Spruch:
In der Strafsache gegen Johann H*****, AZ 6 U 19/02g des Bezirksgerichtes Gloggnitz, verletzen das Gesetz
1. der Vorgang, dass das Bezirksgericht Gloggnitz vor der Beschlussfassung nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO am 8. April 2004 nicht in die Vorstrafakten AZ 41 E Vr 1118/00, Hv 143/00 des Landesgerichtes Wiener Neustadt Einsicht genommen hat, in der Bestimmung des § 494a Abs 3 StPO sowie
2. der Beschluss des Bezirksgerichtes Goggnitz vom 8. April 2004, GZ 6 U 19/02g-33, soweit damit vom Widerruf der zum AZ 41 E Vr 1118/00, Hv 143/00 des Landesgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf 5 Jahre verlängert worden ist, in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Dieser Teil des Beschlusses - der im Übrigen unberührt bleibt - wird aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit - in gekürzter Form ausgefertigtem - seit 1. Dezember 2000 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. November 2000, GZ 41 E Vr 1118/00-38, Hv 143/00 wurde Johann H***** eines vollendeten sowie eines versuchten (§ 15 StGB) Vergehens nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG schuldig erkannt und hiefür nach § 27 Abs 2 SMG zu einer - gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 8. März 2004, GZ 41 E Vr 1118/00, Hv 143/00-53, sah das Landesgericht Wiener Neustadt - ungeachtet des aus der Strafregisterauskunft (GZ 41 E Vr 1118/00, Hv 143/00-54) ersichtlichen Umstandes, dass die Probezeit wegen des Vollzugs der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Jänner 2002, AZ 71 Hv 5/02b, verhängten viermonatigen Freiheitsstrafe noch nicht abgelaufen war, und solcherart entgegen der Bestimmung des § 49 StGB - die am 27. November 2000 ausgesprochene Sanktion (mittlerweile rechtskräftig) endgültig nach. Mit - ebenfalls in gekürzter Form ausgefertigtem - seit 14. April 2004 rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 8. April 2004, GZ 6 U 19/02g-33, wurde Johann H***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB gemäß dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde (neben einer Entscheidung nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO) nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO (ungeachtet der bereits erfolgten endgültigen Nachsicht) vom Widerruf der zur GZ 41 E Vr 1118/00, Hv 143/00-38 des Landesgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, die Probezeit jedoch gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert. Diese Beschlussfassung erfolgte ohne Einsichtnahme in die bezughabenden Vorstrafakten, deren Beischaffung nach der Aktenlage unterblieben war.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 8. April 2004 (ON 33) und der diesem vorangegangene Vorgang unterbliebener Einsichtnahme in die Bezugsakten stehen - wie der Generalprokurator in seiner dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die - im Übrigen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits rechtskräftige - Entscheidung über die endgültige Strafnachsicht entfaltete ungeachtet fehlender materieller Voraussetzungen (Jerabek in WK2 § 43 Rz 27) seit der Übergabe an die Gerichtskanzlei eine Bindungs-(Sperr-)Wirkung (SSt 51/5; SSt 54/57). Daher durfte weder das erkennende noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation dieses Beschlusses über dessen Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen (EvBl 1989/64; 15 Os 67/00). Das Bezirksgericht Gloggnitz hat daher durch seine Beschlussfassung vom 8. April 2004 teilweise eine ihm nicht (mehr) zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen. Dieser Teil des Beschlusses konnte die vom Landesgericht Wiener Neustadt bereits ausgesprochene endgültige Strafnachsicht weder beseitigen noch sonst für den Verurteilten Rechtsfolgen nach sich ziehen und war daher im Umfang des Absehens vom Widerruf aus Gründen der Rechtssicherheit, im Punkt der Probezeitverlängerung jedoch zwecks Beseitigung eines Nachteils für den Beschuldigten aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO; 13 Os 116/03).
Das - für die fehlerhafte Beschlussfassung offenbar ursächliche - unter Missachtung der Bestimmung des § 494a Abs 3 erster Satz StPO erfolgte Unterlassen der Einsichtnahme in die bezughabenden Vorstrafakten erfordert hingegen keine konkrete Maßnahme nach der gerade erwähnten Gesetzesstelle.
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