OGH 6Ob151/04f

OGH6Ob151/04f21.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen David T*****, und Sascha T*****, hier vertreten durch die Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge, Bezirke 17, 18, 19, 1190 Wien, Gatterburggasse 14, als Unterhaltssachwalter, über dessen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. April 2004, GZ 44 R 167/04s, 44 R 168/04p-62, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Döbling vom 11. Februar 2004, GZ 35 P 81/03s-55 und 35 P 81/03s-56, abgeändert wurden, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen und ihre Mutter sind jugoslawische Staatsangehörige. Herbert Tichy, der die Vaterschaft zu den beiden Kindern am 7. 1. 2000 anerkannt hat, ist österreichischer Staatsangehöriger. Die Kinder tragen den Namen des Vaters aufgrund einer Namensänderung. Mit einstweiligen Verfügungen vom 11. 7. 2003 verpflichtete das Erstgericht den Vater gemäß § 382a EO im Hinblick auf das anhängige Unterhaltsfestsetzungsverfahren zur Leistung von vorläufigen monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je 130,90 EUR. Am 12. 1. 2004 beantragte der Unterhaltssachwalter die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in dieser Höhe und verwies auf die Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen.

Das Erstgericht gewährte die begehrten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 5 UVG für die Zeit vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2004. Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien erhobenen Rekurs Folge und änderte die Beschlüsse im Sinn einer Antragsabweisung ab. Die Kinder und ihre Mutter hätten zwar ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, sie seien jedoch nicht österreichische Staatsangehörige und auch nicht Bürger eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft, die wie Inländer zu behandeln wären. Die vom Unterhaltssachwalter zitierte Verordnung zur Ausdehnung der Bestimmungen über Familienleistungen auf Drittstaatsangehörige wirke sich nicht zugunsten der Minderjährigen aus, weil diese Verordnung keine Anwendung in Situationen finde, die mit keinem Element über die Grenze eines einzigen Mitgliedstaats hinauswiesen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Situation eines Drittstaatsangehörigen - wie hier - ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufweise. Die zitierte Verordnung fände Anwendung, wenn in einem Mitgliedsstaat Ansprüche erworben worden wären, in einem anderen Mitgliedstaat aber aufgrund der Staatsbürgerschaft einem Drittstaatsangehörigen nicht gewährt würden. Dies sei hier aber nicht der Fall. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu dieser Rechtsfrage keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Auf die zutreffende Begründung des Rekursgerichts ist zu verweisen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO). Eine Leistung wie der Unterhaltsvorschuss nach dem österreichischem UVG ist zwar eine Familienleistung im Sinn von Art 4 Abs 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Wanderarbeitnehmerverordnung), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung. Daher haben die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnenden Personen, für die diese Verordnung gilt, gemäß deren Art 3 unter den selben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine solche im Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehene Leistung (SZ 74/61). Jugoslawien ist aber kein Mitgliedsstaat, sodass jugoslawische Kinder, die in Österreich wohnen, gemäß § 2 Abs 1 UVG keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben. Aus Art 1 der im Antrag des Unterhaltssachwalters zitierten Verordnung Nr 859/2003 lässt sich für dessen gegenteiligen Rechtsstandpunkt nichts gewinnen. Der letzte Halbsatz dieser Bestimmung ("... wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und ihre Situation mit einem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist") bringt vielmehr zum Ausdruck, dass die Anwendung der Verordnung, wie in Punkt 12. ihrer Erwägungen unmissverständlich ausgeführt wird, eine Beziehung der Situation zur einem weiteren Mitgliedstaat voraussetzt, wenn der Anspruchsweber ein Drittstaatsangehöriger ist. In Österreich findet diese Verordnung zudem nur auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die die Voraussetzungen des österreichischen Rechts für einen dauerhaften Anspruch auf Familienbeihilfe erfüllen (Anhang II der zitierten Verordnung Nr 859/2003). Ob diesem (weiteren) Erfordernis entsprochen ist, ist hier entgegen der Ansicht des Unterhaltssachwalters nicht ausschlaggebend, weil mit Ausnahme der Staatsangehörigkeit der Kinder ein reiner Inlandsbezug vorliegt. Die Kinder fallen daher auch nach Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Wanderarbeitnehmerverordnung nicht unter deren Bestimmungen. In den nicht vom Anwendungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung erfassten Fällen ist der nationale Gesetzgeber grundsätzlich frei, an welche Tatbestände er die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen knüpft (4 Ob 260/02t; 10 Ob 60/03a). Nach dem hier daher allein zur Anwendung kommenden innerstaatlichen Recht haben die Kinder keinen Anspruch auf Vorschüsse, weil sie weder österreichische Staatsangehörige noch staatenlos sind (§ 2 Abs 1 UVG).

Der antragsabweisende Beschluss des Rekursgerichts ist daher zu bestätigen.

Stichworte