OGH 15Os136/04 (15Os137/04)

OGH15Os136/04 (15Os137/04)13.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Jänner 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pablik als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard Rene Harald H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. Mai 2004, GZ 042 Hv 74/02m-75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den Beschluss

gefasst:

Die Wiedereinsetzung wird verweigert.

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen. Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 1 sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch des Angeklagten enthält, wurde Gerhard Rene Harald H***** der Vergehen (1) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und (2) der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach § 107 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er (in Wien)

(1) „zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt" Ana Ayala de H***** dadurch am Körper verletzt, dass er mit den Fäusten aus sie einschlug, wodurch sie Hämatome an der „rechten" Schulter erlitt;

(2) Anfang 2001, im April 2002 und am 27. September 2002 Ana Ayala de H***** zum Teil unter Verwendung eines Messers mit dem Umbringen bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Nach Urteilsverkündung am Donnerstag, dem 6. Mai 2004, gab der Angeklagten keine Rechtsmittelerklärung ab (S 457/I). Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2004, der sowohl per Telefax am 11. Mai 2004 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebracht als auch am gleichen Tag zur Post gegeben worden war (ON 77/I), meldete der Verteidiger (verspätet; der letzte Tag der Frist wäre Montag der 10. Mai 2004 gewesen) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Mit Beschluss vom 6. September 2004 wies das Erstgericht die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 1 StPO als verspätet zurück (ON 80).

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger - gleichzeitig mit dem Urteil - am 14. September 2004 zugestellt (S 459/I).

Mit dem am 28. September 2004 zur Post gegebenen Schriftsatz (ON 81) hat der Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel beantragt und zugleich die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nachgeholt.

Der Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichtes blieb unbekämpft. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2004 führte der Verteidiger die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung aus (ON 82).

Im Wiedereinsetzungsantrag wird vorgebracht, der Verteidiger habe am 7. Mai 2004 die Rechtsmittelanmeldung diktiert und „wurde diese nach der Aktenlage des Verteidigers zur Post gegeben". Die im Kanzleikalender eingetragene Frist von 3 Tagen zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, die am Montag den 10. Mai 2004 geendet hätte, sei auf Grund des Postausgangs im Kanzleikalender von ihm als erledigt gestrichen worden.

„Nach der Aktenlage des Verteidigers" sei die Rechtsmittelanmeldung am 11. Mai 2004 ein weiteres Mal, und zwar sowohl eingeschrieben als auch per Telefax, an das Landesgericht für Strafsachen Wien zur Absendung gebracht worden. Dies sei ihm zwar nicht notwendig erschienen, jedoch habe ihn im Hinblick darauf, dass bereits am 7. Mai 2004 die Rechtsmittelanmeldung schriftlich eingeschrieben - und somit nach der Aktenlage rechtzeitig - zur Post gegangen war, diese Duplizität nicht gestört. Dazu wird in der vom Rechtsvertreter abgegebenen eidesstattlichen Erklärung vom 28. September 2004 wörtlich ausgeführt: „Ich habe die Frist für die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung unmittelbar nach der Verhandlung im Kanzleikalender eingetragen, grundsätzlich trage ich sämtliche Rechtsmittelfristen persönlich in das Fristenbuch/Kanzleikalender ein und streiche diese Frist dann aus, wenn ich die jeweiligen Poststücke unterfertige und der jeweiligen Sekretärin den Auftrag erteile diese postmäßig abzufertigen, dabei hat es bisher noch niemals Probleme gegeben, sämtliche von mir unterfertigten Poststücke wurden jeweils von der beauftragten Sekretärin, insbesondere Frau Nicole S***** ordnungsgemäß am selben Tag zur Post gebracht. Im vorliegenden Fall wurde der Schriftsatz betreffend Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde vom 7. Mai 2004 in meinem Kanzleihandakt mit dem Postausgangsstempel 7. Mai 2004 eingelegt. Offenbar wurde mir in weiterer Folge dieser Schriftsatz nochmals mit anderem Datum (11. Mai 2004) von meiner Sekretärin zur Unterfertigung vorgelegt und habe ich diesem Umstand keine besondere Bedeutung beigemessen, zumal mir in Erinnerung war, dass das Rechtsmittel ja bereits am 7. Mai 2004, also fristgerecht, abgefertigt wurde und die Frist von mir im Fristenbuch ausgestrichen wurde". Weiters führt der Verteidiger aus, er habe nach Zustellung des Beschlusses ON 80 (wodurch er erstmals von der Versäumung der Frist in Kenntnis gesetzt worden sei) bei der Überprüfung des Postausgangsbuches festgestellt, dass am 7. Mai 2004 keine eingeschriebene Sendung an das Landesgericht für Strafsachen Wien abgefertigt worden sei. Nach Rücksprache mit der Mitarbeiterin Nicole S***** habe diese angegeben, keine konkrete Erinnerung an die Postabfertigungsvorgänge zu haben, es könne aber sein, dass sie die ursprüngliche Rechtsmittelanmeldung vom 7. Mai 2004 irrtümlich nicht abgefertigt habe.

Im Wiedereinsetzungsantrag wird abschließend noch einmal darauf verwiesen, dass das neuerliche Einbringen der Rechtsmittelanmeldung nach „Aktenlage des Handaktes des Verteidigers zwar nicht notwendig erschien, jedoch die Duplizität der Rechtsmittelanmeldungen im Hinblick auf die nach der Aktenlage des Verteidigers bereits erfolgte fristgerechte Anmeldung diesen nicht gestört habe."

Rechtliche Beurteilung

Der Wiedereinsetzungsantrag ist verspätet.

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Beschuldigten/Angeklagten - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinen Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Nach Z 2 und Z 3 Abs 1 leg cit ist die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses zu beantragen und die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachzuholen. Ausgehend vom eigenen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, wonach dem Verteidiger die nochmalige - sowohl eingeschrieben als auch per Telefax zur Absendung gebrachte - Rechtsmittelanmeldung vom 11. Mai 2004 nicht notwendig erschienen sei, ihn jedoch unter Berücksichtigung seiner Kenntnis von der seiner Meinung nach rechtzeitig erfolgten Anmeldung am 7. Mai 2004 die Duplizität „nicht gestört hat", ist evident, dass der Rechtsvertreter durch die Unterschrift der zweiten Rechtsmittelanmeldung an die zuvor verfertigte erinnert wurde.

Bei dieser Sachlage wäre er bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfaltspflicht eines Verteidigers verhalten gewesen, vor Abfertigen des mit 11. Mai 2004 datierten und von ihm unterfertigten Schriftsatzes durch Überprüfung der Aktenlage den Grund für das nochmalige Einbringen der Rechtsmittelanmeldung zu erheben. Im Zug dieser Überprüfung hätte sich - so wie nach seinem Vorbringen schlussendlich am 14. September 2004 nach der Zustellung des Beschlusses ON 80 - herausgestellt, dass die mit 7. Mai datierte und seiner Meinung nach auch an diesem Tag zur Post gegebene Rechtsmittelanmeldung an das Landesgericht für Strafsachen Wien vergessen und somit der letzte Tag der Frist, nämlich Montag der 10. Mai 2004 zur rechtzeitigen Einbringung der Rechtsmittelanmeldung versäumt worden war. Damit war aber das Hindernis, auf das § 364 Abs 1 Z 2 StPO abstellt, nämlich die durch Nichtabfertigung der rechtzeitigen Rechtsmittelanmeldung unterlaufene Fehlleistung in der Kanzlei des Verteidigers am 11. Mai 2004 weggefallen, sodass an diesem Tag die vierzehntägige Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu laufen begonnen hat. Dies hätte der Verteidiger bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit bei der von ihm beschriebenen Sachlage auch erkennen können.

Demgemäß erweist sich der am 28. September 2004 eingebrachte Wiedereinsetzungsantrag als verspätet, weshalb die begehrte Wiedereinsetzung - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der in der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung der Verteidigung vertretenen Ansicht - zu verweigern war (13 Os 128/03, Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 264 E 66a).

Im Übrigen bildet das Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleikraft - entgegen der Auffassung des Wiedereinsetzungswerbers - nur dann einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund, wenn dadurch dem Verteidiger die Kenntnisnahme einer einzuhaltenden Frist überhaupt unmöglich gemacht wurde (vgl RIS-Justiz RS0101329), was nach den obigen Ausführungen für die Frist nach § 364 Abs 1 Z 2 StPO hier nicht zutrifft.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung:

Mangels rechtzeitiger Anmeldung der Rechtsmittel waren auch die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gemäß §§ 285a Z 1, 294 Abs 4 iVm 296 Abs 2 StPO zurückzuweisen.

Bei amtswegiger Prüfung aus Anlass dieser Nichtigkeitsbeschwerde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) ergab sich jedoch, dass das Urteil im Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1) zum Nachteil des Angeklagten mit Feststellungsmängeln (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) behaftet ist.

Nach dem Spruch setzte der Angeklagte die Tathandlung (Körperverletzung seiner Gattin Ana Ayala de H*****) „zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt". Dazu wird konstatiert (US 6), dass „im Zuge des Scheidungsverfahrens" Streitigkeiten - vorwiegend der Kinder wegen - eskalierten und der Angeklagte mit Fäusten auf seine Gattin einschlug. Nach der Aktenlage schilderte die Zeugin den Vorfall dergestalt, dass der Angeklagte seiner am 16. April 1994 geborenen Tochter Maria H***** eines Abends („um 9 Uhr") gegen den Willen der Mutter noch (zu viel) zu essen gegeben und auf Vorhaltungen der Zeugin dieser „links" auf die Schulter geschlagen habe (S 181/I). Diese Depositionen fielen im Zusammenhang mit jenen von Vorfällen im Alter des Kindes zwischen drei und fünf Jahren (S 179/I); nach dem Vorbringen im Schriftsatz ON 17 vom 22. Oktober 2002 (S 142) soll die Tat „vor einigen Jahren" verübt worden sein. Für das dem Angeklagten angelastete Vorgehen nach § 83 Abs 1 StGB beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 57 Abs 3 StGB drei Jahre. Nach der Aktenlage wurde wegen dieser Tat mit ungewissem Tatzeitpunkt (mutmaßlich zwischen 1997 und 1999) ein gerichtliches Strafverfahren erst durch die Ausdehnung der Anklageschrift am 24. Oktober 2002 anhängig (S 193/I). Ebensowenig wie eine Fortlaufshemmung nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB ist dem Urteil eine Ablaufshemmung nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle (zufolge neuerlicher Begehung einer auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden Straftat innerhalb der Verjährungszeit) eindeutig zu entnehmen. Die weiteren dem Angeklagten im angefochtenen Urteil angelasteten Drohungen (Punkt 2 des Urteilssatzes) wurden den diesbezüglichen Feststellungen zufolge frühestens „Anfang 2001", sohin allenfalls erst nach Ablauf der Frist ausgesprochen.

Erst durch die Anführung des Tatzeitpunktes wäre dem Erstgericht und in weiterer Folge dem Obersten Gerichtshof der (für die Subsumtion und deren Überprüfung erforderliche) Vergleich des Sachverhalts mit dem Strafgesetz - und somit die Lösung der Verjährungsfrage - ermöglicht worden.

Aus Anlass der zurückzuweisenden Nichtigkeitsbeschwerde war somit bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285e, 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt 1 des Schuldspruches und demnach auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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