OGH 9ObA47/04h

OGH9ObA47/04h29.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angela S*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei R*****Gesellschaft mbH, *****, 4020 Linz, vertreten durch Mag. Dr. Reinhard Selendi, Rechtsanwalt in Wels, wegen EUR 1.576,04 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2004, GZ 12 Ra 1/04k-11, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Oktober 2003, GZ 8 Cga 148/03g-6, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zurückgewiesen

2.) Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 300,10 (darin EUR 50,02 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der beklagten Gesellschaft als Angestellte beschäftigt. Mit Schreiben vom 19.12.2002 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2003 auf. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung hatte die Arbeitgebergesellschaft zwei Gesellschafter. Danach übertrug zunächst eine Gesellschafterin ihren Anteil an den anderen Gesellschafter, welcher dadurch zum Alleingesellschafter wurde. Dessen Anteile erwarb im März 2003 die J***** GmbH, welche nunmehr Alleingesellschafterin ist.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Zahlung des Gehalts für April 2003. Die Gesamtveräußerung der Gesellschaftsanteile sei als "Veräußerung" des Betriebes iSd § 3 AVRAG zu werten, weshalb die Kündigung der arbeitsbereiten Klägerin unwirksam sei. Andernfalls könnten mit einem "share deal" die Schutzbestimmungen der §§ 3 ff AVRAG umgangen werden.

Die beklagte Partei bestritt das Vorliegen eines Betriebsübergangs und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Erst- und Berufungsgericht verneinten, gestützt auf die Lehre, einen Betriebsübergang. Inhaber des Betriebes seien nicht die Gesellschafter, sondern die Gesellschaft. Hinsichtlich Letzterer habe aber kein Wechsel stattgefunden.

Das Berufungsgericht gab daher der gegen das klageabweisende Urteil des Erstgerichtes erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revison zulässig sei, weil es noch kein Rechtsprechung dazu gebe, ob ein bloßer Gesellschafterwechsel als Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG beurteilt werden könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise werden ein Aufhebungsantrag sowie ein Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH gestellt.

Die beklagte Partei beantragte, die Revision der klagenden Partei zurückzuweisen; hilfsweise, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.)

Parteien haben kein Antragsrecht auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH, sie können die Verfahrenseinleitung nur anregen. Der formell gestellte Antrag ist daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452). Für das Aufgreifen einer solchen Anregung bietet sich aber, wie unten noch zu erörtern sein wird, kein Anlass.

Zu 2.)

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

§ 3 Abs 1 AVRAG ordnet die Arbeitsvertragsübernahme an, wenn der Betrieb übergeht. Die ErlBem zur Regierungsvorlage (NR GP XVIII RV 1077 der Blg) verweisen in diesem Zusammenhang auf den Inhaberbegriff der Art 2 lit a und b der Betriebsübergangs-Richtlinie RL 77/187/EWG (jetzt: RL 2001/23/EG ; Wagnest, Die Haftung bei Übergang eines Unternehmens oder Betriebes 81). Danach ist "Veräußerer" jede natürliche oder juristische Person, die als Inhaber ausscheidet, und "Erwerber" jede natürliche oder juristische Person, die als Inhaber in den Betrieb eintritt. Der EuGH hat dies dahin konkretisiert, dass "Inhaber" diejenige natürliche oder juristische Person ist, die für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich ist und insoweit gegenüber den im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberverpflichtungen eingeht. Für die Annahme eines Betriebsüberganges kommt es darauf an, dass dieser Inhaber wechselt (RS 287/86 "Ny Moelle Kro"; RS C-29/91 "Redmond Stichting"; RS C-234/98 "Allen gg ACC ltd" uva). Da das AVRAG keinen von der Richtlinie abweichenden Inhaberbegriff kennt, ist der von der Lehre vertretenen Auffassung grundsätzlich beizupflichten, wonach der Wechsel (selbst der Gesamtwechsel) von Gesellschaftern der Inhabergesellschaft mangels "Inhaberwechsels" keinen Betriebsübergang iSd RL bzw § 3 AVRAG nach sich zieht (Binder AVRAG § 3 Rz 22; derselbe Die österreichische Betriebsübergangsregelung in DRdA 1996,1,7; Gahleitner/Leitsmüller Umstrukturierung und AVRAG Rz 207; Holzer/Reissner AVRAG 66). Mangels eines Betriebsüberganges ist aber dann auch das Kündigungsverbot (RIS-Justiz RS0102122) des § 3 AVRAG nicht anzuwenden.

Es mag nun Fälle geben, in denen von den Beteiligten zwecks Umgehung dieses Kündigungsverbotes andere Wege gesucht werden, um unter Vermeidung eines formellen Betriebsüberganges ein vergleichbares Ergebnis der Unternehmensübertragung zu erzielen. Doch kann diese - theoretische - Möglichkeit nicht dazu führen, einen Gesamtgesellschafterwechsel generell dem Inhaberwechsel gleichzusetzen und dabei etwa die für "echte" Betriebsübergänge geltende Behauptungs- und Beweislastumkehr bei übergangsnahen Kündigungen (RIS-Justiz RS0108456) auch auf einen solchen Wechsel der Gesellschafter anzuwenden. Da im hier vorliegenden Fall von der Klägerin weder behauptet noch erwiesen wurde, dass der Gesellschafterwechsel deshalb erfolgte, um das bei einem Betriebsübergang mit Inhaberwechsel bestehende Kündigungsverbot zu umgehen, können Erwägungen über eine Ausdehnung des Schutzbereiches des § 3 AVRAG schon deshalb auf sich beruhen. Ein Anlass zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens ist jedenfalls nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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