OGH 1Ob227/04w

OGH1Ob227/04w19.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** AG, *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Giger, Ruggenthaler & Partner Rechtsanwälte KEG in Wien, und deren Nebenintervenientin B***** AG *****, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 726.730 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 6. Juli 2004, GZ 2 R 100/04x-20, mit welchem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Februar 2004, GZ 22 Cg 121/02s-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin machte Schadenersatzansprüche im Betrag von 726.730 EUR geltend. Sie habe die Beklagte mit der Ermittlung des Unternehmenswerts einer AG, an der sie sich beteiligen wollte, einschließlich deren Tochtergesellschaften, und der Durchführung einer Financial Due Diligence beauftragt. Die Beklagte sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unternehmenswert zum 29. September 2000 zwischen 23 und 28 Mio DM gelegen sei. Auf Grund dieser Unternehmensbewertung habe die Klägerin sodann eine Beteiligung dieser AG vorgenommen und halte nunmehr rund 72 % der Anteile, wofür sie etwa 11,915 Mio EUR aufgewendet habe. Nach Erwerb der letzten Anteile im Juli 2002 sei für die Klägerin allerdings erkennbar geworden, dass der Unternehmenswert zum 29. September 2000 tatsächlich lediglich höchstens 8 Mio EUR betragen habe. Dadurch sei der Klägerin ein Schaden in Höhe von mindestens 6 Mio EUR entstanden, sei doch ihre Beteiligung höchstens 5,76 Mio EUR wert.

Die Beklagte wandte unter anderem Verjährung ein, berief sich dazu auf die in § 8 Abs 4 AAB festgelegte 6-Monatsfrist und brachte vor, der Klägerin sei seit spätestens März 2002 bekannt gewesen, dass der Unternehmenswert der AG per 29. September 2000 weit unter dem von ihr errechneten Wert gelegen sei, habe die Klägerin doch bereits im März 2002 die Verantwortung für das Rechnungswesen dieser AG übernommen und sodann die Ergebnisse des Jahres 2001 korrigieren müssen; zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin auch über das uneingeschränkte Testat für das Geschäftsjahr 2001 verfügt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Zwischen den Parteien seien die AAB vereinbart worden; diese würden eine 6-Monatsfrist ab Kenntnis des Schadens durch den Anspruchsberechtigten vorsehen. Die Klägerin habe im März 2002 das Rechnungswesen der AG, an der sie Anteile erworben hatte, übernommen und dabei festgestellt, dass der Bilanzverlust des Jahres 2001 nicht rund 1 bis 1,5 Mio EUR, sondern 3,3 Mio EUR betragen habe; Anlass dafür sei der am 13. Februar 2002 testierte Konzernabschluss der Klägerin für das Jahr 2001 gewesen. Anfang April 2002 sei dies auch vom damaligen Wirtschaftsprüfer der für September 2000 bewerteten, AG bestätigt worden, der auch festgestellt habe, dass der Materialaufwand nicht gestimmt habe. Der Klägerin sei damit der Schaden bekannt gewesen. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, es habe nicht davon überzeugt werden können, dass die Klägerin bzw ihre Organe erst im August 2002 von der unrichtigen Unternehmensbewertung und damit vom Schaden Kenntnis erlangt hätten. In der rechtlichen Beurteilung hielt es fest, die Klägerin habe spätestens im Mai 2002 Kenntnis vom tatsächlichen Jahresergebnis der AG für 2001 und somit von der daraus folgenden unrichtigen Unternehmensbewertung erlangt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, „weil letztlich eine Rechtsfrage zur Entscheidung nicht angestanden sei". Die Überlegungen des Erstgerichts zur Frage der Kenntnis der Klägerin von der unrichtigen Unternehmensbewertung durch die Beklagte seien (zum Teil) rechtlicher Natur und würden das Berufungsgericht daher nicht binden. Sie seien allerdings durchaus schlüssig und mit den Beweisergebnissen im Einklang. Die Kenntnis von der unrichtigen Unternehmensbewertung sei nicht erst im August 2002 möglich gewesen, was sich insbesondere aus den Aussagen zweier Vorstandsmitglieder der Klägerin ergebe. Danach sei im April/Mai 2002 „Feuer am Dach" gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin somit Kenntnis vom Schaden und vom (angeblichen) Schädiger erlangt gehabt.

Die außerordentliche Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin bekämpft die Feststellung der tatsächlichen Vereinbarung der AAB zwischen den Parteien und die Gültigkeit der 6-Monatsfrist des § 8 Abs 4 AAB (im Übrigen zutreffend [SZ 73/158; 9 Ob 212/02w]), in der Revision nicht mehr, weist aber darauf hin, dass ihre Kenntnis vom schlechten Jahresergebnis der AG, an der sie sich beteiligte, für 2001 nicht zwingend die Kenntnis von der Unrichtigkeit der Unternehmensbewertung durch die Beklagte bedeuten musste.

Die Frage des Kennens von Schaden und Schädiger ist eine Tatfrage (vgl E. Kodek in Rechberger ZPO² § 498, Rz 2; EFSlg 18.554 [Feststellung der Kenntnis von einem Sachverhalt]), die Frage des Kennenmüssens hingegen eine Rechtsfrage (ÖBl 1978, 151; RIS-Justiz RS0031795; vgl auch 5 Ob 32/01v). Auch wenn das Erstgericht daher unter Bezugnahme auf die Aussagen der beiden Vorstandsmitglieder der Klägerin ausgeführt hat, im April 2002 sei festgestellt worden, dass der Materialaufwand nicht stimme, der Schaden sei der Klägerin dann spätestens im Mai 2002 bekannt gewesen, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kenntnis des Geschädigten den gesamten anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen muss, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten (RIS-Justiz RS0034374; M. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 1489 Rz 3 mwN).

Mag auch maßgeblich für das schlechte Jahresergebnis 2001 der von der Beklagten falsch angenommene Materialeinsatz gewesen sein, so bedeutet dies nicht zwingend eine unrichtige Unternehmensbewertung bereits zum hier maßgeblichen Stichtag 29. September 2000. Es mag daher zwar durchaus sein, dass der Klägerin im April 2002 das schlechte Jahresergebnis 2001, der falsch angenommene Materialeinsatz und ein Schaden bekannt gewesen sind, sie musste daraus aber nicht unmittelbar den Schluss ziehen, dass die gesamte Unternehmensbewertung durch die Beklagte unrichtig sein müsste und ihr Schaden allein darauf zurückzuführen wäre.

Die unrichtige Unternehmensbewertung hat nach dem Vorbringen der Klägerin zu dem nunmehr (teilweise) geltend gemachten Schaden geführt. Wenn nun die Beklagte ihren Verjährungseinwand insbesondere auf die Kenntnis der Klägerin vom schlechten Jahresergebnis 2001 und des falsch angenommenen Materialeinsatzes stützte, ist die von den Vorinstanzen gezogene Schlussfolgerung auf Grund der dargelegten Überlegungen mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar, worauf in der Revision zutreffend hingewiesen wird. Selbst unter der Annahme, die Klägerin hätte im April/Mai 2002 bereits den „Verdacht" einer falschen Unternehmensbewertung haben können, steht damit noch nicht deren Kenntnis vom Eintritt oder das „Kennenmüssen" eines konkreten Schadens fest. Gerade bei äußerst kurzen Verjährungsfristen wie der vorliegenden darf an die diesbezüglichen Anforderungen hinsichtlich der Kenntnisse eines Geschädigten kein allzu strenger Maßstab angelegt werden.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen konnte die Verjährung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche tatsächlich nicht bewiesen werden. Die aus diesem Grund abweislichen Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit zu beheben.

Die Entscheidung über die Prozesskosten beruht auf § 52 ZPO.

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