OGH 15Os63/04

OGH15Os63/0411.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Finster als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Valdemar C***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, teilweise begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Henryk Wieslaw R***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. März 2004, GZ 12 Hv 8/04a-76, sowie aus deren Anlass nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, teilweise auch aus deren Anlass gemäß § 290 Abs 1 StPO in den Schuldsprüchen und Strafaussprüchen betreffend die Angeklagten Valdemar C***** und Henryk Wieslaw R*****, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Henryk Wieslaw R***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Mitangeklagten Pawel St***** enthält, wurden Valdemar C***** und Henryk Wieslaw R***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2, zweiter und dritter Fall, Abs 3, erster und zweiter Fall, Abs 4 SMG, teilweise begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB, bezogen auf § 28 Abs 2 vierter Deliktsfall) schuldig erkannt. Danach haben sie in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit zumindest einem weiteren unbekannten Mittäter am 10. September 2003 in Seiersberg, Arnwiesen sowie weiteren Orten den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte in einer "übergroßen" Menge (in Beziehung auf das 25-fache der großen Menge, § 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen und als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung (§ 278 Abs 2 StGB) eingeführt und in Verkehr zu setzen versucht, indem sie rund 20 Kilogramm Amphetamin (5.500 +/- 1.500 Gramm Amphetamin H2SO4 Reinsubstanz) von Polen nach Österreich aus- und einführten und hier einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres zu verkaufen und damit in Verkehr zu setzen versuchten.

Während der Angeklagte Valdemar C***** das Urteil unbekämpft ließ, richtet sich gegen den Schuldspruch die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Henryk Wieslaw R*****; sie ist im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge nach Z 3 behauptet eine Nichtigkeit begründende Umgehung des (bedingten) Verlesungsverbotes nach § 252 Abs 1 StPO durch die in der Hauptverhandlung erfolgte Vernehmung des Polizeibeamten Hannes K***** als Zeugen über die ihm gegenüber gemachten Angaben eines namentlich nicht bekanntgegebenen verdeckten Ermittlers des Bundesministeriums für Inneres (§ 252 Abs 4 iVm Abs 1 Z 1 StPO; S 19-33/II).

Zutreffend führt die Beschwerde unter Hinweis auf die jüngst ergangene, der neuen Rechtslage Rechnung tragende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 18. Februar 2004, 13 Os 153/03, aus, dass der in ON 20 erliegende Bericht des verdeckten Ermittlers, welchen der Zeuge K***** zum Inhalt seiner Aussage gemacht hatte (S 21/II), als amtliches Schriftstück mit dem Ziel errichtet worden war, eine Aussage des Fahnders festzuhalten und damit unter das Beweiserhebungsverbot (= Beweisgewinnungsverbot; vgl Schmoller, JRP 2002, 251 [252, FN 9]) des § 252 Abs 1 StPO fiel, welches das - mit dem Fragerecht nach Art 6 Abs 3 lit d EMRK normativ verknüpfte - strafprozessuale Unmittelbarkeitsprinzip gegen Unmittelbarkeitssurrogate, die durch die Ausnahmesätze des § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO nicht gedeckt sind, bei sonstiger Nichtigkeit absichert (vgl Schick, RZ 1994, 208, 226 [228]; Schmoller, Schriftenreihe des BMfJ Nr. 45, 105 [170 ff]; Schwaighofer, ÖJZ 1996, 124 [126 f]; Fuchs, ÖJZ 2001, 495 [499 ff]; Bertel/Venier7 Rz 616; Ratz, ÖJZ 2000, 550 [554], RZ 2003, 194 [203] und WK-StPO § 281 Rz 236; Hinterhofer, JSt 2003, 41 [45 f mwN]; SSt 41/7, 44/17). Durch innerstaatliche Amtsverschwiegenheit bedingte Unmöglichkeit, das Erscheinen eines Zeugen zu bewerkstelligen, kann grundsätzlich nicht als Verlesungsermächtigung nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO begriffen werden. Dass die innerstaatliche Amtsverschwiegenheit einen erheblichen Grund im Sinn dieser Bestimmung darstellen könnte, wenn im Verfahren wegen einer außergewöhnlich schwerwiegenden Straftat die schriftlich festgehaltenen Angaben eines besonders schutzbedürftigen Zeugen unverzichtbar erscheinen (vgl EGMR 23. 4. 1997 Van Mechelen ua gegen die Niederlande, ÖJZ-MRK 1998/15, 274), somit die Kautelen des § 166a StPO in Verbindung mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit und erforderlichenfalls auch desjenigen seitens des Angeklagten namhaft gemachter Vertrauenspersonen (§§ 229 Abs 1, 230 Abs 2 letzter Satz [162 Abs 2 dritter Satz] StPO bzw § 250 Abs 1 und 2 StPO) diesem Schutzzweck nicht hinreichend zum Durchbruch verhelfen würden, sodass eine Verlesung des erwähnten Berichtes nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO wegen evidenter Gefahr für die persönliche Sicherheit des verdeckten Ermittlers in Betracht kommen könnte (vgl 15 Os 66/04), lässt sich aus der nicht näher substanziierten Mitteilung im Bericht über die verdeckt geführten Ermittlungen, wonach "eine Namhaftmachung des verdeckt eingesetzten Beamten" ... "aus Gründen der persönlichen Sicherheit dieser Beamten nicht erfolgen" könne (S 279/I), nicht ableiten.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurde allerdings der Bericht des verdeckten Ermittlers (ON 20) in der Hauptverhandlung vom 26. Februar 2004 (zwar unter fälschlicher Zitierung des § 252 Abs 2 StPO) verlesen, von der Dolmetscherin simultan übersetzt, dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht (S 473/I) und in der Verhandlung vom 11. März 2004 nochmals dargestellt (S 27/II), sodass der Inhalt in das Verfahren eingeflossen ist. Wenngleich diese Verlesung nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls zwar ohne Widerspruch der Parteien, somit - mangels Vorliegens über das bloße Stillschweigen hinausgehender weiterer konkreter Anhaltspunkte für die konkludente Zustimmung - noch nicht mit deren Einverständnis erfolgte (vgl Fabrizy StPO9 § 252 Rz 12; Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 252 E 51a) und daher iSd § 252 Abs 1 Z 1 StPO unzulässig war (13 Os 153/03), wurde dieser Verfahrensmangel nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO) geltend gemacht.

Ungeachtet dessen bewirkte aber bereits die - von der Beschwerde aus Z 3 ausschließlich kritisierte - Vernehmung des Zeugen Hannes K***** aus den angeführten Gründen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO (§ 252 Abs 4 StPO), zumal im konkreten Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie einen auf die Entscheidung dem Angeklagten nachteiligen Einfluss zu üben imstande war. Denn das Schöffengericht hat seine beweiswürdigenden Schlüsse mehrfach auf die Zeugenaussage K***** gestützt (US 14).

Der Schuldspruch des Angeklagten Henryk Wieslaw R***** war daher aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen. Weil dieselben Gründe, die zu dieser Urteilsaufhebung führen, auch dem Mitangeklagten Valdemar C*****, der das Urteil unbekämpft ließ, zustatten kommen, war gemäß § 290 Abs 1 StPO auch zu seinen Gunsten mit der Kassation des ihn betreffenden Schuldspruchs vorzugehen. Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht zu versuchen haben, den verdeckten Ermittler unter Beachtung der aufgezeigten Möglichkeiten der §§ 166a, 229 Abs 1, 230 Abs 2 letzter Satz [162 Abs 2 dritter Satz] sowie 250 Abs 1 und 2 StPO als Zeugen zu vernehmen (vgl auch Danek, Wahrheitsfindung und Prozessökonomie, RZ 2004, 122 [124]). Sollte dies - infolge weiterer Verweigerung der Stelligmachung des Zeugen durch die Sicherheitsbehörden - nicht gelingen, wird eine Verlesung des Berichts ON 20 - mangels Vorliegens eines erheblichen Grundes im Sinn der obigen Ausführungen im konkreten Fall - nur dann zulässig sein, wenn die Parteien damit einverstanden sind (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).

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