OGH 8ObS15/04w

OGH8ObS15/04w11.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Komm.Rat Mag. Paul Kunsky und Mag. Johannes Denk als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Eva F*****, vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei IAF - Service GmbH, Geschäftsstelle I*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (10.467,08 EUR netto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juli 2004, GZ 25 Rs 58/04x-9, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. April 2004, GZ 47 Cgs 34/04k-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war als Verkäuferin bei der M***** K***** KG beschäftigt. Ihr Sohn wurde am 20.6.2001 geboren. Sie bezog vom 29. 4. 2001 bis 19. 8. 2001 Wochenhilfe und im Anschluss daran bis 20. 12. 2003 gemäß § 1 Z 1 KGG von der Tiroler Gebietskrankenkasse Karenzgeld.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Konkursgericht vom 26. 11. 2002, 19 S 189/02w, wurde über das Vermögen der Dienstgeberin der Klägerin der Konkurs eröffnet. Mit Beschluss vom 20. 12. 2002 bewilligte das Landesgericht Innsbruck als Konkursgericht die Schließung von Teilbereichen des Unternehmens (Großhandel mit Bergsportartikeln; Metallverarbeitung und Näherei). Die Bekanntmachung dieses Beschlusses in der Insolvenzdatei erfolgte am 23. 12. 2002.

Die Klägerin war in einem von der Teilschließung erfassten Bereich beschäftigt. Sie erklärte mit Schreiben bzw mit Wirkung vom 31. 12. 2002 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Teilschließungsbeschluss des Landesgerichtes Innsbruck ihren berechtigten vorzeitigen Austritt. Der Masseverwalter bestätigte in einem Schreiben vom 2. 1. 2003 an die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol, die die Klägerin im Verwaltungsverfahren vertrat, dass er mit der Klägerin das arbeitsrechtliche Ende der Karenz mit 31. 12. 2002 vereinbarte.

Die beklagte Partei erkannte der Klägerin über deren Antrag Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von 11.844 EUR (Abfertigung) und von 955 EUR (Urlaubsersatzleistung und Kosten für die Forderungsanmeldung) zu; sie lehnte jedoch mit Bescheid vom 13. 2. 2004 die aus dem Rechtsgrund der Kündigungsentschädigung (8.840,98 EUR) und des Schadenersatzes (1.626,11 EUR) geltenden gemachten Ansprüche einschließlich aliquoter Sonderzahlungen als gemäß § 1 Abs 2 IESG nicht gesichert ab.

Die Klägerin begehrt Zahlung von 10.467,08 EUR an Insolvenz-Ausfallgeld (Kündigungsentschädigung vom 1. 1. bis 28. 5. 2003 8.840,98 EUR; Schadenersatz inklusive Sonderzahlungen vom 29. 5. bis 30. 6. 2003 1.626,11 EUR). Der Kündigungsschutz, den die Klägerin vor der Betriebsteilschließung genossen habe, sei infolge der Teilschließung gemäß § 10 Abs 3 MSchG iVm § 15 MSchG weggefallen. Die Klägerin selbst habe von der ihr gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Beendigung des Dienstverhältnisses gemäß § 25 KO Gebrauch gemacht. Sie sei daher finanziell so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie der Masseverwalter per 31. 12. 2002 zum nächstmöglichen Termin gekündigt hätte. In Anbetracht der über 15 Jahre andauernden Beschäftigung der Klägerin bei der späteren Gemeinschuldnerin hätte der Masseverwalter eine viermonatige Kündigungsfrist einhalten müssen, wozu die vierwöchige Behaltefrist hinzuzurechnen sei. Da die Kündigung überdies nur zum Quartal, somit zum 30. 6. 2003, möglich gewesen wäre, stünde der Klägerin für den Zeitraum 29. 5. 2003 bis 30. 6. 2003 auch ein Schadenersatzanspruch zu. Das "Kinderbetreuungsgeld" gebühre der Klägerin unabhängig davon. Allenfalls müsse sie das Kinderbetreuungsgeld anteilig zurückerstatten. Mit dem Masseverwalter sei das arbeitsrechtliche Ende der Karenz per 31. 12. 2002 vereinbart worden. Diese Vereinbarung sei zulässig. Die Klägerin hätte daher ab 1. 1. 2003 arbeiten müssen. Infolge der Schließung jenes Betriebsbereiches, in dem die Klägerin zuvor tätig gewesen sei, habe sie berechtigt vorzeitig austreten können.

Die beklagte Partei wendet ein, dass mit Stilllegung des Unternehmensbereiches, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen sei, der in § 10 Ab 1 MSchG normierte besondere Kündigungsschutz weggefallen sei. Der nach § 25 Abs 1 KO vorzeitig austretende Arbeitnehmer leite seine Ansprüche aus § 29 AngG oder § 1162b ABGB ab. Der Arbeitnehmer könne dadurch, dass er vorzeitig ausgetreten sei, nicht besser gestellt werden, als wenn das Arbeitsverhältnis noch bis zum Verstreichen der gesetzlichen Kündigungsfrist gedauert hätte. Der Gesetzgeber habe eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindern wollen. Bei ordnungsgemäßer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die jedenfalls zum 30. 6. 2003 möglich gewesen wäre, wäre der Klägerin wegen Bezug des Karenzgeldes kein Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zugestanden. Sämtliche hier geltend gemachten Ansprüche der Klägerin fielen in den "entgeltfreien" Zeitraum des Bezuges von Karenzgeld.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgte rechtlich dem Standpunkt der beklagten Partei: Der Klägerin stünden nur jene Ansprüche zu, die bei ordnungsgemäßer Beendigung des Dienstverhältnisses gebührten. Die Klägerin sei damit so zu stellen, als ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung des Masseverwalters beendet worden wäre. Da die Klägerin sowohl zum Zeitpunkt ihres Austrittes als auch während der fiktiven Kündigungsfrist Karenzgeld bezogen habe, stehe ihr kein Entgeltanspruch und somit auch keine Kündigungsentschädigung zu.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob die Überwälzung der Auswirkungen einer einseitig zu Lasten des Gemeinschuldners getroffenen Vereinbarung auf die beklagte Partei rechtsmissbräuchlich sei, Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Rechtlich billigte das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, dass die von der Klägerin behauptete und durch die Bestätigung des Masseverwalters vom 2. 1. 2003 unter Beweis gestellte Vereinbarung einer einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung des Karenzurlaubes per 31. 12. 2002 zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als jener Betriebsteil, in dem die Klägerin gearbeitet habe, bereits geschlossen gewesen sei. Die Vereinbarung hätte zwar wieder eine Entgeltverpflichtung des Dienstgebers begründet, eine korrespondierende Arbeitspflicht der Klägerin hätte aber aufgrund der Schließung des Betriebsteiles nicht bestanden. Die Vereinbarung habe somit die Klägerin einseitig begünstigt. Diese Vorgangsweise verstoße gegen § 879 Abs 1 ABGB, weil damit rechtsmissbräuchlich unter Verletzung des Sozialstaatsprinzips Verpflichtungen des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds begründet werden sollten. Nach ständiger Rechtsprechung habe das IESG den Zweck, die Arbeitnehmer gegen das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihres Entgeltanspruches, auf den sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen seien, bei Insolvenz des Arbeitgebers abzusichern. Dem Karenzurlaubsgeld komme Einkommensersatzfunktion für das andernfalls gebührende laufende Entgelt zu. Damit bestehe eine hinreichende soziale Abfederung. Die zu Lasten der beklagten Partei getroffene Vereinbarung der Klägerin mit dem Masseverwalter könne daher auch aus sozialen Erwägungen nicht gerechtfertigt werden. Es bedürfe daher auch keiner Klärung der Frage, ob die von der Klägerin behauptete Vereinbarung mit dem Masseverwalter über das vorzeitige Ende der Karenz vor oder nach Auflösung des Dienstverhältnisses geschlossen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 31. 12. 2002 rechtzeitig (Teilschließungsbeschluss 20. 12. 2002; bekannt gemacht am 23. 12. 2002) ihren vorzeitigen Austritt gemäß § 25 Abs 1 Z 2 lit a KO. Zutreffend und von der Revision auch gar nicht bezweifelt, erkannten die Vorinstanzen, dass der nach § 25 Abs 1 KO vorzeitig austretende Arbeitnehmer seine Ansprüche aus § 29 AngG (§ 1162b ABGB) ableitet. Er ist daher auf den dort genannten Zeitraum, nämlich jenen, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch "ordnungsgemäße Kündigung" des Arbeitsverhältnisses hätte verstreichen müssen, beschränkt. Ob und in welchem Umfang der Dienstnehmer Anspruch auf "Kündigungsentschädigung" hat, hängt daher davon ab, inwieweit ihm bei ordnungsgemäßer Beendigung des Dienstverhältnisses vertragsmäßige Ansprüche auf das Entgelt zugestanden wären. Der Arbeitnehmer soll das bekommen, was ihm ohne seine berechtigte Auflösungserklärung zugekommen wäre. Die Klägerin ist daher so zu stellen, als ob ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung durch den Masseverwalter beendet worden wäre (ZIK 1997, 61 mwN).

Die Klägerin hat sich selbst ausdrücklich darauf gestützt, dass durch die Schließung jenes Betriebsteiles, in dem sie beschäftigt war, ihr Kündigungsschutz gemäß § 10 Abs 3 letzter Satz MSchG endete. Es ist daher hier davon auszugehen, dass zwischen den Streitteilen nicht strittig ist, dass die Stilllegung jenes Betriebsteiles, in dem die Klägerin beschäftigt war, mit dem Zeitpunkt der konkursgerichtlichen Bewilligung der Unternehmensschließung zusammenfiel, also der Unternehmensbereich nach Teilschließung auch nicht im eingeschränkten Umfang - etwa zur Vornahme von Abwicklungstätigkeiten - fortgeführt wurde (vgl auch dazu ZIK 1997, 61).

Die Revision bezweifelt auch nicht, dass der Arbeitnehmerin bei vorzeitigem Austritt gemäß § 25 KO dann kein Ersatzanspruch ("Kündigungsentschädigung") zusteht, wenn der Fortfall des Kündigungsschutzes infolge tatsächlicher Betriebsstilllegung sowie die vom Masseverwalter allein zu beachtende gesetzliche Kündigungsfrist in einen Zeitraum fallen, in dem die Arbeitnehmerin gemäß § 15 MSchG weder Anspruch auf Arbeitsentgelt noch auf Urlaubsentschädigung hat (ZIK 1997, 61).

Die Klägerin stützt die von ihr geltend gemachten Ansprüche ausschließlich darauf, dass durch die zulässige Vereinbarung mit dem Masseverwalter über die vorzeitige Beendigung ihres Karenzurlaubes, die zeitlich vor ihrem vorzeitigen Austritt geschlossen worden sei, ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum ab 1. 1. 2003 zustehe.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass diese Vereinbarung im Hinblick auf den unstrittigen Umstand, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung jener Betriebsteil, in dem die Klägerin beschäftigt war, nicht nur konkursrechtlich geschlossen, sondern auch tatsächlich stillgelegt war, als sittenwidrig im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB anzusehen ist, weil diese Vereinbarung ausschließlich zu Lasten der beklagten Partei geht: Es entspricht der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung, dass Vereinbarungen, soweit damit (sonst nicht bestehende) Verpflichtungen des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds begründet werden sollen, rechtsmissbräuchlich und damit im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB nichtig sind (8 ObS 94/00g mwN). Genau dieser Fall liegt hier - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - vor: In Wahrheit gesteht die Klägerin in ihrer Revision selbst zu, dass einziger Zweck der von ihr geschlossenen Vereinbarung mit dem Masseverwalter war, der Klägerin die hier geltend gemachten Ansprüche zu sichern, weil das von ihr bezogene Karenzgeld (Kinderbetreuungsgeld stand der Klägerin infolge des in § 49 Abs 1 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes geregelten Stichtages nicht zu) die Klägerin nicht ausreichend "sozial abfedere". Dabei sei zu berücksichtigen, dass ohne Unternehmensteilschließung nach Beendigung des Karenzurlaubes die volle Entgeltverpflichtung zum Tragen gekommen wäre. Allerdings liegt der Zweck des IESG darin, Arbeitnehmern das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Ansprüche bei einer Insolvenz des Arbeitgebers zu nehmen (RIS-Justiz RS0076384); nicht aber soll das Insolvenz-Ausfallgeld alle denkbaren zukünftigen, nicht von den Sicherungszeiträumen des IESG umfasste Nachteile ausgleichen, die dem Arbeitnehmer durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Arbeitgebers entstehen.

Da somit die Klägerin selbst zugesteht, dass die mit dem Masseverwalter getroffene Vereinbarung ausschließlich den Zweck hatte, ihr sonst nicht zustehende Ansprüche nach IESG zu gewährleisten, ist diese Vereinbarung als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch haben sich Anhaltspunkte dafür ergeben.

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