OGH 15Os67/00

OGH15Os67/0015.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juni 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lackner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter Ö***** (zufolge Verehelichung zeitweise auch L*****) wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, dass es der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien im Verfahren zu AZ 5a E Vr 6671/95, Hv 3883/95 unterließ, den Jugengerichtshof Wien zu AZ 2 BE 25/95 vom Widerrufsbeschluss gemäß § 494 Abs 7 StPO unverzüglich zu verständigen, sowie gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Vollzugsgericht vom 12. August 1998, GZ 2 BE 25/95-8, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Es verletzen

1. der Vorgang, dass es der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien unterlassen hat, von dem am 27. November 1996 verkündeten Beschluss auf Widerruf der bedingten Entlassung unverzüglich den Jugendgerichtshof Wien als Vollzugsgericht zu AZ 2 BE 25/95 zu verständigen, § 494a Abs 7 StPO;

2. der Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Vollzugsgericht vom 12. August 1998, GZ 2 BE 25/95-8, auf Endgültigerklärung der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe § 48 Abs 3 StGB iVm dem sich aus §§ 494a Abs 4, 498 StPO sowie den sich allgemein aus den Bestimmungen des XX. Hauptstücks der Strafprozessordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

II. Der zu I. 2. bezeichnete Beschluss wird aufgehoben und der ihm zugrunde liegende Antrag der Staatsanwaltschaft vom 7. August 1998 zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit (gemäß § 458 Abs 3 StPO in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 15. Juni 1994, GZ 18 U 107/94-19, wurde Peter Ö***** (zufolge Eheschließung am 5. August 1993 trug er eine Zeit lang den Familiennamen L*****) des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu 8 Wochen Freiheitsstrafe verurteilt. Am 22. Juni 1995 beschloss der Jugendgerichtshof Wien als Vollzugsgericht zu GZ 2 BE 25/95-3, dem Verurteilten gemäß § 3 (Abs 1 Z 1) Amnestie 1995 den Strafrest von 28 Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bedingt nachzusehen und ihn (iSd §§ 3 Abs 3, 9 Abs 2 zweiter Fall Amnestie 1995) am 8. Juli 1995 bedingt zu entlassen.

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. November 1996, GZ 5a E Vr 6671/95-41, in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 11. Mai 1999 (ON 69) wurde über Peter Ö***** unter anderem wegen des - zum Teil während der einjährigen Probezeit begangenen - noch vor deren Ablauf anhängig gewordenen (§ 56 StGB) und vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 21. Juni 1996 ausgedehnten (S 156 f) Vergehens nach § 198 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen eine zusätzliche Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Zugleich verkündete der Einzelrichter den Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO auf Widerruf der zu 2 BE 25/95 des Jugendgerichtshofes Wien angeordneten bedingten Entlassung sowie der vom Bezirksgericht Neumarkt bei Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht. Er unterließ jedoch die gemäß § 494a Abs 7 StPO gebotene unverzügliche Verständigung des Jugendgerichtshofes Wien zu 2 BE 25/95 sowie des Bezirksgerichtes, verfügte diese vielmehr erst nach Rechtskraft des Urteils und des Widerrufsbeschlusses im Zuge der Endverfügung am 19. Juni 1999 (S 451). Dieses Versäumnis hatte zur Folge, dass der Jugendgerichtshof Wien als Vollzugsgericht, entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 7. April 1998, in Unkenntnis der vorangegangenen, wenngleich zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Widerrufsentscheidung mit Beschluss vom 12. August 1998, GZ 2 BE 25/95-8, die von ihm angeordnete bedingte Entlassung für endgültig erklärte.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und der bezeichnete Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien stehen - wie der Generalprokurator in der dagegen gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien hat dadurch, dass er zwischen der Fassung des Widerrufsbeschlusses am 27. November 1996 und der Benachrichtigung des Jugendgerichtshofes Wien (sowie des Bezirksgerichtes) am 19. Juni 1999 mehr als 2 1/2 Jahre verstreichen ließ, die unverzügliche Verständigung gemäß § 494a Abs 7 StPO unterlassen. Nach dieser Bestimmung hat die Verständigung sogleich nach der Entscheidung - ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft - zu erfolgen. Denn nur dadurch wird sichergestellt, dass das ohne Eingreifen der Regelung des § 494a StPO zuständige Gericht von einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung eines anderen Gerichtes Kenntnis erlangt und demnach seine Entscheidungskompetenz nicht mehr in Anspruch nehmen darf. Der Widerrufsbeschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO war nämlich bereits ab seiner Verkündung insoferne bindend, als kein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (§ 498 StPO; SSt 56/18; 14 Os 128/92, 15 Os 90, 91/95, 15 Os 185, 187/97 uam).

Der Jugendgerichtshof Wien hinwieder hat durch den Beschluss vom 12. August 1998 (unverschuldet) die gemäß § 3 Abs 2 Amnestie 1995 anzuwendende Bestimmung des § 48 Abs 3 StGB verletzt, wonach die bedingte Nachsicht des Strafrestes (nur dann) für endgültig zu erklären ist, wenn sie nicht widerrufen wird. Demnach hat das Vollzugsgericht eine ihm nicht mehr zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen. Sein Beschluss konnte weder den schon vorher wirksam (wenngleich noch nicht rechtskräftig) beschlossenen Widerruf der bedingten Entlassung beseitigen, noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Demzufolge hat es auch das Gesetz in dem sich aus §§ 494a Abs 4, 498 StPO ebenso wie den sich allgemein aus dem XX. Hauptstück der Strafprozessordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen verletzt.

In Stattgebung der Beschwerde war daher der bezeichnete Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien - ohne dass damit ein Nachteil für den Verurteilten verbunden wäre - aus Gründen der Rechtsklarheit zu kassieren (§ 292 letzter Satz StPO) und insgesamt spruchgemäß zu entscheiden (siehe EvBl 1989/64 = JBl 1989, 400; 15 Os 76/91, 12 Os 87/92, 11 Os 84/94, 15 Os 90, 91/95, 15 Os 17/97, 15 Os 185, 186/97 uam).

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