OGH 10ObS100/04k

OGH10ObS100/04k27.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Loibl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. Hermann L*****, em. Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Dr. Johannes Hochleitner, Dr. Christian Kieberger, Rechtsanwälte in Perg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2004, GZ 12 Rs 137/03h-11, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der am 10. 4. 1952 geborene Kläger hat nach Volksschule und AHS ein rechtswissenschaftliches Studium absolviert, das er im Jahr 1977 mit dem Doktorat abschloss. 1979 hatte er ein weiteres Studium (Betriebswirtschaft) beendet. Während der Schul- bzw Studienzeit hat der Kläger aufgrund von Ferialarbeiten 15 Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Arbeiter erworben. Von Dezember 1978 bis Juli 1979 und von Dezember 1979 bis Juli 1980 war der Kläger insgesamt durch 16 Monate hindurch Rechtspraktikant. Daran anschließend war er Konzipient in einer Rechtsanwaltskanzlei. Ab 1984 war er freiberuflich als Rechtsanwalt tätig. Während seiner anwaltlichen Tätigkeit war der Kläger von März 1995 bis Mai 2000 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten freiwillig pensionsversichert (87 Beitragsmonate). Insgesamt hat er 118 Beitragsmonate und 8 Ersatzmonate (Präsenzdienst von April 1978 bis November 1978) erworben. Unselbständig war der Kläger, abgesehen von Ferialtätigkeiten, nur als Rechtspraktikant und als Konzipient in einer Anwaltskanzlei tätig.

Der Kläger leidet an einer koronaren Herzerkrankung. Er hat zweimal einen Herzinfarkt erlitten und es sind massive Veränderungen der Herzkranzgefäße vorhanden. Im März 2002 musste er nach einem Herzinfarkt reanimiert werden. Aufgrund seiner Erkrankung ist der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Nicht mehr möglich sind Arbeiten unter erhöhtem psychischem Druck. Dies gilt für Belastungen in Bezug auf Arbeitstempo, Arbeitsdruck, intensive Kommunikation sowie für Arbeiten mit hohen Anforderungen an persönliche Kompetenz, Eigeninitiative, Durchsetzungsfähigkeit, Regulationsaufwand und Verantwortung. Der Kläger ist Stresssituationen nicht mehr gewachsen, wie sie etwa im Parteienverkehr im Rahmen der Leitung einer Rechtsanwaltskanzlei auftreten.

Die psychischen Belastungen und Anforderungen juristischer Berufe sind je nach hierarchischer Stellung und Anforderung des einzelnen Arbeitsplatzes unterschiedlich. Allgemein kann aber gesagt werden, dass alle Berufe mit akademischem Niveau zwangsläufig mit überdurchschnittlichen psychischen Belastungen einhergehen, da sie erhöhte Anforderungen an die persönliche Kompetenz und meist auch an die soziale Kompetenz stellen. Es werden insbesondere Anforderungen an die Eigeninitiative, die Entscheidungsfähigkeit, das Verantwortungsbewusstsein und den Regulationsaufwand gestellt. Im Hinblick darauf, dass dem Kläger Berufe mit erhöhtem psychischem Druck unmöglich sind, kann er keine derartigen juristischen Berufe mehr ausüben.

Er könnte noch Tätigkeiten verrichten, die die Möglichkeit bieten, gewisse Angelegenheiten zu delegieren, sich seine Zeit im Rahmen eines eigenen Zeitmanagements selbst einzuteilen und sich damit einem erhöhten psychischen Druck zu entziehen, insbesondere dadurch, dass die Tätigkeit unterbrochen oder Probleme aufgeschoben werden, sodass kein Stress entsteht. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich bei Sachbearbeitertätigkeiten, etwa als Rechtskonsulent einer Versicherung oder einer Bank gegeben. Mit dem Leistungskalkül vereinbar sind auch minderqualifizierte juristische Tätigkeiten, die kein akademisches Studium erfordern, sondern etwa auf Maturantenniveau liegen, etwa Tätigkeiten in der Liegenschaftsverwaltung, in der Buchhaltung oder in Einkaufsabteilungen bestimmter Betriebe.

Mit Bescheid vom 31. 10. 2002 hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 17. 5. 2002 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG von dem zuletzt nicht bloß vorübergehend ausgeübten Angestelltenberuf auszugehen sei. Die vom Kläger während seiner langjährigen Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt erworbenen freiwilligen Versicherungsmonate könnten ihm zu keinem weiteren Berufsschutz als Angestellter verhelfen. Vielmehr werde das Verweisungsfeld von der zuletzt ausgeübten Angestelltentätigkeit als Rechtspraktikant bzw Konzipient bestimmt. Dass der Kläger nicht auf den Rechtspraktikantenberuf selbst verwiesen werden könne, liege auf der Hand, da dieser Beruf am freien Arbeitsmarkt nicht verfügbar sei. Der Kläger sei aber auf Tätigkeiten eines Sachbearbeiters in der Liegenschaftsverwaltung, in der Buchhaltung oder in Einkaufsabteilungen verweisbar, weil diese Tätigkeiten eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen wie die vom Kläger zuletzt unselbständig ausgeübten Tätigkeiten, auch wenn dafür kein Studium erforderlich sei. Während die Tätigkeiten auf Akademikerniveau etwa in die Verwendungsgruppe 5 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten fielen, seien die Verweisungsberufe auf Maturantenniveau in die Verwendungsgruppe 3 - 4 einzureihen. Durch das lange Zurückliegen der letzten Tätigkeit relativiere sich auch die Frage der Zumutbarkeit, sodass insgesamt davon auszugehen sei, dass unter Ausklammerung der Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt bei den genannten Verweisungsberufen kein unzumutbarer Abstieg in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht befürchtet werden müsse. Die Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeitspension seien daher nicht gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sah die behauptete Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht als gegeben an und versagte der Rechtsrüge einen Erfolg. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension sei nach dem Pensionsrecht der Angestellten zu beurteilen, dem der Kläger durch seine Selbstversicherung beigetreten sei. Die Pensionsversicherung der Angestellten erfasse unselbständig Erwerbstätige. Dass der Kläger Rechtsanwalt gewesen sei, ändere nichts daran, dass unselbständige Tätigkeiten das Verweisungsfeld bilden. Ausgangspunkt für eine mögliche Verweisung des Klägers sei seine unselbständige Erwerbstätigkeit als Rechtspraktikant, die er durch sechzehn Monate hindurch und damit nicht nur vorübergehend ausgeübt habe. Als Rechtsanwaltsanwärter sei er gemäß § 5 Abs 1 Z 8 ASVG - unbeschadet der Teilversicherung in der Kranken- und Unfallversicherung (§ 7 Z 1 lit e ASVG) - von der Vollversicherung nach § 4 ASVG und damit von der Pensionsversicherung ausgenommen gewesen. Nach der Rechtsprechung seien Zeiten der freiwilligen Versicherung bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt worden sei, als Beitragszeiten mitzuberücksichtigen, aber nicht als qualifizierte Zeiten anzurechnen (RIS-Justiz RS0085116). Folgte man dem vom Kläger vertretenen Standpunkt, es sei bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit auf seine Tätigkeit als Rechtsanwalt abzustellen, so würde damit für einen Leistungsanspruch aus der Pensionsversicherung der Angestellten auf eine in diesem Versicherungszweig nicht versicherte Tätigkeit abgestellt, die zufolge ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit zu Angestelltentätigkeiten (hier fremdbestimmte Arbeit unter Eingliederung in ein hierarchisches System, dort selbständige Tätigkeit, ausgezeichnet durch ein hohes Maß an Autonomie und Selbstgestaltung) nach § 273 ASVG gar nicht beurteilt werden könnte. Dem Grundsatz, dass jeder Versicherungsträger nur eigenes Recht anzuwenden habe, entspreche es, dass der Versicherungsträger bei der Prüfung eines Pensionsanspruchs wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, was die Frage des Berufsschutzes betreffe, nur die in seinem Versicherungszweig erworbenen Versicherungszeiten zu berücksichtigen habe. Somit sei bei der Beurteilung der Verweisungsmöglichkeiten von der zuletzt ausgeübten unselbständigen Tätigkeit als Rechtspraktikant auszugehen, auch wenn es sich dabei um keinen Beruf, sondern um ein Ausbildungsverhältnis gehandelt habe. Mangels Berufspraxis könne ein Rechtspraktikant noch nicht in die Berufsgruppe der Juristen eingeordnet werden. Ausgehend vom sozialen Wert einer Tätigkeit als Rechtspraktikant erscheine auch dem Berufungsgericht die Verweisung auf die Tätigkeit eines Sachbearbeiters in der Liegenschaftsverwaltung, in der Buchhaltung oder in Einkaufsabteilungen auf Maturantenniveau nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige müsse ein Versicherter hinnehmen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob Zeiten der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 16a ASVG bei der Prüfung der Verweisbarkeit zu berücksichtigen seien, nicht vorliege. Zuletzt habe es der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 154/02y offen gelassen, ob es sich bei Zeiten der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a Abs 1 ASVG um Beitragszeiten handle, die einen Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG begründen können, jedoch auf die ablehnende Judikatur für Zeiten der freiwilligen Versicherung hingewiesen.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig.

Die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit, aufgrund der er Beitragszeiten in der Pensionsversicherung der Angestellten erworben hat, war diejenige eines Rechtspraktikanten (insgesamt 16 Beitragsmonate in den Jahren 1978 - 1980). Als weitere Beitragszeiten liegen 87 Monate einer Selbstversicherung in der Pensionsversicherung (§ 16a ASVG) aus dem Zeitraum von März 1995 bis Mai 2002 vor.

Grundsätzlich kommen für einen Versicherten gemäß § 245 Abs 1 ASVG die Leistungen des Zweiges der Pensionsversicherung in Betracht, dem er leistungszugehörig ist (SZ 62/3 SSV-NF 3/2 uva; RIS-Justiz RS0084326 [T3]). Unbestritten ist, dass der Kläger zur Pensionsversicherung der Angestellten gemäß § 245 Abs 3 ASVG leistungszugehörig und die beklagte Partei daher gemäß § 246 ASVG leistungszuständig ist. Beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist für Leistungen aus der Pensionsversicherung der Angestellten § 273 Abs 1 ASVG maßgebend. Als berufsunfähig gilt demnach der Versicherte, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Bei Prüfung dieser Frage sind nur die im Rahmen der unselbständigen Tätigkeit erworbenen Versicherungszeiten zu berücksichtigen (ausführlich SZ 68/30 = SSV-NF 9/10; SSV-NF 14/22 ua). Für die Beurteilung der Verweisbarkeit ist von der zuletzt nicht nur ganz vorübergehend ausgeübten Angestelltentätigkeit auszugehen (RIS-Justiz RS0084954 [T4]). Die Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit in der überwiegenden Zahl der Beitragsmonate (wie in § 255 Abs 2 ASVG vorgesehen) ist für § 273 Abs 1 ASVG ohne Belang, sodass auch keine Parallele zu den Ausführungen des OGH im Fall 10 ObS 154/02y hergestellt werden kann.

Letztlich ist für den Obersten Gerichtshof unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass der Kläger die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG gewählt hat, auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkennbar, ist es doch naheliegend, dass auf ihn in diesem Fall auch das auf unselbständig Erwerbstätige ausgerichtete Leistungsrecht des ASVG zur Anwendung kommt.

Da der Revisionswerber keine für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision zurückzuweisen.

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