OGH 1Ob205/04k

OGH1Ob205/04k15.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Berta H*****, und 2. Stefanie T*****, beide vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 72.670 EUR sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 18. Juni 2004, GZ 5 R 46/04f-15, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Dezember 2003, GZ 39 Cg 212/03f-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.698,50 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu zahlen.

Text

Begründung

Die Klägerinnen begehrten aus dem Titel der Staatshaftung die Zahlung von 72.670 EUR. Diesen Betrag hätten sie als gesetzliche Erben nach einer am 29. 6. 1999 Verstorbenen (in der Folge Erblasserin) erhalten müssen. Die Erblasserin habe zum 7. 4. 1999 über ein Sparbuch mit einem Einlagestand von mehr als 1,000.000 S verfügt, und dieses Sparbuch sei knapp vor ihrem Tod von einer unbekannten Person widerrechtlich realisiert worden. Das Realisat sei auf drei neu errichtete anonyme Sparkonten aufgeteilt, und diese Sparguthaben seien im Jahre 2000 behoben worden. Infolge der Anonymität der Sparkonten hätten die Klägerinnen auch in gerichtlichen Verfahren nicht nachweisen können, dass die Sparguthaben in den Nachlass der Erblasserin gefallen wären. Dies habe der österreichische Gesetzgeber zu verantworten, weil er die Richtlinie 91/308/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (in der Folge kurz Geldwäscherichtlinie) gemeinschaftsrechtswidrig nicht schon mit dem Beitritt Österreichs zur EU (1. 1. 1995), sondern erst mit der Novellierung des Bankwesengesetzes im Jahre 2000 umgesetzt habe. Bei rechtzeitiger Umsetzung der Geldwäscherichtlinie hätten die Klägerinnen nachweisen können, dass das Sparguthaben in die Erbmasse gehörte.

Die beklagte Partei wendete prozessual Unzulässigkeit des Rechtswegs ein; materiell führte sie aus, die zitierte Richtlinie sei zeitgerecht umgesetzt worden, und der Schutzzweck der Richtlinie sei im Übrigen nicht auch die Verhinderung des den Klägerinnen erwachsenen Schadens. Es mangle am Kausalzusammenhang, der Anspruch sei verjährt.

Das Erstgericht sprach infolge Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs seine Unzuständigkeit aus, erklärte das (bisherige) Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Die Klägerinnen gründeten ihren Anspruch auf unmittelbares legislatives Unrecht, weil der österreichische Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Sie behaupteten einen ohne Zwischenschaltung eines hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgans oder eines privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgans entstandenen Schaden. In diesem Fall sei das anspruchsbegründende Verhalten unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen und deshalb die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs gemäß Art 137 B-VG gegeben.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die ordentlichen Gerichte seien dann zuständig, wenn der sich aus dem legislativen Unrecht ergebende Schaden nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen, sondern auf Unterlassungen oder Handlungen eines hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgans zurückzuführen sei. Dies sei hier aber nicht der Fall. Der Verfassungsgerichtshof habe mit seiner Rechtsprechung keine Zuständigkeitsnorm (neu) geschaffen, sondern den Begriff der bürgerlichen Rechtssache so ausgelegt, dass auf legislatives Unrecht gestützte Staatshaftungsansprüche in seine Zuständigkeit fielen. Es sei nicht erkennbar, dass dadurch der "Zugang zum Recht" wesentlich erschwert sein sollte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerinnen ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Klägerinnen leiten ihre Ansprüche allein aus dem Gemeinschaftsrecht ab. Sie richten ihren Vorwurf einer die Staatshaftung begründenden Fehlleistung gegen den Gesetzgeber, der die Geldwäscherichtlinie nicht in angemessener Zeit umgesetzt habe.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es "Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen (staatshaftungsrechtlichen) Schadenersatz zuständig ist". Der österreichische Gesetzgeber hat die Frage, vor welcher staatlichen Behörde und in welchem Verfahren gemeinschaftsrechtlich begründete Erstattungs- oder Staatshaftungsansprüche geltend zu machen sind, nicht ausdrücklich geregelt. Es ist daher nach den allgemeinen Grundsätzen der Zuständigkeitsverteilung vorzugehen, wie sie sich in der österreichischen Rechtsordnung finden, wobei freilich den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen, wie sie der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen formuliert hat, Rechnung getragen werden muss; insbesondere dürfen die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Durchsetzung von Staatshaftungsansprüchen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrmals seine Auffassung kundgetan, Erstattungs- bzw Staatshaftungsansprüche, die im Gemeinschaftsrecht wurzeln, könnten - wiewohl sie letztlich Schadenersatzansprüche sind - nicht als privatrechtliche Ansprüche angesehen werden, weil sie einer Norm des primären Gemeinschaftsrechts bzw dessen Weiterentwicklung durch den Europäischen Gerichtshof entsprängen. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs bestehe bei einem Anspruch, der sich auf legislatives Unrecht stützt, aber nur dann, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind. Werden Vollzugsorgane (beispielsweise Gerichte) tätig, die eine allfällige Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Gesetzgeber aufgreifen könnten, dann seien diese Ansprüche im Amtshaftungsweg und nicht vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art 137 B-VG geltend zu machen (siehe hiezu VfGH vom 12. 12. 2003, GZ A 2/01 ua; VfGH vom 10. 10. 2003, GZ A 36/00; VfGH in ZVR 2001/49).

In Anwendung dieser vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Rechtsgrundsätze, dem schließlich verfassungsrechtlich (Art 138 Abs 1 lit b B-VG) die Kompetenz zugewiesen ist, Kompetenzkonflikte zwischen ihm und - ua - den ordentlichen Gerichten zu lösen, sind im vorliegenden Fall nicht die ordentlichen Gerichte, sondern ist der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 137 B-VG zur Entscheidung berufen: Es wurde kein Vollzugsorgan tätig, das die von den Klägerinnen behauptete Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Gesetzgeber hätte (wirksam) aufgreifen können. Wenngleich die Klägerinnen gerichtlich gegen eine Person, von der sie mutmaßten, sie habe sich das Sparbuch angeeignet, anonyme Sparkonten eingerichtet und sodann die Spargelder behoben, vorgingen, sind dabei doch nicht Vollzugsorgane in dem vom Verfassungsgerichtshof aufgezeigten Sinn tätig geworden, denn die angerufenen Gerichte wären bei anonymen Sparkonten außerstande gewesen, eine eigentumsrechtliche Zuordnung der "anonymen Sparguthaben" zur Erblasserin herbeizuführen. Geldinstitute waren zu den fraglichen Zeitpunkten noch nicht verpflichtet, entsprechende Aufzeichnungen zu führen, die eine Auskunftserteilung ermöglicht hätten, und dies ist (allein) der Grund hiefür, dass der österreichische Gesetzgeber die Geldwäscherichtlinie erst im Jahre 2000 innerstaatlich umgesetzt hat. Es kann weder dem betroffenen Geldinstitut - das im Übrigen auch gewiss nicht als staatliches Organ angesehen werden kann - noch den Gerichten, die im Zivilrechtsweg tätig wurden, ein Vorwurf dahin gemacht werden, dass sie die Geldwäscherichtlinie nicht unmittelbar angewendet haben, vielmehr wurde der - mit den Klagsbehauptungen verbundene - Beweisnotstand der Klägerinnen lediglich dadurch verursacht, dass die Geldwäscherichtlinie verspätet umgesetzt wurde und deshalb ein Beweis, wer die Sparguthaben verbrachte, nicht mehr erbracht werden konnte. Die vom Verfassungsgerichtshof gewählte Formulierung, die ordentlichen Gerichte seien dann zuständig, wenn Vollzugsorgane tätig wurden, die eine allfällige Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Gesetzgeber hätten aufgreifen können, ist sinnvoller Weise so auszulegen, dass deren Aufgreifen mit - wenigstens - einiger Aussicht auf Erfolg möglich gewesen wäre. Die Klägerinnen konnten die ihnen durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte - auf Feststellung des anonymen Behebers des Sparguthabens - vor den nationalen Gerichten nicht (erfolgreich) geltend machen (vgl 8 ObS 13/03z), Vollzugsorgane konnten insoweit auch keine Hilfestellung leisten, und die anspruchsbegründende Unterlassung (verspätete Umsetzung der Geldwäscherichtlinie) ist daher unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen, weil die Vorinstanzen die Rechtswegzulässigkeit - wenngleich das Erstgericht in missverständlicher Formulierung - im Ergebnis zutreffend verneinten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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