits- oder sonstigem Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Dritten entsprängen, auf die der Versicherte einen unbedingten Rechtsanspruch als konkrete Gegenleistung für seine Arbeitsleistungen habe und daher zu seinem Erwerbseinkommen, das dem arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff entspreche zu zählen seien.

Vorweg ist auf die zutreffende, die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wiedergebende Beurteilung des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO; vgl ZVR 1999/95; JBl 1989, 654, jeweils zur Frage der Abgrenzung der sachlichen Kongruenz).

Der Oberste Gerichtshof hat ebenfalls bereits ausgesprochen, dass bei Beurteilung der sachlichen Kongruenz eine Einschränkung auf die konkret versicherte Tätigkeit des Verletzten nicht zu machen ist, weil innerhalb des Schadenersatzanspruches für Erwerbsausfall eine weitere Unterteilung unter dem Gesichtspunkt der kongruenten Deckung nicht in Betracht kommt. So dienen alle Einnahmen, die dem Verletzten aus seiner Tätigkeit vor dem Unfall zugeflossen sind, also auch solche aus einer Nebenbeschäftigung, begrifflich der Deckung des Lebensunterhaltes (vgl ZVR 1977/77; RZ 1976/79).

Zum weiteren Argument in der Revision, der Kläger habe auf Bezug von Trinkgeld keinen unbedingten Rechtsanspruch, weshalb es nicht mehr mit der bezogenen Invaliditätsrente kongruent sei, ist noch zu erwidern:

Nach § 49 Abs 1 ASVG sind unter Entgelt auch solche Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstnehmer oder von einem Dritten erhält. Trinkgelder zählen daher zum sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff, auch wenn sie dem Dienstgeber nicht bekannt gegeben werden. Das Sozialversicherungsrecht bezieht in diesen Begriff auch Einkommen ein, das nicht Gegenstand des Dienstvertrages ist. Die Feststellung der Höhe des Trinkgeldes erfolgt durch Aufzeichnungen des Dienstgebers, durch Erhebungen bzw Schätzungen (§ 42 Abs 3 ASVG) des Krankenversicherungsträgers oder durch Pauschalierung (§ 44 Abs 3 ASVG). Auch die Tiroler Gebietskrankenkasse hat für die bei ihr versicherten Dienstnehmer, die in Betrieben beschäftigt sind, die der Tiroler Wirtschaftskammer Sektion Fremdenverkehr, Gast-, Schank- und Beherbungsgewerbe angehören, für die Bemessung der allgemeinen Beiträge für Trinkgelder Pauschalbeträge festgesetzt und insbesondere für Dienstnehmer, die als Servicepersonal mit Inkasso beschäftigt werden, einen derartigen Pauschalbetrag bestimmt (vgl SozSi Amtliche Verlautbarung Nr 96, 2000).

Da sohin das vom Kläger bezogene Trinkgeld dem sozialversicherungsrechtlichen Entgelt entspricht, ist die sachliche Kongruenz zu bejahen. Eine Auseinandersetzung mit der - allerdings nur betreffend Einkommen, die aus nicht sozialversicherten Tätigkeiten resultieren - abweichenden Lehre (Krejci in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 450 f; Neumayr in Schwimann, ABGB2 Rz 66 zu § 332 ASVG) konnte daher unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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