OGH 16Ok12/04

OGH16Ok12/0420.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Wolfgang Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Dr. Erich Haas in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, wider die Antragsgegnerin T***** Austria Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, wegen Untersagung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und Auferlegung einer Geldbuße, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 18. März 2004, GZ 29 Kt 8, 9/04-16, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt 2. (Auferlegung einer Geldbuße von 500.000 EUR) bestätigt und im Übrigen dahin abgeändert, dass er in seinem Punkt 1. lautet:

"Der Antragsgegnerin wird aufgetragen, den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung abzustellen, der in der Anwendung ihres derzeit geltenden (vgl Bescheid der Telekom-Control-Kommission vom 21. 7. 2003, G 07/03-13) Tarifsystems besteht, soweit sich daraus ergibt, dass die günstigsten Möglichkeiten der Endkunden, die Anschlussleistung von der Antragsgegnerin zu beziehen, von Tarifmodellen geboten werden, bei denen das um den Wert der mit dem Anschlussentgelt verbundenen Verbindungsleistungen/sonstigen Vergünstigungen bereinigte Anschlussentgelt unter dem von der Antragsgegnerin angebotenen billigsten reinen Anschlussentgelt liegt.

Text

Begründung

Die Antragsgegnerin ist ehemalige Monopolistin im Bereich der Telekommunikation und erbringt entweder selbst oder durch Tochtergesellschaften zahlreiche Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit, wobei die bedeutsamsten der öffentliche Sprachtelefondienst mittels Mobil- und Festnetzes und der öffentliche Mietleistungsdienst sind. Mitbewerber der Antragsgegnerin auf dem Markt für Telekommunikationsdienste über Festnetz (in der Folge: alternative Netzbetreiber, ANB) können ihre Kunden entweder mittels selbst errichteter Infrastruktur anbinden oder ihre Dienste als Verbindungsnetzbetreiber anbieten. Im letzteren Fall bleiben die Kunden der ANB weiterhin Vertragskunden der Antragsgegnerin und beziehen von dieser die Anschlussleistung; nach Vertragsabschluss mit dem ANB können sie sodann ihre Gespräche über dessen Telekommunikationsnetz führen lassen. So können die Dienstleistungen "dauerhafte Verbindungsnetzbetreibervorauswahl" (Carrier Preselection, CPS) oder "Verbindungsnetzbetreiberwahl im Einzelfall" (Call-by-Call, CbC) auf den Markt gebracht werden, ohne dass der ANB ein eigenes Telekommunikationsnetz bis zum Endkunden verlegen muss. Mit Bescheid vom 21. 7. 2003 hat die Telekom-Control-Kommission als zuständige Regulierungsbehörde jenes Tarifsystem der Antragsgegnerin genehmigt, das den Gegenstand des kartellrechtlichen Verfahrens bildet. Eine wesentliche Änderung stellt die Ersetzung des nicht mehr kostendeckenden Minimumtarifs (Grundgebühr 14,38 EUR/Monat) durch den Standardtarif (Grundgebühr 17,44 EUR/Monat) dar. Jene Kunden, die bis dahin im Minimumtarif telefonierten, wurden per 28. 9. 2003 in den neu eingeführten Standardtarif umgestellt. Über das neue Tarifsystem (die Einstellung des Minimumtarifs) wurden die Kunden mittels Presseaussendung der Antragsgegnerin und Kundmachung in der Wiener Zeitung vom 28. 7. 2003 informiert. Sowohl Minimumtarif als auch Standardtarif enthielten bzw enthalten keine Verbindungsleistungen, sondern deckten bzw. decken nur die reine Anschlussleistung ab. Als billigste Möglichkeit, die Anschlussleistung von der Antragsgegnerin zu beziehen, bestehen die - auch schon bisher verfügbaren - TikTak-Tarife, die neben der Anschlussleistung de facto bestimmte Verbindungsleistungen inkludieren.

Beim Tarif TikTak Privat fällt für die Überlassung des Fernsprechanschlusses ein monatliches Grundentgelt von 15,98 EUR an; werden darüber hinaus auch Verbindungsleistungen in Anspruch genommen, sind die ersten 60 Gesprächsminuten in der Lokalzone oder Inlandszone im Zeitfenster "Abends und Wochenende" pro Monat und Anschluss entgeltfrei. TikTak International bietet bei einem monatlichen Grundentgelt von 15,84 EUR die Möglichkeit zum Bezug vergünstigter Verbindungsentgelte in ausgewählte Auslandsdestinationen; dem Kunden wird ein "Auslandspaket" seiner Wahl, für das sonst 1,45 EUR zu zahlen ist, entgeltfrei zu Verfügung gestellt. Der Teilnehmer kann ein beliebiges Land auswählen und in dieses um 0,116 EUR pro Minute abends und am Wochenende (ins Festnetz) telefonieren.

Als Entgelt für eine Tarifumstellung verrechnet die Antragsgegnerin 8,71 EUR.

Die Anzahl der TikTak-Anschlüsse stieg auf 1.146.200 per Ende September 2003 gegenüber 1.040.200 per Ende Juni 2003 und 646.100 per Ende September 2002. Durch die Einstellung des Minimumtarifs haben sich Kunden, die sonst automatisch in den Standardtarif umgestellt worden wären, für einen TikTak-Anschluss entschieden, weil TikTak-Anschlüsse ein niedrigeres Grundentgelt haben. Die Antragsgegnerin hat hinsichtlich der Anschlussleistungen einen Marktanteil von rund 95 %. Durch Entbündelung - das ist eine auf Wunsch des Teilnehmers durchgeführte "Zwangsvermietung" der physischen Anschlussleitung der Antragsgegnerin zu regulierten Preisen - haben jedoch Endkunden die Möglichkeit, ihren Telefonzugang ohne Umweg über die Antragsgegnerin von ANB zu beziehen. Derzeit können bereits 1,5 Mio Anschlüsse theoretisch über Entbündelung erreicht werden. Tatsächlich werden erst rund 20.000 Anschlüsse entbündelt betrieben, die Hälfte davon von UTA. Auf dem Verbindungsleistungsmarkt hat die Antragsgegnerin einen Gesamtmarktanteil in Sprachminuten per 12/2002 und per 12/2003 von jeweils 53,9 %. Im Segment Privatkunden betrug der Anteil per 12/2002 53,7 % und per 12/2003 53 %. Die Antragsgegnerin hat auf dem (nationalen) Verbindungsleistungsmarkt jedenfalls einen Anteil von nicht unter 40 %. Derzeit ist auf dem Festnetzsprachtelefoniemarkt ein starker Migrationseffekt in Richtung der Mobilkommunikation zu beobachten. Auf dem Gesamtmarkt im Festnetz ist eine jährliche Reduktion in der Größenordnung von 7-8% festzustellen. Zusätzlich - aufgrund der attraktiven Angebote der Mobilkommunikation - erleidet die Antragsgegnerin seit längerer Zeit einen jährlichen Abgang in der Anschlussleistung von etwa 3 %.

ANB bieten ihren Kunden unter bestimmtem Voraussetzungen Freiminuten und begünstigte Verbindungsentgelte ins Ausland an. So gewährt etwa T***** ab einem Rechnungsbetrag von 7 EUR 1 x 10 Freiminuten, ab 15 EUR 2x10 Freiminuten und ab 22 EUR 3 x 10 Freiminuten. Hat ein Kunde insgesamt 60 Freiminuten gesammelt, erhält er nach Anruf einer Gratishotline eine Gutschrift in der Höhe der gesammelten Freiminuten. U***** bietet beim Tarif "Festnetz Green Apple" mit automatischer Vorwahl die Möglichkeit günstigerer Verbindungsentgelte in ein Land nach Wahl, und zwar um 35 % günstiger als zum herkömmlichen Auslandspreis.

Die Antragsgegnerin erzielte im Jahr 2002 im Geschäftssegment Festnetz einen Umsatz von über 2 Mrd EUR. Die konsolidierten Umsatzerlöse (inklusive Datenkommunikation, Internet und Mobilkommunikation) betrugen in diesem Zeitraum rund 3,1 Mrd EUR; sie verfügte zum 31. 12. 2002 und zum 30. 9. 2003 jeweils über ein positives Eigenkapital von mehr als 2,5 Mrd EUR.

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte zuletzt (ON 14),

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Antragsgegnerin ist teilweise berechtigt.

1. Zur Beweisrüge, die zulässig ist, weil die bekämpften Feststellungen nur auf Grund von Urkunden getroffen wurden (SZ 70/272; SZ 71/103 ua):

Zutreffend, weil mit dem Inhalt der vom Erstgericht hiezu herangezogenen Urkunden bzw mit dem bezogenen Parteienvorbringen nicht vereinbar, rügt die Rekurswerberin Feststellungen im zweiten Absatz der Seite 11 des angefochtenen Beschlusses, die oben im Absatz 2 der Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben wurden. Anstelle der bekämpften Feststellungen (Punkt II. A. 1. und 2. der Rekursschrift) wird auf Grund der Urkunde ./A und des unstrittigen Parteienvorbringens festgestellt:

Die Tarifänderung zum 21. 7. 2003 betraf die Einstellung des Minimumtarifs wegen Kostenunterdeckung. Jene Kunden, die bis dahin im Minimumtarif (Grundgebühr 14,38 EUR/Monat) telefonierten, wurden per 28. 9. 2003 in den - schon zuvor bestehenden - Standardtarif (Grundgebühr 17,44 EUR/Monat) umgestellt. Über das neue Tarifsystem (die Einstellung des Minimumtarifs) wurden die Kunden mittels Presseaussendung der Antragsgegnerin und Kundmachung in der Wiener Zeitung vom 28. 7. 2003 informiert. Sowohl im Minimumtarif als auch im Standardtarif deckten bzw decken die Grundgebühr nur die reine Anschlussleistung ab; sie enthielten bzw enthalten - wie alle Tarife der Antragsgegnerin - darüber hinaus das (unverbindliche) Angebot über die Bereitstellung von (gesondert abzurechnenden) Verbindungsleistungen. Zusatzleistungen neben der Anschlussleistung waren im Minimumtarif nicht enthalten und sind im Standardtarif nicht enthalten.

Unbedenklich sind hingegen die bekämpfte Feststellungen, das die "TikTak-Tarife zusätzlich zur Anschlussleistung de facto bestimmte Verbindungsleistungen inkludieren" und dass "der Tarif TikTak Privat bei einem Grundentgelt von 15,98 EUR 60 Freiminuten gewährt". Die Unbedenklichkeit ergibt sich aus den an die bekämpften anschließenden, diese erläuternden Feststellungen, die denn auch nicht gerügt werden.

Die weiters bekämpfte Feststellung, die Antragsgegnerin habe das gegenständliche Tarifsystem mit dem Ziel entwickelt, die CbC und CPS unattraktiv zu machen und die entsprechenden Kunden durch attraktive TikTak-Angebote und Kopplung ihrer Produkte zurückzugewinnen" ist im Zusammenhang mit der Abstellung des Missbrauchs nicht von Bedeutung. Auf die Rüge wird im Zusammenhang mit der Behandlung des Rekurses gegen die Geldbuße eingegangen werden.

2. Zur Rechtsrüge ist auf die Ausführungen in der jüngst ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 11. 10. 2004, 16 Ok 11/04, zu verweisen, die eine inhaltlich gleiche Rechtsrüge der Rekurswerberin bei im Wesentlichen gleichem Sachverhalt ausführlich behandeln und für nicht berechtigt erachten. Der vorliegenden Rechtsrüge kommt nur insofern Berechtigung zu, als der Abstellungsauftrag zu weit gefasst wurde.

Die Ausführungen in der genannten Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Antragsgegnerin ist einziges marktbeherrschendes Unternehmen im Sinn des § 34 Abs 1 Z 1 KartG auf dem - hier örtlich allein relevanten inländischen - Markt für Anschlussleistungen (Marktanteil 95 %). Ein kausaler Zusammenhang zwischen marktbeherrschender Stellung und dem eingesetzten missbräuchlichen Verhalten ist nicht erforderlich, um den Tatbestand des § 35 KartG zu erfüllen. Mit dem von der Antragsgegnerin beherrschten Markt ist der Markt für Verbindungsleistungen so eng verbunden, dass Kunden, die Bedarfsträger des einen Markts sind, notwendig zugleich als potentielle Kunden auf dem anderen Markt in Frage kommen. Deshalb ist ein Verhalten der Antragsgegnerin, soweit es geeignet ist, sich auf dem Markt für Verbindungsleistungen auszuwirken, jedenfalls am Maßstab des § 35 KartG zu beurteilen, ohne dass es darauf ankäme, ob die Antragsgegnerin auch diesen Markt beherrscht. Da die ANB aus - im einzelnen dargelegten - Gründen im Regelfall nicht in der Lage sind, ein gleichwertiges kombiniertes Tarifsystem anzubieten wie die Marktbeherrscherin auf dem Anschlussmarkt, und das beanstandete Tarifsystem der wirtschaftlich überlegenen Antragsgegnerin - gleichbleibendes Konsumverhalten mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt - wegen der von ihm ausgehenden beachtlichen wirtschaftlichen Anreize zum Verbrauch der Verbindungsgebühren im Netz der Antragsgegnerin geeignet ist, dem komplementären Markt für Verbindungsleistungen Nachfragepotential zu Lasten der dortigen Mitbewerber zu entziehen, liegt eine Tarifgestaltung vor, die negative Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse befürchten lässt und die die Wettbewerbschancen der Mitbewerber erheblich beeinträchtigt. Die Tarifstruktur der Antragsgegnerin weicht auch von den Mitteln eines leistungsgerechten Dienstleistungswettbewerbs ab, weil zwei komplementäre Dienstleistungen mit unterschiedlichen Märkten vom beherrschenden Unternehmen des einen Markts als Paket angeboten werden, wobei die preisgünstigsten Möglichkeiten für Kunden, die (quasimonopolistisch angebotene) Anschlussleistung von der Antragsgegnerin zu beziehen, in Tarifen besteht, die auch Verbindungsleistungen enthalten. Für die Mitbewerber wird so eine Beeinträchtigung auf dem Markt für Verbindungsleistungen bewirkt, die über die Existenz der den Markt für Anschlussleistungen beherrschenden Antragsgegnerin, deren Marktmacht und die damit verbundene wettbewerbsnormale Tätigkeit und Verdrängungswirkung hinausgeht. Der Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach der Generalklausel des § 35 KartG ist mit einem solchen Verhalten verwirklicht.

Bei dieser Sachlage kommt es nicht weiter darauf an, ob bei den in den beanstandeten Tarifen enthaltenen Verbindungsgebühren eine Kampfpreisunterbietung, eine Quersubventionierung oder ein Verkauf unter dem Einstandspreis gegeben ist; die in diesem Zusammenhang gerügten Feststellungsmängel bedürfen daher keiner näheren Erörterung. Dass die Regulierungsbehörde die Tarife genehmigt hat, steht dem gerichtlichen Missbrauchsverfahren nicht entgegen (vgl § 2 Abs 4 TKG 2003); Verfahren vor der Regulierungsbehörde und kartellgerichtliche Verfahren lassen einander unberührt (vgl 16 Ok 11/03 = MR 2004, 143 - Schnurlostelefon mwN).

Der Abstellungauftrag ist insofern zu weit, als er der Antragsgegnerin verbietet, als günstigste Möglichkeit zum Bezug der Anschlussleitung ein Tarifmodell vorzusehen, das auch Verbindungsleistungen inkludiert. Die Antragstellerin stellt denn in ihrer Gegenäußerung selbst klar, dass sie weder die TikTak Tarife als solche beanstandet noch behauptet, im Anbieten von Anschluss- und Verbindungsleistungen liege schon ein Missbrauch. Der Abstellungsantrag war wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

3. Zur Tatsachen- und zur Verfahrensrüge:

Der festgestellte Sachverhalt ist ausreichende Grundlage zur Beurteilung des als missbräuchlich beanstandeten Tarifsystems; die Tatsachenrüge erweist sich damit als unerheblich. Zur Verwirklichung des Tatbestands des § 35 KartG ist eine wettbewerbsschädliche Absicht des Marktbeherrschers nicht erforderlich; die objektive Eignung eines Verhaltens, den verpönten Erfolg herbeizuführen, genügt. Insofern kommt es auf die bekämpften Feststellungen zu den von der Antragsgegnerin mit dem Tarifsystem verfolgten Ziel nicht an. Die Gründe für die Marktbeherrschung auf dem Markt für Anschlussleistungen sind ebenso wie eine Beurteilung der Auswirkungen des Tarifsystems auf CbC und CPS für die Entscheidung ohne Bedeutung. Dass in Verfahren nach § 35 KartG, in denen auch Geldbußen verhängt werden können (§ 142 Z 1 lit b KartG), die Vorgaben des Art 6 MRK zu beachten sind, kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Ein faires Verfahren iSd Art 6 MRK verlangt aber vom Gericht keineswegs, sämtliche beantragten Beweise aufzunehmen, wie die Antragsgegnerin unrichtig unterstellt. Weil es - wie zuvor ausgeführt - auf eine Marktmacht der Antragsgegnerin auf dem Markt für Verbindungsleistungen nicht ankommt, hat das Kartellgericht Beweisanträge zu diesem Thema zu Recht abgewiesen. Welchen "wettbewerblichen Gehalt" das Tarifsystem der Antragsgegnerin hat und welche wettbewerblichen Auswirkungen von ihm ausgehen können, ist als Rechtsfrage einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Von den Fragen, warum die Möglichkeit zur Entbündelung von Anschlüssen nicht stärker in Anspruch genommen wird, nach welchen Kriterien die Regulierungsbehörde Tarife überprüft, und wie das Tarifsystem der Antragsgegnerin im Einzelnen nach Kostenstellen strukturiert ist, hängt die Entscheidung nicht ab; wenn das Kartellgericht abgelehnt hat, Zeugen zu diesen Themen zu vernehmen, begründet dies keinen Verfahrensmangel.

4. Zum Rekurs gegen die Verhängung einer Geldbuße:

Die Rekurswerberin macht geltend:

Sollte der Oberste Gerichtshof der Rechtsauffassung sein, dass die gesetzliche zumessungsrechtliche Ausgestaltung der kartellrechtlichen Geldbußen indeterminiert sei, so wäre ein entsprechender Aufhebungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Dieser Antrag ließe sich auch unter dem Gesichtspunkt rechtfertigen, dass die gesetzliche Regelung - mangels expliziter Determinanten - ein exzessives Missverhältnis zwischen dem pönalisierten Verhalten und der dafür vorgesehenen Geldbuße anlege.

Die Antragsgegnerin treffe kein Verschulden. Es treffe nicht zu, dass sie das gegenständliche Tarifsystem mit dem Ziel entwickelt habe, CbC und CPS unattraktiv zu machen und die entsprechenden Kunden durch attraktive TikTak-Angebote und Kopplung ihrer Produkte zurückzugewinnen. Einziges Ziel der Tarifänderung sei die Ersetzung des Minimumtarifs durch den Standardtarif gewesen, weil der Minimumtarif - wie vom Erstgericht festgestellt - nicht mehr kostendeckend operierte. Die Regulierungsbehörde habe die Auflassung des Minimumtarifs geprüft und genehmigt, sodass es am Verschulden der Antragsgegnerin fehle, weil sie mit gutem Grund davon habe ausgehen dürfen, dass die gegenständliche Tarifmaßnahme wettbewerbskonform sei. Die Beanstandung des Tarifsystems durch die Antragstellerin ändere daran nichts, weil die Regulierungsbehörde die Bedenken der Antragstellerin nicht zum Anlass für eine eigene Antragstellung oder sonstige Beanstandung genommen habe. Es sei nicht zutreffend, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Anschlussleistung Gratis-Verbindungsleistungen anbieten würde. Die Antragsstellerin habe auch nie vermocht jene Umstände konkret zu benennen, aus dem sich der Missbrauch ergebe.

Das Erstgericht habe den Umstand, dass das Tarifsystem von der Regulierungsbehörde genehmigt worden sei, bei der Bemessung der Geldbuße in viel zu geringem Ausmaß gewürdigt. Dieser Umstand hätte jedenfalls - also auch bei unrichtiger Annahme eines Verschuldens - zur Zumessung der Geldbuße nach Null führen müssen. Für die Behauptung, dass das Missbrauchsverhalten "auf einem wettbewerbsmäßig gering entwickelten Markt" gesetzt worden sei, gebe es keine "sachverhaltsmäßige" Grundlage. Der Marktanteil der Antragsgegnerin liege im Verhältnis zu anderen Festnetz-Incumbents europaweit im untersten Bereich. Der Wettbewerb sei intensiv. Die Antragsgegnerin könne ihr Marktverhalten nicht ohne Mitberücksichtigung der Reaktion ihrer Konkurrenten bestimmen. Das Gesetz sehe eine Berücksichtigung vergangener Rechtsverstöße nicht vor. Völlig verfehlt sei es, die "große wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" der Antragsgegnerin als "erschwerend" zu beurteilen. Die Umsatzerlöse eines Unternehmens bildeten nur einen Bestimmungsgrund für den Rahmen für die Festlegung der Geldbuße. In einem rechtsstaatlichen Sanktionssystem könne die Größe eines Unternehmens niemals ein Erschwerungsgrund im Rechtssinn sein. Das "So-Sein" eines Unternehmens könne nämlich kein Gesichtspunkt sein, der den Sachverhalt im Hinblick auf Unrecht oder Schuld in irgendeine Richtung hin "erschwere". Und Präventionsgesichtspunkte könnten nur im Rahmen von Unrecht und Schuld von Bedeutung sein.

Hiezu wurde erwogen:

Das Kartellgericht hat gemäß § 142 Z 1 lit b KartG idF KartGNov 2002 auf Antrag einer Amtspartei Unternehmern bzw Verbänden von Unternehmern auf Antrag einer Amtspartei Geldbußen in der Höhe von 10.000 EUR bis 1 Million EUR oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % der von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmer im letzten Geschäftsjahr erzielten weltweiten Umsatzerlöse aufzuerlegen, wenn sie ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen. Bei der Bemessung der Geldbuße ist insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zunehmen (§ 143 KartG).

Die Antragstellerin vertritt in ihrer Gegenäußerung die Auffassung, Verschulden des Unternehmers am Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung sei keine Voraussetzung der Anwendung des § 142 Z 1 lit b KartG, sondern nur bei der Bemessung der Geldbuße relevant. Dem ist nicht zu folgen. Der Gesetzgeber hat zwar entgegen der - ausweislich der Materialien (EBRV 1005 BlgNR 21. GP zu § 142, abgedruckt in Auer/Urlesberger, Kartellrecht5 113 ff) - Vorbildbestimmung des Art 15 Abs 2 EG-VO Nr 17/62 in § 142 Z 1 vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten nicht ausdrücklich als Anwendungsvoraussetzung normiert. Dass aber Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) Voraussetzung der Anwendung des § 142 Z 1 KartG ist, ergibt sich aus § 143 KartG. Wenn bei der Bemessung auf den Grad des Verschuldens Bedacht zu nehmen ist, so ist daraus das Erfordernis des Vorliegens von Verschulden für die Auferlegung einer Geldbuße nach § 142 Z 1 KartG zwanglos abzuleiten, zumal in den Materialien jeder Hinweis auf eine gegenteilige Absicht des Gesetzgebers fehlt. Der Oberste Gerichtshof hat keine Bedenken gegen eine ausreichende Bestimmtheit des § 143 KartG. Die Formulierung dieser Bestimmung reflektiert den Umstand, dass sich die Schwere eines Verstoßes aus sehr vielen Faktoren ergibt, die je nach der Art der Zuwiderhandlung und den besonderen Umständen des Einzelfalls von unterschiedlicher Bedeutung sind. Die bloß beispielsweise Aufzählung der Bemessungskriterien ist von der Sache her bedingt.

Das Erstgericht hat - unter Verweis auf seine Feststellungen - das Verschulden der Antragsgegnerin darin erblickt, dass diese das "gegenständliche Tarifsystem mit dem Ziel entwickelt hat, CbC und CPS unattraktiv zu machen und die entsprechenden Kunden durch attraktive TikTak-Angebote und Kopplung ihrer Produkte zurückzugewinnen". Diese von der Rekurswerberin als unrichtig bekämpfte Feststellung stützte das Erstgericht auf die Urkunden Beilagen ./A bis ./D und die Erwägung, dass die Tarifgestaltung der Marktlogik widerspreche (der billigste Grundgebührtarif berechtige den Kunden gleichzeitig zur Inanspruchnahme von Verbindungsleistungen) und daher nur den genannten Zweck haben könne. Die Rekurswerberin hält die Feststellung durch das "Beweisverfahren nicht gedeckt". Das "gegenständliche Tarifsystem" bestehe nämlich in der Fortführung des überkommenen Tarifsystems mit der einzigen Änderung der Einstellung des Minimumtarifs. Dazu habe aber das Erstgericht festgestellt, dass die Ersetzung des Minimumtarifs deshalb erforderlich war, weil dieser nicht mehr kostendeckend operierte. Vor dem Hintergrund dieser Verfahrensergebnisse sei es nicht vorstellbar, zur Annahme des festgestellten Vorsatzes zu kommen. Unterstellte man nämlich tatsächlich Vorsatz, würde dies bedeuten, dass die Antragsgegnerin bereits Anfang 2001 (Einführung der TikTak Tarife) einen Tarif - den TikTak Privat - in dem Vorsatz eingeführt habe, im September 2003 den Minimumtarif zu streichen, bloß um Wettbewerber zu behindern. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erwecken, setzen sie sich doch mit den Beweismitteln und der Erwägung, auf die das Erstgericht die bekämpfte Feststellung gründete, nicht auseinander. Die von der Rekurswerberin angeführten Umstände sprechen auch nicht zwingend gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts, weil bei der Antragsgegnerin auch ein bestehender TikTak-Tarif bei Wegfall des Minimumtarifs als geeignetes Instrument zur Erreichung des vom Erstgericht genannten Zwecks angesehen werden konnte.

Das Kartellobergericht übernimmt daher die bekämpfte Feststellung. Zurecht erblickte das Erstgericht in dem Umstand, dass das Tarifsystem von der Regulierungsbehörde genehmigt wurde, schon deshalb keinen Entschuldigungsgrund, weil dem Genehmigungsbescheid nicht zu entnehmen ist, dass die Behörde, die zum Vollzug der §§ 35 ff KartG nicht berufen ist, spezifische Überlegungen zur Vereinbarkeit des zu genehmigenden Tarifsystems oder einiger seiner Aspekte mit dem kartellrechtlichen Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung angestellt hätte. Dass die Regulierungsbehörde keinen Antrag auf Abstellung des Missbrauchs stellte, ist nicht erheblich. Als die Schwere des Verstoßes mildernd hat das Erstgericht die Genehmigung zutreffend gewertet. Das Rekursgericht kann auch nicht die Ansicht der Rekurswerberin teilen, es fehle das Substrat für die Annahme eines Verstoßes auf einem wettbewerbsmäßig gering entwickelten Markt. Zum einen sprechen hiefür die Feststellungen über die Marktanteile der Antragsgegnerin, zum anderen, dass der Gesetzgeber des TKG 2003 der Regulierungsbehörde - in Ausweitung ihrer Befugnisse - Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Dienste für Endbenutzer (§ 43 TKG 2003) aufträgt. So kann die Regulierungsbehörde einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht ua auferlegen, die ungerechtfertigte Bündelung von Diensten zu unterlassen (§ 43 Abs 2 Z 5 TKG 2003). Der Gesetzgeber geht offenbar von einem wettbewerbsmäßig zu gering entwickelten Markt aus, wenn er in der sektorspezifischen Regulierung die Kompetenzen der Behörde in Bezug auf die Missbrauchsaufsicht erweitert.

Dass § 143 KartG keine Grundlage für die Berücksichtigung eines früheren, als einschlägigen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung festgestellten Verhaltens des betroffenen Unternehmens (hier: die Behinderung der ANB durch die Rekurswerberin, die Gegenstand des mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 1. 2003, 29 Kt 396/02-26, bestätigt durch den Beschluss des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht vom 17. 11. 2003, 16 Ok 11/03 - Schnurlostelefon) bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße bildet, ist unzutreffend. Dieser Aspekt ist einer der Umstände des Einzelfalls, deren Berücksichtigung und Gewichtung der Wortlaut der Bestimmung erlaubt, aber auch der dem kartellrechtlichen Sanktionssystem der Geldbußen innewohnende Präventionsgedanke (vgl EBRV 1005 BlgNR 21. GP aaO) verlangt.

Aus dem Wortlaut des § 143 KartG ergibt sich schließlich unmittelbar, dass bei der Bemessung der Geldbuße auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen ist. Im Hinblick darauf ist die Frage, ob dieser Umstand der Schwere des Verstoßes zugeordnet - und insofern als "erschwerend" gewertet - wird, nicht erheblich. Wenngleich - wie schon erwähnt - der Umstand der Genehmigung des Tarifsystems durch die Regulierungsbehörde bei der Bemessung der Geldbuße als mildernd zu berücksichtigen ist, kann er nicht zu einer "Geldbuße nach Null" führen, ist doch eine Mindestgeldbuße von 10.000 EUR vorgesehen. Angesichts der auf Grund der festgestellten Umsatzerlöse der Antragsgegnerin gegebenen Obergrenze der Geldbuße kann nicht die Rede davon sein, das Erstgericht sei bei der Abwägung der von ihm zur Bemessung der Geldbuße herangezogenen Umstände fehlerhaft vorgegangen und habe seinen Ermessensspielraum überschritten und die Geldbuße unangemessen zu hoch festgesetzt. Dem Rekurs der Antragsgegnerin ist daher nur teilweise Erfolg beschieden.

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