Spruch:
Der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Oktober 2002, GZ 24 Hv 122/02h-6, verletzt das Gesetz in dem sich aus den Anfechtungsvorschriften und dem XX. Hauptstück der Strafprozessordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Der bezeichnete Beschluss (samt allen darauf beruhenden Verfügungen) wird aufgehoben; der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit am 21. Juli 1999 in Rechtskraft erwachsener Strafverfügung des Bezirksgerichtes Reutte vom 21. Juni 1999, GZ 3 U 147/99a-5, wurde Claudia Maria F***** des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.
Mit "Verfügung" vom 25. Juli 2002 (S 39 in 3 U 147/99a des Bezirksgerichtes Reutte) veranlasste der zuständige Richter zu Punkt 1 die Übersendung des Aktes an den "BA gemäß § 497 Abs 2 StPO"; unter Punkt 2 dieser Verfügung findet sich die Anordnung "Bed V 7 + 8", womit - der ständigen Praxis des Bezirksgerichtes Reutte folgend (siehe Stellungnahme des zuständigen Richters vom 16. Juni 2003) - der Ausspruch über die endgültige Nachsicht gemäß § 497 Abs 1 StPO zum Ausdruck gebracht wurde.
Seitens der Geschäftsabteilung erfolgte hierauf die Übermittlung des Aktes an den Bezirksanwalt, der am 2. August 2002 die Erklärung abgab, "mit Vorgehen gemäß § 43 Abs 2 StGB" einverstanden zu sein. Am 7. August 2002 wurde die Verständigung der Verurteilten und des Strafregisteramtes von der auf Punkt 2 der Verfügung vom 25. Juli 2002 beruhenden endgültigen Strafnachsicht abgefertigt. Im Akt erliegt kein Schriftstück, welches den Beschlusswortlaut wiedergibt. Ein solches ging auch dem Bezirksanwalt nicht zu, dessen nach der Beschlussfassung vom 25. Juli 2002 abgegebenen Äußerung aber als Rechtsmittelverzicht zu werten ist. Die dargestellte Verfahrenspraxis des Bezirksgerichtes Reutte widerspricht gesetzlichen Vorschriften, weil solcherart entgegen § 497 Abs 2 StPO der Ankläger nicht vor, sondern nach der Entscheidung gehört wird und entgegen § 4 Strafregistergesetz die Registerverständigung vor Rechtskraft des Beschlusses angeordnet ist, zudem noch unter gleichzeitiger Übertragung der richterlichen Feststellung über Strafvollzugsumstände auf die Geschäftsstelle.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Oktober 2002, GZ 24 Hv 122/02h-6, wurde Claudia Maria F***** des im Sommer 2000 sowie im Herbst 2001, sohin während der Probezeit begangenen Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt und neuerlich zu einer Geldstrafe verurteilt. Ungeachtet der aus dem beigeschafften Akt (S 36, 50 in 24 Hv 122/02h des Landesgerichtes Innsbruck; ON 8 in 3 U 147/99a des Bezirksgerichtes Reutte) auf Grund der "Verfügung" vom 25. Juli 2002 nicht gerade augenfälligen, aber doch ersichtlichen Feststellung der Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht fasste das Landesgericht Innsbruck anlässlich der neuerlichen Verurteilung den Beschluss, die bedingte Nachsicht des Vollzuges der mit Urteil des Bezirksgerichtes Reutte verhängten Geldstrafe gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO zu widerrufen und ordnete deren Vollzug an (GZ 24 Hv 122/02h-6). Das Urteil und der Widerrufsbeschluss des Landesgerichtes Innsbruck erwuchsen jeweils in Rechtskraft
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der Widerrufsbeschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil er gegen das sich aus dem XX. Hauptstück ergebende Verbot der StPO verstößt, während des aufrechten Bestehens einer Entscheidung ohne deren vorangegangene Aufhebung über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen (vgl 13 Os 62/00, 15 Os 22/02 uva).
Der Beschluss des Bezirksgerichtes Reutte auf Feststellung der Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht hindert die Rechtswirksamkeit des späteren, auf die nicht mehr aktuelle Probezeit abstellenden Widerrufsbeschlusses; dieser konnte die schon vorher durch das Bezirksgericht Reutte wirksam beschlossene endgültige Strafnachsicht nicht beseitigen. Die konstitutive Wirkung des die Endgültigkeit der bedingten Strafnachsicht feststellenden Beschlusses bleibt vielmehr hievon unberührt.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit war der Widerrufsbeschluss zu beseitigen und wie im Spruch vorzugehen.
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