Spruch:
Der Beschluss des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr vom 3. Dezember 2004, AZ 20 Ns 79/04s (ON 239 im Verfahren zum AZ 11 Hv 9/04k des Landesgerichtes Steyr), verletzt das Gesetz in dem sich aus dem XX. Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Der bezeichnete Beschluss (samt allen darauf beruhenden Verfügungen) wird aufgehoben.
Text
Gründe:
In der beim Landesgericht Steyr zum AZ 11 Hv 9/04k anhängigen Strafsache gegen Martin B***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, langte am 29. November 2004 ein (mit 26. November 2004 datierter, vom Angeklagten persönlich verfasster) „Antrag auf Ablehnung einer Gerichtsperson", nämlich des nach der Geschäftsverteilung zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden des Schöffengerichtes, Hofrat Dr. B*****, ein (ON 230). Darin wurde eine tiefe Feindschaft zwischen dem Angeklagten und dem Richter sowie dessen freundschaftliche Beziehung zu einem Zeugen behauptet und detailliert begründet. Mit Beschluss des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr vom 2. Dezember 2004, AZ Ns 79/04s (ON 236 des Hv-Aktes), wurde die Ablehnung als gerechtfertigt angesehen, die Strafsache dem bisherigen Vorsitzenden abgenommen und gemäß § 74 Abs 3 StPO dem zu seiner Vertretung berufenen Richter des Landesgerichtes Steyr, Dr. M*****, als Vorsitzenden übertragen.
In einem Schriftsatz des (gewählten) Verteidigers vom 3. Dezember 2004 erklärte der Angeklagte, den am 29. November 2004 durch ihn bei Gericht überreichten Befangenheitsantrag zurückzuziehen. Am selben Tag fasste der Präsident des Landesgerichtes Steyr den Beschluss (AZ 20 Ns 79/04s = S 475 f/ON 239), den zuvor ergangenen Beschluss vom 2. Dezember 2004 „ersatzlos" aufzuheben und die Strafsache „dem bisherigen Vorsitzenden Hofrat Dr. B***** rückzuübertragen". Begründend wurde ausgeführt, dass der Angeklagte mit der Zurückziehung des Antrages „mit dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Schöffensenat auch in der Person des Vorsitzenden Hofrat Dr. B***** ausdrücklich einverstanden" sei und „an der Unvoreingenommenheit des (genannten) Vorsitzenden ... kein Zweifel" bestünde.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil er gegen das sich aus dem XX. Hauptstück ergebende Verbot der StPO verstößt, während des aufrechten Bestehens einer Entscheidung ohne deren vorangegangene - berechtigte - Aufhebung über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen (vgl 15 Os 113/03, 15 Os 22/02, 13 Os 62/00 uva).
Nach gesicherter Rechtsprechung (siehe Fabrizy, StPO9 § 352 Rz 13) ist die Wiederaufnahme gegen Beschlüsse zum Vor-, aber auch zum Nachteil des Verurteilten unter analoger Anwendung der Bestimmungen des XX. Hauptstückes der Strafprozessordnung über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§§ 352 ff) grundsätzlich zulässig, wenn sich im Sinn dieser Bestimmungen neue, den Beschluss in Frage stellende Tatsachen oder Beweismittel ergeben haben, die das Gericht zum Zeitpunkt der vorangegangenen Entscheidung noch nicht kannte und auch nicht kennen konnte (siehe 11 Os 82/96). Anträge sind als Prozesshandlungen zwar in der Regel einseitig durch den Erklärenden widerrufbar, jedoch nur, solange die Prozesshandlung noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung geworden ist. Zudem stellt die gegenständliche Zurückziehung eines bereits beschlussmäßig als zulässig erkannten Ablehnungsbegehrens keine neue Tatsache für eine Wiederaufnahme dar. Werden durch die Zurückziehung doch keineswegs die objektiven Voraussetzungen für den Anschein der Befangenheit des vorsitzenden Richters beseitigt, dessen Vorliegen mit dem Beschluss vom 2. Dezember 2004 ausdrücklich konstatiert worden war (siehe dort S 3f). In Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme war die neuerliche Befassung mit der bereits entschiedenen Sache unstatthaft. Der Beschluss auf Aufhebung des zuvor ergangenen Beschlusses vom 2. Dezember 2004 konnte die schon vorher durch den Präsidenten des Landesgerichtes Steyr wirksam festgestellte gerechtfertigte Ablehnung des Vorsitzenden des Schöffengerichtes und Übertragung der Zuständigkeit an einen anderen Vorsitzenden nicht beseitigen, vielmehr bleibt die konstitutive Wirkung des Beschlusses vom 2. Dezember 2004 unberührt. Da sich die oben beschriebene Vorgangsweise zum Nachteil des Angeklagten auswirken könnte, waren der Beschluss vom 2. Dezember 2004, AZ 20 Ns 79/04s des Landesgerichtes Steyr, und alle darauf beruhenden Verfügungen ersatzlos aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)